Ein ominöser Heiler, Mettbrötchen und rote Gardinen
SUBWAY KOLUMNE FÜR MÄRZ 2011
Ja doch, ich weiß es ja selbst – eine Kolumne droht dann zu kippen, wenn der Kolumnist nicht mehr aufhören kann, über seine Kinder und Krankheiten zu schreiben. So gesehen hätte ich mir längst einen festen Schreibplatz in der Örtlichen verdient.
Also: In den vergangenen Jahren habe ich nicht weniger als neun Mal über meine Gebrechen berichtet. Von einer Nahtoderfahrung mit einem Rosinenbrötchen, über die Entdeckung der Prostata bis nach noch weiter hinten. Ja doch, der Rücken würde noch etliche Seiten füllen, wenn es nur nicht immer so persönlich wäre.
Also verspreche ich jetzt, dass die nun folgende Rücksichtnahme aber wirklich das Allerletzte sein wird. Nicht als Hilfe zur Selbsthilfe, sondern als finale Warnung. Und die beginnt an einem frostigen Morgen am Braunschweiger Hagenmarkt auf der Suche nach diesem ominösen Rückenheiler, der so ähnlich klingt, wie der ehemalige Bundeskanzler, der jetzt russisches Gas verkauft.
Die Sonne scheint kalt. Hagenmarkt Ecke Casparistraße beobachte ich die Schlachterfräuleins beim Mettaufhäufeln. Schöne Farben. Ton in Ton zu den engen rosaroten Kitteln. Gegenüber logieren Liebesdienerin. Das weiß ich aus Inseraten. Man erkennt es bei genauerem Hinsehen an den blickdichten roten Vorhängen in den oberen Stockwerken. Angeblich soll es dort auch einen Hinterhofbetrieb mit weiteren Damen geben.
Da der Wunderheiler auch auf einem Hinterhof zu finden sein soll, wird mir ein wenig bange. Aber ich habe Glück, denn der Rückenbrecher arbeitet direkt vis-a-vis der Fleischhaufen. Und es gehört sicher abends noch mehr Mut dazu, ihn zu besuchen, als für einen Vegetarier am Morgen diese öffentlichen rosa Fleischgelüste zu bestaunen.
Warum? Die kleine Gasse die sich Richtung Praxis auftut ist so eng und düster und die Eingangstür zum Knochenverdreher so rammschig, das ich mir sicher bin, nach 19 Uhr, wenn die Laternen ausgehen, gehört dieser Ort zu jenen Braunschweiger Orten mit höchster Kriminalitätsrate. Egal, also rein.
Neben mir drängt sich eine Alte mit Krücken in den engen Lift. Uns beiden ist klar: Wer zu erst oben rauskommt, der wird auch zuerst durchgeschüttelt. Ob die Dame schon mal hier gewesen ist? Ist etwas schief gegangen?
Viel, viel später werde ich mich an sie erinnern, als ich in fadenscheiniger Unterhose eine Erklärung unterschreiben muss, dass der Doktor nicht schuld ist, wenn etwas schiefgeht. Aber gut, die Praxis ist zunächst das Gegenteil des Praxiseingangs. Großräumiger Empfangsraum. Hektische Betriebsamkeit.
´Der Ton des Personals ist süffisant-burschikos. In die Jahre gekommene Attraktivität von Gleichgültigkeit gezeichnet. Ich denke mir noch nichts dabei. Wird wohl bei den ganzen Verkrümmten so eine Art Abwehrhaltung sein. Also sitze ich geschlagene Zweieinhalbstunden in einem rammelvollen viel zu engen Wartezimmer und rutsche, wie alle anderen hier, von einer Arschbacke auf die andere.
Mit Rücken ist nicht gut sitzen. Als ich dann doch noch meinen Namen aus dem Lautsprecher knistern höre, springe ich auf, was ich besser nicht hätte tun sollen. Aber auch schon egal, ich bin ja nun dort, wo so viele andere hin wollen, die aber nicht die Geduld mitbringen monatelang auf einen Termin zu warten.
Der dauert dann exakt fünf Minuten und besteht darin, das ich mich fast komplett ausziehen muss, während mich so ein junger Kerl auf seine Frottee-rosa bespannte Liege schmeißt, sich dann so obendrauf, als wären auch hier rote Gardinen an den Fenstern. Nach dieser hochmerkwürdigen und schmerzvollen Grundschulbalgerei samt übler Knackgeräusche erklärt das wilde Bürschchen über mir, das nun alles wieder gut sei und ich getrost nach Hause gehen könne – das Problem wäre behoben und die Bandscheibe könne drin bleiben.
Das war alles? Zurück auf dem Hagenmarkt mache ich zwei unvorsichtige Schritte, und schon fährt es mir wieder gewohnt messerscharf ins Kreuz. Und dafür hat die Kasse nun mehr bezahlt, als die Liebesdienerinnen gegenüber für so eine läppische Fünf-Minuten-Massage verlangen würden.
Denn die massieren laut Inserat für eine volle Stunde body-to-body und sind dabei auch noch völlig nackt! Und ich bezweifle, das man dort monatelang auf einen Termin warten oder stundenlang unbequem vorsitzen muss, bis man endlich Erleichterung findet.
Fazit: Ein Hinterhof bleibt immer Hinterhof. Ob nun mit oder ohne rote Gardinen. Und während ich mich in Trippelschritten vorwärtspirsche, winkt die Schlachtereifachverkäuferin mitleidig mit einem Mettklümpchen herüber und das kostet dort auf Brötchenhälfte mit Zwiebelringen obendrauf 1,40 Euro. Eine gute Investition. Und die ist am Hagenmarkt offensichtlich zur Seltenheit verkommen.
