Freitag, 4. Mai 2012

KEIN SCHÖNER TAG ...

Freitag 16:45 Uhr. Endlich Bürofeierabend und Wochenende in Deutschland. Die Sonne scheint. Ja, das Leben ist schön. Sogar schön genug um den Mai zum echten Sommermonat aufzupumpen. Kaiserwetter. Und überall fröhliche junge Gesichter, die über 40 Jährige schon mal wehmütig machen können, wenn man nur genauer hinschaut. Ich schaue. Aber Wehmut ist die Schwester tiefer Freude, die wiederum Jüngeren verschlossen bleibt. Ausgleichende Gerechtigkeit? Ich weiß es nicht.

Aus einer offenen Kneipentür schallt David Guetta über Biergartentische hinweg auf die Straße.

http://www.youtube.com/watch?v=2gBhkJ6lEZA

Stumpfer Asphalt – obenauf ein Mädchen mit Nabelpiercing und kurzen Hosen auf ihrem Hollandrad. Ich fahre freihändig. Wie gut das tut. „Radweg am Fluss“ klingt wie ein englischer Film mit Überlänge. Ist aber nach fünf Minuten schon abgespult und führt auf eine neue Brücke zu. Stolz der Stadt. Freihängend. Betonumrandung. Frische Bepflanzungen und noch unkrautfreie Donauflusskieselwege.


http://www.brueckenweb.de/datenbank/bilder/bilder20/BAS39661_schumann2003-08-28Gesamtansicht.jpg

Dann völlig unvermittelt Geschrei, das so überhaupt nicht ins Bild passt: Die frischen Wohlfühlseifenblasen platzen sofort. Eine Traube Fahrradmenschen versammelt sich. Blickrichtung runter zum Fluss. Die Bauchnabelgepiercte schaut auch. „Du Scheißvotze!“ „Klatsch. Klatsch.“ Eine antwortet aufgebracht von der Brücke runter: „Sofort aufhören!!!“ Wieder von unten hoch in holprigem Deutsch: „Du alte Drecksvotze! Drecksvotze!“ „Klatsch.“ Eine Zuschauerin hält sich erschrocken die Hand vor den Mund. Zivilcouragierte zücken schon ihre Handytelefone. 110. Die ersten Meldungen werden abgesetzt.

Ich folge den Blicken nach unten und entdecke zuerst das verlassene Tretboot am Ufer. Dann etwas weiter die Böschung hoch ein Frau am Boden. Würgend über ihr der Schreier. Dunkelhaarig. Migrant. Schwarzes T-Shirt. Silberne Schrift vorne. Kettchen. Lochjeans. Schlank. Dunkelhäutig. Und so sehr Klischee, das weitere Klischees erzwungen werden. Ein Maitürke der seine viel jüngere deutsche Freundin in aller Öffentlichkeit verprügelt. Warum auch immer. Und bitteschön, was soll man da noch reininterpretieren?

Nein, der Typ ist offensichtlich trotz Trettbootfahrt bei Kaiserwetter kein verdammter Romantiker. Und die Szene macht ebenso starr wie wütend. Erst das ansteigende Röcheln löst bei den ersten Brückenguckern die Starre und offenbart den Wahrheitsgehalt eines weiteren Klischees: Es sind zwei couragierte Frauen, die zuerst den schmalen Pfad seitlich an der Brücke hinab zum Tatort eilen um sich dem migranten Wüterich entgegenzuwerfen. Das ist dann endlich auch Startschuss für alle. Wir eilen hinterher. Keine Ahnung, was uns bis dahin aufgehalten hat. Wut und Herzklopfen.

Der orientalische Flegel sieht wohl aus dem Augenwinkel was da auf ihn zukommt und lässt endlich ab. Seine Trettbootpartnerin rührt sich nicht. Er baut sich auf. Breitbeinig. Geballte Fäuste. Drohend. Dabei schreit er weiter. Sogar lauter werdend. „Du ALTE VOTZE! Siehst Du?“ Er zeigt dabei auf uns. „Siehst DU ES?“ Kurz bevor „Es“ ankommt, springt er doch noch zurück aufs Boot, das gefährlich schwankt und ein stückweit Richtung Flussmitte treibt. Die Frau setzt sich auf.


