Samstag, 17. März 2012

Hand auf's Herz türkische Maria

maria
(Bild: http://www.theavemaria.org/Maria01.gif)

SUBWAY-Kolumne April 2012
http://www.subway.de/293/lebensraum/kolumnen/artikel/hand-auf-s-herz-tuerkische-maria-14318.html

Jetzt muss ich mal mit einer Einseitigkeit aufräumen. Und das betrifft Mitbürger mit Migrationshintergrund. Die gängige Auffassung geht ja oft so: Die sind Spitze in Kriminalität, im Hartz4 empfangen, im Frauen schlagen, in der Integrationsverweigerung.

Ob das nun von Fall zu Fall stimmt, sei für den Moment mal dahingestellt. Ich möchte jedenfalls eine weitere ganz persönliche Wahrheit hinzufügen. Und die geht so:

Wer nachts und am Wochenende als Notfall in eine deutsche Klinik – genauer in die an der Braunschweiger Salzdahlumer Straße – eingeliefert wird, hat beste Chancen fast ausschließlich von der Anmeldung über die Schwestern bis zur Ärztin auf Deutsche mit Migrationshintergrund zu treffen. Und – schon mal vorweg gesagt – das ist in Braunschweig alles andere als ein Grund zur Panik. Besser noch, es kann dazu beitragen, eine ganz andere Art Panik zu vermindern.

Wie das? Eine anstrengende Woche mit anstrengenden Auseinandersetzungen mit einem anstrengenden Menschen lag hinter dem Kolumnisten. Als Wiedergutmachung winkte am Freitag eine viel versprechende Fahrt in den Norden zwecks eines interessanten Interviews. So weit so gut. Der Nordausflug wurde tatsächlich zur Erholung. Allerdings – wieder daheim begann auf einmal ein Stechen und Hauen im Oberbauch. Gefährlich ansteigend.

Meldet sich das Raststättenessen? Dieser ultrafettgebackene Fisch dieser plötzlich so dubios erscheinenden türkischstämmigen Köche? Oder lag's am großen Teller aus dem türkischstämmigen Brutkasten-Treibhaussalatbuffet?

Die Sache steigert sich binnen Minuten dramatisch. Frau schläft schon und der kleine Sohn schaut auf dem Sofa Fernsehen und dann herüber. Nein, der Vater sieht nicht gut aus und der ruft jetzt panisch den Notarzt. Aber der kommt überhaupt nicht! Also rufe ich 112.

Klein-Sohn schreit erschrocken auf, als die beiden Feuerwehr-Signalwesten mit schwerem Gerät einrücken. Ich fixiere verzweifelt Sohn um irgendwie ein letztes Bild mit "rüber" zu nehmen in die Ewigkeit. Ja, ja, es klingt unfassbar kitschig, aber so ist das wohl dann. Eine Stimmung wie "Glück auf", gesungen in Moll auf Schalke von Assauer in der letzten Aussauer Klarheits-Minute.

Kommt jetzt gleich die finale Ohnmacht? Nein, doch nicht. Erst noch eine wilde Schnappatmung, Vollverkabelung. Aber EKG gibt erstmal Entwarnung. Also doch der osmanische Fisch von der A7? Als der Defibrillator ungenutzt wieder rausgetragen wird, zittern die Beine. Wohl vor Erleichterung.

Das Zittern allerdings sieht so gefährlich aus, das es einen neuen Panikschub verursacht. Die Blaulichtfahrt im Krankenwagen wird zur wackligen Angelegenheit. Lieber Herr Bürgermeister, die Frostschäden sind nicht gut fürs Herz, unbedingt reparieren lassen!

Dann checken wir endlich in der Notaufnahme ein. Neben mir auf Stube liegt ein 92 jähriger. In seinem 92-jährigen Penis steckt ein Schlauch. Und aus dem läuft viel Blut in einen Klarsichtbeutel. Der arme alte Kamerad ist kein bisschen verassauert. Er erzählt mir sogar stundenlang mit warmer kameradschaftlicher Stimme Kreuzfahrtgeschichten, so, als lägen wir nicht in der Saldahlumer, sondern schwer angeschossen eng aneinandergekuschelt im frostigen Schützengraben vor Stalingrad.

Der nächste, den sie reinfahren hatte gerade seinen zweiten Herzanfall: Er ruft, so leger das in so einer Situation überhaupt noch möglich ist: "Hallo!", und kann dann seinen Durchfall nicht mehr halten.

