Samstag, 7. April 2012

Emden-Mob - Der Volkszorn und die Unschuldsvermutung

Und hier mal wieder ein intelligenter Essay von RA HEINRICH SCHMITZ zum Emden-Mord, dem Pöbel und einem armen 17-Jährigen. Ein Essay, der zweifellos Abdruck in den großen Zeitungen verdient.


http://images.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2012-04/mordfall-lena-emden/mordfall-lena-emden-540x304.jpg


von RA HEINRICH SCHMITZ

Was haben sie getobt. Hängen sollte er. Endlich war mal wilder Westen in Emden. Und im Netz. Und überhaupt - unsere Justiz, unsere Polizei,
unsere Staatsanwaltschaften. Alles Weicheier. Überflüssige Verhinderer der wahren Gerechtigkeit aus den Tiefen des Volkes.

Nach einem Mord an einem 11-jährigen Mädchen am vergangenen Samstag hatte die Polizei am Mittwoch einen 17-jährigen Berufsschüler
festgenommen, das Amtsgericht Emden erließ Haftbefehl, die Presse wurde informiert und informierte das Volk.

Ein Haftbefehl kann nach der Strafprozessordnung erlassen werden, wenn der Beschuldigte einer Straftat dringend verdächtig ist und außerdem ein Haftgrund vorliegt. Haftgründe sind Flucht, Fluchtgefahr, Verdunkelungsgefahr oder wenn keiner dieser Haftgründe vorliegt , bei
Wiederholungsgefahr. Man sollte daher annehmen, dass gegen jemanden gegen den ein Haftbefehl erlassen wird, schon erhebliche
Verdachtsmomente vorliegen müssen. Sollte man annehmen. Nun kenne ich zwar nicht die Ermittlungsakte, sondern wie der Rest der Bevölkerung nur die Berichterstattung, aber was da so mitgeteilt wurde, löste schon von
Anfang an ein mulmiges Gefühl aus.

Da wurde berichtet, der Verhaftete habe kein Alibi für die Tatzeit. Na sowas. Hatte ich auch nicht. Die Tatsache, dass jemand für eine Tatzeit kein Alibi hat, ist keineswegs ungewöhnlich und alles andere als ein
Tatnachweis. Selbst als Indiz taugt so eine Erkenntnis höchstens im Zusammenhang mit irgendwelchen anderen, besseren Indizien, die aber auch nicht übermittelt wurden. Kein Täter hat ein Alibi, aber nicht jeder der kein Alibi hat, ist damit auch ein Täter.

Da hieß es noch, der 17-jährige habe sich auffällig verhalten und in Widersprüche verwickelt. Auch nicht übel. Aber eben auch nichts greifbares. Auffälliges Verhalten ist weder verboten, noch ein Hinweis auf eine Schuld. Widersprüche in polizeilichen Vernehmungen sind auch keine Seltenheit. Oft sind es auch nur Missverständnisse. Lassen sie
sich mal vernehmen, macht richtig Spaß, sie sind völlig entspannt, wenn man ihnen vorwirft ein Kind vergewaltigt und danach ermordet zu haben,
nicht wahr ? Trotzdem ein Haftbefehl, da vermutete ich zunächst einmal, die hätten da noch was in der Hinterhand, was sie zunächst bewusst vor der Öffentlichkeit nicht nennen wollten, Täterwissen oder was anderes ,
was man aus vernehmungstaktischen Gründen zurückhält. Pustekuchen.

Und da hatte Emden seinen Mörder. Schwuppdiwupp. So lieben das die Ermittlungsbehörden, schneller Erfolg, gute Presse. Und das Volk erst. Fall erledigt.Gefahr gebannt.

Nur noch ein kleiner Lynchmordaufruf auf facebook und ab zum Polizeipräsidium. So einen muss man doch einfach totschlagen, das macht
gute Laune, da steht man auf der Seite der Guten, die eine Schlacht gegen das Böse schlägt.

So sehr ich den Ansatz der Piraten zu "liquid democracy" für die politische Entscheidungsbildung interessant finde, so sehr fürchte ich mich vor einer "liquid justice" , einer Volkswutgerechtigkeit, die blindwütig liquidiert.

