Samstag, 8. März 2014

Sibylle Lewitscharoff - völkisch, genetisch, blöd.



Mann, kaum ist das letzte feuilletonreife Theater seicht verklungen, wird schon das nächste rund um diesen Themenkreis „drohender neuer Konservatismus“ aufgeführt. Dieses Mal versammelt man sich um eine Rede der Literatin Sibylle Lewitscharoff in Dresden am Schauspielhaus im Rahmen der Reihe „Dresdner Reden“.

Nietzsche, Ezra Pound und den todessüchtigen Genet verbieten Herr Diez?

Der gute Dirk Knipphals schreit herrlich laut und famos in der „taz“, David Hugendick glossiert in der „Zeit“, Andreas Platthaus wütet in der „FAZ“ und – logisch – Georg Diez für „Spiegel Online“. Der hatte sich sogar schon im Vorfeld warmgelaufen, als die Autorin den Büchnerpreis bekam und er sich fragte, ob Lewitscharoff womöglich gar keine tolle Autorin, sondern nur „eine vom Reinlichkeitswahn der schwäbischen Hausfrau getriebene Langeweilerin“ sei. Diez also hat schon vorher alles richtig gemacht. Entsprechend hahnenstolz auch sein Nachschlag, in dem er nicht weniger als den Untergang des kultivierten Abendlandes identifiziert und „die Literaturkritikerinnen und -kritiker und all die Betriebsonkel und -tanten, die sie gefördert haben mit Preisen und Stipendien“ ultimativ auffordert, sich dazu zu verhalten. Ein Lynchaufruf quasi. Herrlich!

Allerdings: Nach Diez’ Logik, die so genau der abgekoppelten Logik der Dr. Ryan Stone aus „Gravity“ entspricht (Zeitgeist völlig losgelöst), müsste man nun ebenfalls Nietzsche, Ezra Pound und den todessüchtigen Genet verbieten beziehungsweise boykottieren.

Noch herrlicher dann ein Satz irgendwo in der Mitte bei Diez, wenn er so wunderschön diebisch-diezisch attestiert: „Wenn sie dort Schluss gemacht hätte, der Skandal wäre ihr sicher gewesen. Sie wollte aber mehr, sie wollte Verachtung.“ Und beim „Spiegel“-Bumser ist es nun auch kein Konservatismus, keine neue Rechte mehr, sondern – Achtung! – ein neuer „Klerikalfaschismus“, den Lewitscharoff dem deutschen Lesevolk da präsentiert. Dazu das Übelste gleich vorweg: Georg Diez hat natürlich völlig recht.

Keine Scheu, Privatestes auf den Tisch zu legen

Aber gehen wir mal gemeinsam in die Recherche. Da gibt es zwar zunächst einen Link zu einer Tonspur, aber keinen gedruckten Text, wo es sonst auf der Website des Schauspielhauses noch jede der Dresdner Reden zum Downloaden gibt. An der Stelle zum Download findet sich nun eine als „Offener Brief“ falsch etikettierte „Wutrede“ von Robert Koall, dem Chefdramaturgen des Hauses. Dramatisch, unsachlich, gut! Ein Anruf in der Dramaturgie löst das Rätsel schnell auf: die Lewitscharoff-Rede wäre in Kürze downloadfähig, sie läge noch beim Lektorat. Und man hält Wort.

Nun kann man der Autorin beziehungsweise Rednerin eines schon nach wenigen Seiten bescheinigen. Die Frau kann schreiben wie wenige neben ihr. Wunderschöne dramatisch tragische Sätze sind dabei. „Das Todestheater meiner Mutter war ungeheuerlich. (…) Steckelsdünn, kraftlos, auf Minuten schon dem Tode nahe gerückt, bäumte sich in ihrem Bett auf, packte alles, was auf ihrem Nachttisch stand und warf es gegen einen Kruzifix an der Wand, röchelte tief und verschied.“ Was für ein schwarzer Sound. Das swingt. Wer Wörter und Sätze so zum Schwingen bringen kann, der hat großes Talent.

Und Lewitscharoff hat keine Scheu, Privatestes auf den Tisch zu legen, wenn sie über ihre geliebte Großmutter, über den Selbstmörder-Vater und die verzweifelte Alkoholiker-Mutter erzählt, die elend an Krebs zugrunde ging, während ihre Großmutter doch mit einem ähnlichen Schicksal voller Gottvertrauen und quasi mit einem Lächeln, friedlich und im Haiabettchen in die ewigen Jagdgründe einging. Wunderbar.

Sicher wird auch das Dirk Knipphals dazu veranlasst haben, so zu enden: „Wie man aus der Literaturgeschichte weiß, können auch politisch fragwürdige und menschenverachtende Schriftsteller interessante Bücher schreiben.“ Na klar, das meint er wohl als Beschreibung einer weichgespülten Version von der Geschichte des Sachsenhausen-KZ-Kommandanten, der Blumenbeete vor den tödlichen Elektrozaun, niedliche kniehohe Holzzäune und einen künstlichen See anlegte, um den herum kleine Findlinge gruppiert wurden.

