ANARCHIEAPFELSAFT
Erschienen als Kolumne im SUBWAY MAGAZIN Dez. 2011
http://www.subway.de/289/lebensraum/kolumnen/artikel/anarchie-apfelsaft-13649.html
Eine Geschichte, die mit einem Apfelbaum anfängt, könnte nach hinten raus ziemlich kitschig enden. Ich versuche es trotzdem mal: Der Baum steht vor dem Häuschen der Oma. Und wir schüttelten den so lange, bis der Rasen darunter mit dem guten Boskop bedeckt war. Dann in Bettbezüge eingesammelt, ins Auto und zur Mosterei Burg Lutter“ das ist in Lutter am Barenberge, von Braunschweig aus zwischen Salzgitter Bad und Seesen.
Der Burgturm überragt hier alles. An zwei steinernen Torsäulen vorbei geht’s eine holprige Pflastersteinzufahrt hinauf, als führe man direkt in Grimms Märchenbuch. Zwischen den hohen verwitterten Gebäuden scheint die Zeit stehen geblieben. Wäre da nicht ein meterhohes Anarchiezeichen an der Burgmauer. Ein fetter Truthahn nimmt uns die Vorfahrt. Hühner flattern aufgeregt davon, ein Hundewelpe jagt ein Katzenbaby und ein Grimmiger mit selbstgehäkeltem Pullover schwingt die Axt und stapelt das gespaltene Holz in Kisten.
Wir halten vor den weit geöffneten Torflügeln zur Burgmosterei. Außer dem Holzhacker sind keine weiteren Männer zu sehen. An den Apfelpressen und Saftabfüllanlagen haben fünf junge Frauen das sagen. Schürzen, grobe Stiefel, Kopftuch. Würden da nicht bei mindestens einer ein paar Rastahaare hervorlugen, wär's eine Zeitreise ins 19. Jahrhundert. Und wie gut die drauf sind. Die lachen sogar noch, als sie zu zweit 40 Kilo Apfelbottiche schleppen.
Dass das allerdings für Menschen von heute alles andere als spaßig ist, werden wir gleich erfahren, denn hier ist aktive Mithilfe angesagt: Unter den Augen der Kopftuch-Rastalady stehe ich mit Frau am Elevator um unsere Ernte einzuschütten.
Ich gebe mein Bestes, aber der Schreibtischjob, der Rücken, das Körpergewicht … O.k., ich mache keine so gute Figur, lasse mir aber nichts anmerken und mich anschließend auf grobe selbstgetischlerte Bänke fallen, die hier dankenswerterweise mit Blick auf die arbeitenden Mosterinnen aufgestellt sind. Es gibt lecker Selbstgebackenes und Kaffee gegen Spende. Frau hilft weiter beim Abfüllen, ich spende.
Und dann komme ich kaum noch von der Bank hoch. Dem Truthahn fällt meine Arbeitsverweigerung als erstem auf, jedenfalls kommt er gefährlich nahe. Ob der auf solche Härtefälle abgerichtet ist? Ich würge den Rest vom dritten Stück Vollkornkuchen runter und erhebe mich mühsam.
Zwei der Kopftuchträgerinnen stehen an der frühindustriellen Presse, so ein schweres Eisenteil bis zur Decke, und verteilen die geschredderten Äpfel Lage um Lage auf groben sackartigen Stoffen, bis die Presse von oben Druck macht.
Und das ist übrigens der einzige Druck von oben, der hier geduldet wird, wie die burgeigene Internetseite erklärt: „Wir wollen ohne Herrschaftsstrukturen nach anarchistischen Gesichtspunkten zusammenleben. Wir erarbeiten unseren Unterhalt selbstständig. Dabei lehnen wir hierarchische Strukturen und lohnabhängige Arbeit ab und streben Selbstbestimmung an. Hier gibt es also weder Chefin noch Chef.“
Bei einem Erkundungsgang über den weiten Hof, auf der vergeblichen Suche nach irgendwas Verbotenem oder dem letzten Waffenversteck der RAF treffe ich doch noch auf ein männliches Gesicht. Aber der ist nicht von hier, sondern so ein weißhaariger Alt-Kommunist mit Kamera, den ich schon mal zwischen roten Fahnen auf dem Braunschweiger Kohlmarkt gesehen habe.
„Wir haben hier politisches Wochenendseminar!“ Die Frage, ob es da auch was von diesem Vollkornkuchen gäbe, beantwortet er nicht. Für die Arbeiterinnen hat er keinen Blick. Er knipst lieber altes Gemäuer und ich bin sogar sicher, vom Frischgepressten bekommt er Sodbrennen. Ich flüchte zurück zur Arbeit, als er mir den Unterschied zwischen Castro und Gaddafi erklären will, stolpere dabei ungeschickt über ein Huhn, was von glockenhellem Lachen der Mosterinnen quittiert wird.
