Donnerstag, 12. Januar 2012

Warum die Affäre Wulff so wichtig für Deutschland ist.



Deutschland-Trilogie Teil I

Jetzt bin ich sicher: Die Affäre Wulff ist gut für Deutschland. Denn sie ist in ihrem Kern vor allem eines: desillusionierend. Anti-Fassade. Die spiralförmig hochkochende Medienkritik an der Person des Bundespräsidenten hat eine restaurative Sehnsucht geweckt. Die kritische Masse „Anti-Deutschland“ wurde also sogar bei den "Deutschen nach den Deutschen" überschritten.

Einfacher gesagt: Das Bundespräsidentenamt taugte nur scheinbar gut als Spitze der deutschen Wertepyramide. Angesichts der sichtbar gemachten Entwertung des Amtes durch Wulff wird schlagartig deutlich, das es darunter überhaupt keine Wertebasis mehr gibt! Völlige Leere. Und die Spitze nach dem Wulff-Gau ersatzlos weggebrochen.

Klar: Auslöser hätte auch jedes andere staatstragende Ereignis sein können. Da hat Christian Wulff einfach nur Pech gehabt. Der hochgeschwappte niedersächsische Klüngel war schlicht der schmuddelige Tropfen zuviel auf der emotionalen Landkarte der Deutschen. The final Countdown.

Zunächst einmal: Werte haben sich immer schon zyklisch von der Basis entfernt, an der sie entstanden sind. Dass hat etwas mit einem natürlichem Hang zum Konservieren und Restaurieren zu tun. Mit der Angst vor Vergänglichkeit. Vor dem Tod.

Allerdings: Der Deutsche versteht sich längst nicht mehr als aktiver Teil einer Wertegemeinschaft. Da wir aber neben „Deutschland sucht den Superstar“ und der „RTL-Supernanni“ noch nicht völlig auf Werte verzichten wollten, haben wir unsere Werte Stück für Stück entdemokratisiert, zur Hochkultur erklärt – also von oben herab zur Verwaltung freigegeben. Das ist bequem und beruhigend.

Zum Spielball erklärt, fielen diese Werte dann weich irgendwo zwischen David Precht und Helmut Schmidt – also zwischen Supermarktfeuilleton und der Gnade des Vergessens. In einem perfekten Deutschland. In einer potemkinschen Kulisse irgendwo zwischen der Silvesterfeier vor dem Brandenburger Tor und einem sich als öde Litanei durch Lanzsche Talkshows fortpflanzenden urban-berlinerndem Multikulti-Tourismus.



Die Deutschen nach den Deutschen als Weltbürger mit Deutschem Bundespräsidenten. Und das Modell funktionierte zunächst recht gut. Die Unwucht ging allein von Wulff aus. Trotzdem wäre es ungerecht, ihm heute vorzuhalten, er sei als Bundespräsident nicht in Erscheinung getreten. Das stimmt zwar. War aber fester Bestandteil der Inszenierung.

Gäbe es eine Betriebsanleitung für den Job des Bundespräsidenten, stände da spätestens seit 1985, seit Weizäckers Rede zum 8. Mai: Es ist alles gesagt. Die Figur ist komplett ausgezeichnet. Der Set steht, der Plot ist geschrieben, die Rollen sind verteilt. Mehr geht nicht, alle Lücken gefüllt, Buße getan. Ab jetzt wird ein Lebensgefühl Deutschland nur noch ausgesessen, ausgehalten,ausgeschwitzt. Status Quo.

Folgerichtig scheiterten auch Figuren wie Friedrich Merz kläglich, der mit seiner fad ausformulierten Leitkulturdebatte in ein Wohlgefühl hinein stolperte, wie Michel aus Lönneberga in seinen Holzfigurenschnitzer-Büßerschuppen. Weg mit dem. Und weg ging er.

In der deutschen Wertemonarchie mit ihrem nach 1985 zur Ikone erstarrten Wertekönig Weizäcker zuckte keine einzige nationale Wimper mehr. Selbst 1992, als mit der Verfassungsänderung Artikel 23 die Abwicklung der deutschen Nationalstaatlichkeit beschlossen wurde, kam es gerade mal zu einem unbeherrschten nervösen Lidzucken im rechten CSU-Augenwinkel. Und selbst das wurde peinlich berührt weggewischt und zu Tode ignoriert.