Um zwei Uhr früh schwebt dann endlich diese wunderbare Internistin – Iranerin? – mit riesigem Ultraschallgerät zu uns in den Schützengraben. Blut, Scheiße, Krieg – alles egal. Denn nichts könnte uns jetzt noch daran hindern, unverhohlen zu dieser schlanken Lernschwester neben der Ärztin hinüber zu strahlen.

Ihr Lächeln beschießt uns aus nachtschwarz glänzenden Augen. Ja, sogar der 92-Jährige Kamerad strahlt wieder wie ein vor Saft strotzender 14-Jähriger. Vor uns steht leibhaftig eine türkischstämmige Marienstatue ganz in Weiß. Und dann berührt sie ihn – nein uns! – mit dunklen, schlanken Händen. Haut auf Haut.

Und diese Hände arbeiten mit einer Selbstverständlichkeit und mit einer Sanftheit, die in jeder anderen Situation durchaus Herzanfälle auszulösen in der Lage wäre. Aber hier ist es reinstes stilles Heilen als uns die türkische Maria ihre Hände aufs Herz legt. Ja, wir sind geheilt. Opa darf noch ausschlafen.

Mir bestellt Türkischmaria um drei Uhr dreissig ein Taxi nach Hause. Aus Sparsamkeitsgründen wählt sie Minicar. Oder weil es so noch etwas länger dauert? Jedenfalls warten wir gemeinsam unterm kaltem Neonlicht, das auf einmal so warm strahlt, als sei schon Weihnachten. Und ob ich nun will oder nicht – seit dem gehört mein Herz der Integration.
LB - 17. Mär, 12:12

So kann sie gelingen, die Integration

Man sieht, es geht doch! Wie so oft sollte man die Dinge also differenziert sehen. Vielen gelingt die Integration, aber Integrationsunwillige gibt es eben leider auch. Wie Dein Beispiel zeigt, sind Bildung, Ausbildung und Beruf der Schlüssel für eine gelungene Integration! Hier muss man ansetzen. Ich habe als Teenager für den Deutschen Kinderschutzbund türkische Kinder aus bildungsfernen Schichten bei den Hausaufgaben betreut. Viele davon waren richtig schlau und aufgeweckt! Sie muss man einfach stärker fördern, etwa durch Ganztagsschulen!

Alexander Wallasch - 17. Mär, 12:21

Ja, Ganztagsschulen sind gut. Solange unsere Kinder pünktlich um eins bei Mutti sind ;)
LB - 17. Mär, 12:26

Eure Kinder waren auch nicht gemeint ;). Da findet die Bildung ja zu Hause statt ;)!
Ani72 - 17. Mär, 14:13

Ich habe gestern zum ersten Mal in meinem Leben eine Moschee besucht. Und türkische Frauen näher kennen gelernt. Sehr freundlich, sehr herzlich, gebildet und beantworten sogar doofe Fragen von uns Deutschen. So wird man Vorurteile los....

Alexander Wallasch - 17. Mär, 16:05

Liebe Ani72 – es gibt ja keine "doofen Fragen" ;)
Schon gar nicht in einer Moschee. Und musstest Du auch den Seiteneingang für Frauen nehmen, oder war das eine der raren Moscheen, wo man zusammen rein darf? Sei es drum – cool, das Du es Dir angeschaut hast. Das halte ich auch für extrem wichtig. Sich eine Meinung zu bilden durch Kontakt. Allerdings gibt es viele, die wollen, das man aus dem Erlebten nur ein Fazit ziehen darf. Das ist dumm. Ich habe hier einfach mal im Text ein weiteres – neues – Fazit gezogen. Das gehört sich doch so. Es gibt selbstverständlich noch viele andere migrantine Katastrophen, die eben keine Vorurteile sind und Wandlung fordern. Hin zu Menschlichkeit, vielleicht sogar am Ende zu einem Bekenntnis zu einem hier bei uns angestammten Heimatgefühl – gerne modernisiert! warum auch nicht, wenn es dem Kern treu bleibt? – und zu einem aufgeklärten Wesenskern. Danke für Deinen Kommentar.
Ps.: "von uns Deutschen" – meinst Du da jetztdie Herkunftsdeutschen? Denn es gibt ja etliche Deutsche mit Migrantenhintergrund, die Moscheebesucher sind .. siehste mal, die Sache ist für alle verdammt kompliziert. Und sie verlangt Genauigkeit...
heinrich schmitz - 17. Mär, 14:18

Ja sind wir denn hier bei Polenz :-)

Alpha Gyne - 18. Mär, 10:14

Zuckerguss.