Solche idiotischen Lynchmobs sind u.a. damit erklärbar, dass unser Strafrechtssystem noch immer unverstanden ist. Die Unschuldsvermutung
wird als kleinkariertes Tintenpissertum verachtet, wir sind der Mob, wir nehmen das Recht in die eigene Hand. Kreuziget ihn.Urteile ergehen doch im Namen des Volkes und wir sind das Volk.

Und dann - blöd aber auch. Ist dieses Dreckschwein doch tatsächlich nachweislich unschuldig. Ja, wie jetzt, so geht das aber nicht. Da war der Mob sich doch so sicher. Der ist es, der muss weg.

Der arme Kerl wird einen Schock für's Leben bekommen haben, dass man ihm eine solche Tat unterstellt hat, schrecklich. Richtig nett ist's auch in der U-Haft nicht, schon gar nicht wenn man mit 17 Jahren dort als kinderfickender Mörder einsitzt. Unschuldsvermutung ach was. Bei solchen Vorwürfe bringen sich Unschuldige auch schon mal um.

Erst gestern fragte ZDF heute bei facebook : "Bewährung für Berliner U-Bahn-Schläger - wirken solche Urteile abschreckend? " und löste damit
eine Lawine von abfälligen Kommentaren zur Qualität unserer Justiz aus. Eine Frau Fuehrer schrieb z.B. : " Unser Rechtsstaat ist nicht mehr zu begreifen. Was muß noch alles passieren bis ordl.Urteiile gefällt werden. " An diesem Kommentar ist was Wahres dran, viele Menschen begreifen "unseren Rechtsstaat" nicht und sie begreifen nicht, was für ein Glück
sie haben in einem solchen Rechtsstaat leben zu dürfen.

Das könnten wir ändern, wenn das Wissen über den Rechtsstaat und seine Grundregeln von klein auf vermittelt würden. Aber das geschieht nicht.
Rechtskundeunterricht ist nur eine freiwillige Mini-AG an manchen Schulen. Die Medien vermitteln den Rechtsstaat gar nicht, lieben aber die Berichterstattung über Mord, Totschlag , Vergewaltigung und Kindesmissbrauch. Das scheint das Volk zu lieben. Das bringt Quoten. Als reale Fälle und dann noch als prickelnde Kriminterhaltung. Je brutaler um so quotenträchtiger. Wenn es Videos aus Überwachungskameras gibt werden die gerne immer wieder gezeigt. Wenn sonst so über die Justiz
berichtet wird, dann meistens unqualifiziert und stets kritisch.Erinnern sie sich daran, dass ein Urteil mal positiv kommentiert wurde ?

Der nachweislich unschuldige 17-jährige Schüler ist zu bedauern, seine Verhaftung möglicherweise auch durch den Öffentlichkeitsdruck auf den
Haftrichter voreilig gewesen, und dennoch ist der Ausgang für ihn ein Triumph des Rechtsstaats , ein Beweis dafür, dass die Unschuldsvermutung
unverzichtbar ist und niemand als Täter feststeht, bevor er rechtskräftig verurteilt ist. Die Betonung liegt hier auf rechtskräftig,
denn es gehört auch zu einem Rechtsstaat, dass der Tatsache, dass auch Richter keine Götter sind und daher irren können, dadurch Rechnung
getragen wird, dass auch Urteile durch ein Rechtsmittel überprüft werden können. Vom Angeklagten, wie von der Staatsanwaltschaft. Das garantiert zwar nicht, dass jedes Urteil richtig ist, es minimiert aber das Risiko von krassen Fehlentscheidungen so gut es geht.

Dieses wunderbare System muss vor dem Mob geschützt werden.

Ich wünsche mir, dass derjenige, der per facebook zum Mob aufgerufen hat und alle seine Sympathisanten und Mobteilnehmer die Segnungen des Rechtsstaates zu spüren bekommen. Straftäter müssen verfolgt werden. Die Anstiftung zu einem Lynchmord kann ohne weiteres als Anstiftung zum Mord gewertet werden.
Aber das muss dann der gesetzliche Richter entscheiden, kein Mob-Mob.

Von RA HEINRICH SCHMITZ

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