Aber, und da kommt die Wulffsche Tragödie ins Spiel: Wer Werte so hoch aufhängt, dem reichen auch welche aus Pappmaschee. Als Illusionsmaschine. Die Außenwirkung.

IKEA: Möbel, die wie Möbel aussehen, und doch nur eine Verfallzeit von Schaufensterdekorationen haben. IKEA-Wulff eignete sich dann folgerichtig auch als der perfekt dekorative Werteverwalter, das Amt des Bundespräsidenten auszufüllen.

Wer heute behauptet, der Mann wäre auf seinem Platz nicht feinjustiert gewesen, irrt. Seine Rede zum Papstbesuch lobte sogar der Vatikansprecher als "klar und ehrlich.“ Und der STERN bedauerte kurz nach der Hickhack-Wahl mit Gauck als Verlierer, dass ein Mensch wie Wulff, der so gut für das Amt geschaffen sei, so wackelig hineingekommen sei.



Die Piratin Julia Schramm schrieb in ihrer Hauptseminararbeit „Zu den Grundlagen der bundesrepublikanischen Deutschen Nation“: „Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ging auch die deutsche Nation zu Grunde, erst mit der Gründung der Bundesrepublik bzw. DDR wurde die (geteilte) deutsche Nation wieder hergestellt so zumindest die populäre Annahme, da man gewöhnlich davon ausgeht, dass eine Nation staatliche Grenzen benötigt. Doch ist das Konzept einer Nation nicht viel mehr und vor allem abstrakter und komplexer, als es eine durch Staatsgrenzen umschlossene Bevölkerung wäre?“

Und wie recht sie da mit ihrer Fragestellung hat, beweist die Universalität ihrer Einsetzbarkeit: „Ist der Werte-Pool für eine Nation nicht viel mehr und vor allem abstrakter und komplexer, als ihn ein Pappmaschee-Bundespräsident alleine jemals absichern könnte?“

Aber zurück zur Eingangsfrage, warum die Affäre Wulff so wichtig für Deutschland ist.

Die Antwort ist so einfach, wie die Debatte darum viel zu lang und ausufernd: Surrogate taugen nicht zur Vollwertigkeit. Sie ähneln vom Aussehen und Geschmack einem hochwertigen Produkt, sind aber in der Herstellung lediglich deutlich billiger. Oder Metaphern befreit: Wenn wir unsere Wertegewinnung nach oben wegdelegieren und diesen Prozess damit entdemokratisieren, brauchen wir uns nicht wundern, wenn wir am Ende ganz drauf verzichten müssen.
matussek - 12. Jan, 14:16

deutschland

Brillant. Und völlig quer zum Haufen. Wer Deutschland thematisiert, heute, braucht Mut - und den hat der Kommentator

Bernhard v. Guretzky - 12. Jan, 14:52

Schliesse mich dem werten Vorredner an: Endlich mal ein neuer Aspekt an der Debatte. Mehr Geradlinigkeit in der Argumentation hätte ich mir gewünscht

steppenhund - 12. Jan, 17:43

Ich frage mich, ob Wulff selbst verstehen würde, was hier geschrieben steht. Aber es ist wohl das immanente Drama, dass die Antwort auf die Frage wohl nein lautet.

Alexander Wallasch - 12. Jan, 20:06

Du hast absolut recht. Die Idee, das der Mann irgendwie ferngesteuert funktioniert wird immer zwingender.
heinrich schmitz - 14. Jan, 11:55

Alles richtig und auf's feinste formuliert. Allerdings zeigt die andauernde - und bis zum Rücktritt notwendige - Reaktion sowohl des überwiegenden Teils der Presse als auch eines großen Teils der Öffentlichkeit, dass die Politprofis ( so einen wünschte die Mutti ja nach dem guten Herrn Köhler ) mit ihren selbstgemachten Scheinwerten letztlich nicht durchkommen. Dass sich das Volk überhaupt damit beschäftigt, ob es von so einem lauwarmen Schnäppchenjäger repräsentiert werden möchte, beweist doch, dass tief im Bürger noch genau die Werte schlummern, dessen Vorhandensein die gelackten, aalglatten Karrieristen nur noch für Sonntagsreden aus der Mottenkiste holen. Werte wie Anstand, Moral, Zuverlassigkeit, Ehrlichkeit und Demut. Ob das nun originär deutsche Werte sind, mag ich nicht behaupten, es sind aber auf jeden Fall Werte, für die sich auch ein langweiliger, langwieriger und mühsamer Kampf lohnt.

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