Lewitscharoff hatte nun also in ihrer Dresdner Rede wunderbar dramatisch über den Tod ihr nahestehender Personen referiert. Und das tat sie, um überzuleiten zu den modernen Todesarten unserer Gesellschaft, diesen mit den Glaceehandschuhen der modernen Medizin durchgeführten, die so wunderbar Schmerzen auslöschen kann, aber nur das Leben hinauszögert, hin zu einem „qualvoll verlängerten Horror“.

Ein seltsame Art literarischer Selbstmord

Sie sehen, wir befinden uns auch hier, mittig der Rede, noch im grünen, im mitfühlenden Konsens-Bereich. Die Sache kippt in dem Moment ganz furchtbar, wenn der böse Geist der so friedlich verstorbenen Großmutter von Lewitscharoff Besitz ergreift und Organspende und Patientenverfügung so kommentiert:

„Mir ist, sowohl was das Leben anlangt als auch den eigenen Tod, die um sich greifende Blähvorstellung der Egomanen, sie seien die Schmiede ihres Schicksals, sie hätten das Schicksal in der Hand, seien gar die Herren über es, zutiefst zuwider.“

Dann schwankt die Autorin am Brutkasten eines todgeweihten morphinierten Säuglings ganz fürchterlich zwischen biblischer „Erbsünde“ und „radikaler Unschuldsvermutung“, dass dem Zuhörer schon ganz gruselig wird. Aber gut, Lewitscharoff hofft dann in einem letzten Aufbäumen ihrer sich zur Hysterie der Kinderlosen aufgebäumten Narretei vom „Glanzvollem des Todes“, vom „würdigen Sterbebett“.

Ja, es wird knüppeldüster in Dresden im Schauspielhaus. Zu gerne würde man da wissen, wie so etwas live passiert. Ist das gehörte Wort zu schnell verklungen, bleibt etwas haften, ist die Sogwirkung größer, bleibt das Analytische noch ganz fern? Egal. Denn dieser elende Absatz andauernde Todesstoß ist identisch im Ton wie im Wort. Ein einzigartiger literarischer Selbstmord, der mit einer Art Mittelalterkommunion beginnt: „Im Lauf der Jahre hat sich (bei der Autorin) die Rückbindung an den christlichen Vorstellungskreis, was Leben und Tod, was Sünde und mögliche Vergebung angeht, enorm gekräftigt.“

Eine übelriechende Totgeburt

Und als so runderneuerte Katholikin folgt sogleich das nächste Bekenntnis, das so geht, dass Schwangere automatisch das alleinige Recht auf ihren Bauch verwirkt hätten und der ab dem Zeitpunkt dem „Kind und dem dazugehörenden Vater“ und einer „Reihe vorausgegangener Generationen“ mit gehört. Krachwumm, wir sind beim völkischen Aspekt des Lebens angelangt. Generatives Denken versus Onanie zum Zwecke der künstlichen Befruchtung, dem „Horror (…), auf künstlichen Wegen eine Schwangerschaft zustande zu bringen“.

Mitreißender Literatur ist unvermittelt eine Horrorrede entwachsen. Eine übelriechende Totgeburt um im Bild zu bleiben. Der Galgen für die Moderne ist aufgestellt. Und die, die das gerade noch rechtzeitig ebenso empfinden, haben laut Autorin „noch nie einen Gedanken verschwendet“ über „Ursprungskonstruktion“. Sie meint damit tatsächlich – Herr lass Asche regnen! – die Entstehung eines Kindes durch Geschlechtsverkehr und die Ahnen, die aus dem Jenseits wohlwollend die gelungene Kopulation in Echtzeit betrachten. Oh je. Und weil das alles so gotterbärmlich widerlich ist und die Autorin es ja selbst bemerkt, müssen noch kurzerhand die – kein Witz! – „Schöpfungsmythen“ als Alibi herhalten.

Und Büchner würde sich im Grab umdrehen

Im Finale dieser sensationell monochromen Dark-Ages-Rede: dann die vollkommene Verabschiedung von der Moderne wie wir sie kennen. Wenn die Autorin, der ein Kinderlächeln unheimlich, ja direkt suspekt ist, in die vollen Ränge geifert, dass das Unheil, so …

„es geschehe durch höhere Gewalt und nicht vermittels eigener Entscheidung (…) ungleich bekömmlicher für das Leben (ist), das wir alle führen müssen, in dem sich Glück und Unglück, Gelingen und Misslingen als undurchschaubare Wechselbälger zeigen. Heiteres Gewährenlassen und nicht über alles, wirklich alles bestimmen zu wollen, ist geradezu der Garant für ein in Maßen gelingendes Leben. Das Glück ist eh ein flüchtiges Bürschle im Flatterhemd, welches schneller flieht, als dass man es festhalten könnte.“

Was für eine zutiefst unglückselige Autorin. Eine wahnsinnige Verschwendung eines großen Talents. Genie und Wahnsinn im Prozess der düstersten Umverteilung. Und Büchner würde sich jetzt sicher schwindelig im Grab umdrehen: „Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einen, wenn man hinabsieht.“

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