Mittwoch, 23. November 2011

Der angestrengte Versuch, gegen eine Entlohnung von 275 € eine perfekte Kolumne für eine Provinzzeitung zu schreiben mit einer Abonnementen-Leserschaft irgendwo im Alter zwischen 58 und 85 Jahren. Und die angestrengte Frage: Reicht das, was nun kommt, schon für 275 €?



IRGENDWAS IST IMMER ...

Der Tag fing so normal an, wie eigentlich seit Jahren jeder neue Tag anfängt. Was man eben so normal nennt, wenn gleichzeitig vier Kinder und ein Hund aufwachen.

Mit aufgewacht sind auch die Sorgen. Kleine Sorgen. Oft großaufgebauscht, aber fest verankert in der Magengegend. Ein gutes Gefühl ist eines, mit wenig Sorgen. Das passiert immer dann, wenn sich wieder eine Sorge in Luft aufgelöst und die nächste noch nicht zur vollen Größe aufgebläht ist.

Erste Erkenntnis also: "Ein Sorge weniger" ist Quatsch. Bei uns ist es ein Staffellauf.

Der Jüngste von vieren ist sieben Jahre alt und geht in die zweite Klasse der Grundschule. Ein Schlacks. Ein Sorgloser. Zu schnell gewachsen – auch die goldenen Locken. Die Großen müssen früher aus dem Haus. Die ersten kleinen Dramen ballen sich deshalb in einem Zeitraum zwischen 7:10 und 7:35. Fahrrad platt. Pumpe suchen. Falsches Ventil. Andere Pumpe. Geht nicht. Muss geflickt werden. Schulhefte verlegt. Das falsche Brot. Gar kein Brot. Wo ist die Trinkflasche. Mein Ipod ist nicht geladen. Wo ist mein Handy. Jetzt aber schnell zum Bus.

Also all diese Hera Lind Sorgen, die niemand lesen mag, der mal ein bisschen Zeit zum Lesen hätte. Der Jüngste geht als Letzter. 7:40. Um 7:45 muss er eine Straße weiter den Nachbarjungen abholen. Kuss, Tschüss. „Mach die Jacke zu!“

Ja doch, es ist billig, aber wenn die Tür zufällt, fühlt man ihn. Diesen besonderen Moment. Ein Schwebezustand. Eine Ahnung von Sorglosigkeit. Aber auch ein Gefühl von Untätigkeit. Die Twillightzone. Bis Sekunden später das Lauern auf die nächste Sorge folgt. Der Hund jault kurz, er spürt, das was komisch ist. Aber das reicht jetzt noch nicht für eine neue Sorge. Der kann warten, er war ja früh morgens schon ganz hinten im Garten. Das kann man später noch wegmachen. Hinsetzen. Kaffee. Umschauen. Tapezieren wäre mal wieder was. Neuer Teppich?

7:56. Das Telefon klingelt. Und es wird umstandslos zum Sorgentelefon. Der Vater des Nachbarjungen. Wo denn nun unser Junge bliebe, die Schule würde ja gleich anfangen. Hat er vergessen den Kumpel abzuholen? Wie bitte? Der hat nicht bei Euch geklingelt? Nein, hat er nicht. Telefonat wird mit einer Entschuldigung für den Sohn beendet.



Und jetzt wäre es eigentlich Zeit, selbst mit der Arbeit anzufangen. Aber da wächst nun etwas, das eigentlich überhaupt keinen Grund hätte zu wachsen. Der kleine Sorgenkrebs. Wie weit ist der Weg zur Schule? Also das sind 250 Meter bis zum Nachbarjungen. Dann noch mal 500 Meter über zwei Straßen und eine Ampel hinweg bis zur Grundschule. Aber der ist da nie angekommen. Der wird auch um 13 Uhr nicht nach Hause kommen. Der Junge ist weggeschnappt. Unter den Augen der Nachbarn, die sich nichts dabei gedacht haben, als der Junge erst ans fremde Auto gewunken und dann reingeschubst wurde. Wird wohl ein Verwandter gewesen sein.

8:15 – der Kaffee fällt in den Magen, als wäre er Säure. Das Staubsaugergeräusch macht schlimmen Kopfschmerz. Bohrend. Das Herz krampft. Erster panischer Blick vor die Haustür. Zweiter panischer Blick vor die Haustür. Aber gottseidank keine Anzeichen irgendeiner Entführung. Das muss weiter unten passiert sein. Der Hund schlüpft aus der offenen Haustür und läuft Richtung Schule. Da muss tatsächlich was passiert sein. Willkommen Sorgen. Ihr guten alten Bekannten.

8:22 Hund ist wieder da. Er hat doch nur sein zweites dringendes Geschäft erledigt.

8:42 Mantel und Schuhe an. Hin- her gehen vor der Tür. Aber wenn ich jetzt einfach im Klassenraum auftauche mit panischem Blick, den Jungen entdecke und erleichtert wieder gehe. Mit so einem entrückten Lächeln auf den Lippen. Das wäre doch bescheuert. Wie erklärt man so etwas?

Dann ein Kreativ-Moment, wie ihn nur Sorgen in der Lage sind zu produzieren: Logisch! Die hängen doch ihre Jacken außen an die Haken! Ich muss ja noch nicht einmal in den Klassenraum hinein. Er würde das nicht einmal merken, wenn er, was nun meine intensivste Hoffnung wird: eben nicht entführt wurde.

Ich schleiche mich also durch den Schulflur mit zittrigen Knien und schweißnassen Händen. Mit den Fingerspitzen streife ich die Kinderjacken und da ist dann auf einmal wieder dieses kurze Sorglosgefühl. Glück. Jacke Gefunden: Junge angekommen. Entführung ausgefallen.

Auf dem Weg zurück kann ich fliegen. Wie schön eigentlich. Alles gut. Ich schließe die Tür und halte die Jacke in der Hand! Ja sag mal spinn ich denn? In zwei Minuten ist Pause! Der Junge sucht doch dann verzweifelt seine Jacke! Und dann wird er sich doch richtig Sorgen machen!

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