Lieber Wallasch!
Sorry, aber das muss jetzt sein.
Das da.. Du kannst das besser. Du bist am besten, wenn du dich an einem Gegner abarbeitest, wenn du dich gegen etwas heftig wehrst. Das meintest du hier vielleicht auch, aber von hinten hat dich die Political Correctness niedergeschlagen. Und jetzt liegst du im Zuckerguss. Nein, das ist wirklich zu süßlich. Bitte, bitte. Mach es
besser. Du kannst das.

Ich würde mich freuen, wenn du das ganze ironisch gemeint hast und nicht im Pathos versunken bist. Aber dazu fehlen mir jegliche Hinweise.
Ich verstehe auch nicht, dass man dazu noch sagt: Wallasch bringt es auf den Punkt. (Lese ich öfter auf FB, es stimmt ja auch meist, aber
diesesmal... das war nicht dein Niveau.)

Und irgendwie hast du es auch noch geahnt, wie sonst kann man sich diese glitzernde Madonna erklären.... (#bild)

Mit freundlichen Backen
Christine

Alexander Wallasch - 18. Mär, 10:26

Der Beitrag. Er will sagen: Die Mädels mit migrantem Hintergrund sind auf seltsame Weise näher am Menschen. Mir ist das vielleicht selbst suspekt, aber es ist meine Erfahrung, über die ich hier schreibe. Nicht erst seit gestern, sondern eine gewonnene. Die herkunftsdeutschen Schwestern (die aus der DDR lassen wir mal weg, da bin ich uneins) sind – jetzt kommt ein Klischee, das deshalb nicht weniger wahr ist – kaputt vom Feminismus, von der Suche ihrer Rolle in der Gesellschaft - ich weiß es nicht. Biestig, bockig, komisch. Das ist mein subjektiver Fakt in der Situation gewesen. Analyse kann gerne wer anders machen.
Vielleicht würde Sarrazin sogar sagen, es sei was Genetisches. ist es was Genetisches? Erziehung? Egal. Ändert ja spontan nix.
steppenhund - 18. Mär, 11:38

Ich finde Krankenschwestern mit Migrationshintergrund sehr liebenswert. Deswegen habe ich mir ja meine Frau, die Krankenschwester war, aus Bremen eingeführt. Sie hat sich auch sehr gut nach Österreich migrieren lassen;)
Aber Spaß bei Seite, mit einer ziemlich schlimmen Kolik bin ich in die Notaufnahme in Belgrad eingeliefert worden und sämtliche Vorurteile über schlechtere Behandlung wurden widerlegt. Allerdings hat mir der Urologe empfohlen, mich weitergehend in Wien untersuchen zu lassen, weil dort die besseren Geräte stehen. Und ohne MRT ging es dann auch nicht, die hätte ich in Serbien vorfinanzieren müssen. (Und tatsächlich war es bis zum histologischen Befund vier Tage nach der Operation noch nicht heraußen, was es nun tatsächlich war.
-
Aber die eigentliche Ursache ihrer Kolik würde mich nun schon interessieren. Und ob es Ihnen jetzt gut geht?
Alexander Wallasch - 18. Mär, 11:41

Werther Steppenwolf - ja, die Urologie ist eine gemeine Angelegenheit, die in gute Hände gehört. Ich glaube da habe ich auch schon drüber kolumniert ...Moment ...
Ja, das ist es: "Vorsicht Pullerflecken"
http://www.subway.de/256/lebensraum/kolumnen/artikel/vorsicht-pullerflecken-live-aus-dem-hotel-monopol-8194.html
Alpha Gyne - 18. Mär, 20:58

Analyse

Ich fühle mich hiermit aufgerufen. Subjektiv. Ja. Und dann? Warum hast du dann verallgemeinert? Ist doch irgendwie widersinnig. Aber es ist doch nur deine Defensive.
Und dann, au weia: "jetzt kommt ein Klischee, das deshalb nicht weniger wahr ist – kaputt vom Feminismus, von der Suche ihrer Rolle in der Gesellschaft - ich weiß es nicht. Biestig, bockig, komisch." Wo denn, was denn? Kenne ich die? Meiner Erfahrung nach wird gerne die "Feminismus"-Keule noch lieber und vor allem unbehelligter geschwungen als die "Nazi"-Keule.
Da möchte ich doch lieber etwas Genaueres wissen. Also ich, als Feministin. :-)
Freundlich über beide Backen hinaus
Christine

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