Es endet also lustig und nicht kitschig, als wir vollbeladen heimwärts fahren. Hinten im Wagen knackt es wie beim Lagerfeuer, als 200 Twist-Off-Deckel über abkühlendem Anarchie-Apfelsaft dichtmachen. Man, ich freue mich und lächle zur Frau rüber. Dass muss ziemlich grenzdebil ausgesehen haben, jedenfalls schaut sie zurück, als hätte sie gerade Zitronensaft getrunken. Frauen können so unromantisch sein.
http://www.mosterei-burg-lutter.de/
http://www.burg-lutter.de/
http://www.subway.de/289/lebensraum/kolumnen/artikel/anarchie-apfelsaft-13649.html
Eine Geschichte, die mit einem Apfelbaum anfängt, könnte nach hinten raus ziemlich kitschig enden. Ich versuche es trotzdem mal: Der Baum steht vor dem Häuschen der Oma. Und wir schüttelten den so lange, bis der Rasen darunter mit dem guten Boskop bedeckt war. Dann in Bettbezüge eingesammelt, ins Auto und zur Mosterei Burg Lutter“ das ist in Lutter am Barenberge, von Braunschweig aus zwischen Salzgitter Bad und Seesen.
Der Burgturm überragt hier alles. An zwei steinernen Torsäulen vorbei geht’s eine holprige Pflastersteinzufahrt hinauf, als führe man direkt in Grimms Märchenbuch. Zwischen den hohen verwitterten Gebäuden scheint die Zeit stehen geblieben. Wäre da nicht ein meterhohes Anarchiezeichen an der Burgmauer. Ein fetter Truthahn nimmt uns die Vorfahrt. Hühner flattern aufgeregt davon, ein Hundewelpe jagt ein Katzenbaby und ein Grimmiger mit selbstgehäkeltem Pullover schwingt die Axt und stapelt das gespaltene Holz in Kisten.
Wir halten vor den weit geöffneten Torflügeln zur Burgmosterei. Außer dem Holzhacker sind keine weiteren Männer zu sehen. An den Apfelpressen und Saftabfüllanlagen haben fünf junge Frauen das sagen. Schürzen, grobe Stiefel, Kopftuch. Würden da nicht bei mindestens einer ein paar Rastahaare hervorlugen, wär's eine Zeitreise ins 19. Jahrhundert. Und wie gut die drauf sind. Die lachen sogar noch, als sie zu zweit 40 Kilo Apfelbottiche schleppen.
Dass das allerdings für Menschen von heute alles andere als spaßig ist, werden wir gleich erfahren, denn hier ist aktive Mithilfe angesagt: Unter den Augen der Kopftuch-Rastalady stehe ich mit Frau am Elevator um unsere Ernte einzuschütten.
Ich gebe mein Bestes, aber der Schreibtischjob, der Rücken, das Körpergewicht … O.k., ich mache keine so gute Figur, lasse mir aber nichts anmerken und mich anschließend auf grobe selbstgetischlerte Bänke fallen, die hier dankenswerterweise mit Blick auf die arbeitenden Mosterinnen aufgestellt sind. Es gibt lecker Selbstgebackenes und Kaffee gegen Spende. Frau hilft weiter beim Abfüllen, ich spende.
Und dann komme ich kaum noch von der Bank hoch. Dem Truthahn fällt meine Arbeitsverweigerung als erstem auf, jedenfalls kommt er gefährlich nahe. Ob der auf solche Härtefälle abgerichtet ist? Ich würge den Rest vom dritten Stück Vollkornkuchen runter und erhebe mich mühsam.
Zwei der Kopftuchträgerinnen stehen an der frühindustriellen Presse, so ein schweres Eisenteil bis zur Decke, und verteilen die geschredderten Äpfel Lage um Lage auf groben sackartigen Stoffen, bis die Presse von oben Druck macht.
Und das ist übrigens der einzige Druck von oben, der hier geduldet wird, wie die burgeigene Internetseite erklärt: „Wir wollen ohne Herrschaftsstrukturen nach anarchistischen Gesichtspunkten zusammenleben. Wir erarbeiten unseren Unterhalt selbstständig. Dabei lehnen wir hierarchische Strukturen und lohnabhängige Arbeit ab und streben Selbstbestimmung an. Hier gibt es also weder Chefin noch Chef.“
Bei einem Erkundungsgang über den weiten Hof, auf der vergeblichen Suche nach irgendwas Verbotenem oder dem letzten Waffenversteck der RAF treffe ich doch noch auf ein männliches Gesicht. Aber der ist nicht von hier, sondern so ein weißhaariger Alt-Kommunist mit Kamera, den ich schon mal zwischen roten Fahnen auf dem Braunschweiger Kohlmarkt gesehen habe.
„Wir haben hier politisches Wochenendseminar!“ Die Frage, ob es da auch was von diesem Vollkornkuchen gäbe, beantwortet er nicht. Für die Arbeiterinnen hat er keinen Blick. Er knipst lieber altes Gemäuer und ich bin sogar sicher, vom Frischgepressten bekommt er Sodbrennen. Ich flüchte zurück zur Arbeit, als er mir den Unterschied zwischen Castro und Gaddafi erklären will, stolpere dabei ungeschickt über ein Huhn, was von glockenhellem Lachen der Mosterinnen quittiert wird.
Es endet also lustig und nicht kitschig, als wir vollbeladen heimwärts fahren. Hinten im Wagen knackt es wie beim Lagerfeuer, als 200 Twist-Off-Deckel über abkühlendem Anarchie-Apfelsaft dichtmachen. Man, ich freue mich und lächle zur Frau rüber. Dass muss ziemlich grenzdebil ausgesehen haben, jedenfalls schaut sie zurück, als hätte sie gerade Zitronensaft getrunken. Frauen können so unromantisch sein.
http://www.mosterei-burg-lutter.de/
http://www.burg-lutter.de/
Alexander Wallasch - 25. Nov, 11:45