Ja doch, ich weiß es ja selbst – eine Kolumne droht dann zu kippen, wenn der Kolumnist nicht mehr aufhören kann, über seine Kinder und Krankheiten zu schreiben. So gesehen hätte ich mir längst einen festen Schreibplatz in der Örtlichen verdient.
Also: In den vergangenen Jahren habe ich nicht weniger als neun Mal über meine Gebrechen berichtet. Von einer Nahtoderfahrung mit einem Rosinenbrötchen, über die Entdeckung der Prostata bis nach noch weiter hinten. Ja doch, der Rücken würde noch etliche Seiten füllen, wenn es nur nicht immer so persönlich wäre.
Also verspreche ich jetzt, dass die nun folgende Rücksichtnahme aber wirklich das Allerletzte sein wird. Nicht als Hilfe zur Selbsthilfe, sondern als finale Warnung. Und die beginnt an einem frostigen Morgen am Braunschweiger Hagenmarkt auf der Suche nach diesem ominösen Rückenheiler, der so ähnlich klingt, wie der ehemalige Bundeskanzler, der jetzt russisches Gas verkauft.
Die Sonne scheint kalt. Hagenmarkt Ecke Casparistraße beobachte ich die Schlachterfräuleins beim Mettaufhäufeln. Schöne Farben. Ton in Ton zu den engen rosaroten Kitteln. Gegenüber logieren Liebesdienerin. Das weiß ich aus Inseraten. Man erkennt es bei genauerem Hinsehen an den blickdichten roten Vorhängen in den oberen Stockwerken. Angeblich soll es dort auch einen Hinterhofbetrieb mit weiteren Damen geben.
Da der Wunderheiler auch auf einem Hinterhof zu finden sein soll, wird mir ein wenig bange. Aber ich habe Glück, denn der Rückenbrecher arbeitet direkt vis-a-vis der Fleischhaufen. Und es gehört sicher abends noch mehr Mut dazu, ihn zu besuchen, als für einen Vegetarier am Morgen diese öffentlichen rosa Fleischgelüste zu bestaunen.
Warum? Die kleine Gasse die sich Richtung Praxis auftut ist so eng und düster und die Eingangstür zum Knochenverdreher so rammschig, das ich mir sicher bin, nach 19 Uhr, wenn die Laternen ausgehen, gehört dieser Ort zu jenen Braunschweiger Orten mit höchster Kriminalitätsrate. Egal, also rein.
Neben mir drängt sich eine Alte mit Krücken in den engen Lift. Uns beiden ist klar: Wer zu erst oben rauskommt, der wird auch zuerst durchgeschüttelt. Ob die Dame schon mal hier gewesen ist? Ist etwas schief gegangen?
Viel, viel später werde ich mich an sie erinnern, als ich in fadenscheiniger Unterhose eine Erklärung unterschreiben muss, dass der Doktor nicht schuld ist, wenn etwas schiefgeht. Aber gut, die Praxis ist zunächst das Gegenteil des Praxiseingangs. Großräumiger Empfangsraum. Hektische Betriebsamkeit.
´Der Ton des Personals ist süffisant-burschikos. In die Jahre gekommene Attraktivität von Gleichgültigkeit gezeichnet. Ich denke mir noch nichts dabei. Wird wohl bei den ganzen Verkrümmten so eine Art Abwehrhaltung sein. Also sitze ich geschlagene Zweieinhalbstunden in einem rammelvollen viel zu engen Wartezimmer und rutsche, wie alle anderen hier, von einer Arschbacke auf die andere.
Mit Rücken ist nicht gut sitzen. Als ich dann doch noch meinen Namen aus dem Lautsprecher knistern höre, springe ich auf, was ich besser nicht hätte tun sollen. Aber auch schon egal, ich bin ja nun dort, wo so viele andere hin wollen, die aber nicht die Geduld mitbringen monatelang auf einen Termin zu warten.
Der dauert dann exakt fünf Minuten und besteht darin, das ich mich fast komplett ausziehen muss, während mich so ein junger Kerl auf seine Frottee-rosa bespannte Liege schmeißt, sich dann so obendrauf, als wären auch hier rote Gardinen an den Fenstern. Nach dieser hochmerkwürdigen und schmerzvollen Grundschulbalgerei samt übler Knackgeräusche erklärt das wilde Bürschchen über mir, das nun alles wieder gut sei und ich getrost nach Hause gehen könne – das Problem wäre behoben und die Bandscheibe könne drin bleiben.
Das war alles? Zurück auf dem Hagenmarkt mache ich zwei unvorsichtige Schritte, und schon fährt es mir wieder gewohnt messerscharf ins Kreuz. Und dafür hat die Kasse nun mehr bezahlt, als die Liebesdienerinnen gegenüber für so eine läppische Fünf-Minuten-Massage verlangen würden.
Denn die massieren laut Inserat für eine volle Stunde body-to-body und sind dabei auch noch völlig nackt! Und ich bezweifle, das man dort monatelang auf einen Termin warten oder stundenlang unbequem vorsitzen muss, bis man endlich Erleichterung findet.
Fazit: Ein Hinterhof bleibt immer Hinterhof. Ob nun mit oder ohne rote Gardinen. Und während ich mich in Trippelschritten vorwärtspirsche, winkt die Schlachtereifachverkäuferin mitleidig mit einem Mettklümpchen herüber und das kostet dort auf Brötchenhälfte mit Zwiebelringen obendrauf 1,40 Euro. Eine gute Investition. Und die ist am Hagenmarkt offensichtlich zur Seltenheit verkommen.
Alexander Wallasch - 28. Jan, 10:23