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„Polizei ist gerufen!“ ist die erste in beide Richtungen gemeinte Botschaft. Schreihals realisiert, dass sein Opfer in Sicherheit ist und reißt sich immer noch in höchster Erregung und Rage am T-Shirt. Das halbe Dutzend Helfer steht nun etwas verlegen und ratlos um die arme Frau am Boden, die noch ratloser scheint. Dicke Lippe. Geschwollener roter Hals. Panik wechselt in Verzweiflung. „Du ALTE VOTZE!“ Immer wieder hallt es in den verkorksten Maisommerhimmel. Und keiner kann es abstellen.

„Ihr Scheiß Deutschen!“ „IHR SCHEISSDEUTSCHEN!“ Ich schaue in die Gesichter der Helferinnen und ich weiß bis jetzt nicht warum ich es sagte und es klang auch erregter als gewollt und passte sich ein bisschen der Lautstärke des Bootsmannes an: „Ja, wunderbar dieses neue Multikultigefühl, ODER?“ Zwischendurch wieder vom Boot runter: „IHR SCHWEINE DEUTSCHEN!“ Eine schaut mich ganz trocken an und sagt dann mit so weit aufgerissenen Augen: „Das hat mit Multikulti überhaupt nichts zu tun. Das eine MÄNNER-FRAUEN-SACHE MEIN LIEBER!“

„Ich zeig Dich an wegen Volksverhetzung!“ Sie schaut mich erstaunt an. Dann lacht sie befreit hysterisch, zeigt mir den Vogel und fragt schnippisch, was dass denn bitte mit „Volksverhetzung“ zu tun hätte. Ich winke ab und verzichte darauf ihr zu erkläre, dass ich den Migranten und sein „IHR SCHEISSDEUTSCHEN!“ meinte und trolle mich zurück auf die Brücke zum Fahrrad. Mein Herz klopft wie nach einer Schlägerei in der 5.Klasse.

Die Idee allerdings mit der Klage wegen Volksverhetzung lässt mir keine Ruhe. Würde man damit durchkommen? Und würde das nicht ein Zeichen setzen? Aber was wäre das für eines und wem würde es was zeigen? Oder ist es doch nur eine ausgewachsene Blödheitsüberlegung aus der belämmerten Erregung heraus? Die nächste Gelegenheit es zu überprüfen kommt bestimmt. Aber dann hoffentlich nicht an so einem schönen Freitag im Mai, der sich – um noch einen schalen Witz anzuhängen – unvermittelt als ziemlich übler Brückentag entpuppte.
schneck08 - 4. Mai, 23:57

Empörung, Betroffenheit, Gender-Dinge, die Vorstellung von Kinderstube und Moral sowie westpolitsches Denken (altes Europa) incl. Frauen- und Migrationssachen sowie gesunder Stolz treffen ja leider öfters aufeinander, selten aber wohl so gedrungen, wie Ihnen das untergekommen ist. Eine Klage wegen Volksverhetzung würde wahrscheinlich genauso meta-theatralisch sein, wie es die Möglichkeit gewesen wäre, dem gewalttätigen Buben beispielsweise "Fuck Islam!" hinterherzurufen. Beides würde wohl kaum jenseits von Bühne verstanden werden, was die Ohnmacht nicht unbedingt lindert. /Uns eint mindestens der sich erhöhende Puls in solchen Situationen, für den man sich ja dann anschließend meist auch noch schämt, ich jedenfalls. Ich wünsche Ihnen Schöneres für den nächsten Feier- bzw. Brückentag!

Alexander Wallasch - 5. Mai, 08:11

Sie haben natürlich absolut recht und ich danke für den schönen Kommentar. Aber ich wollte den hilflosen Wut-Schwachsinn, der einem da so durch den Kopf geht nicht vorenthalten. Wut - egal in welcher Konzentration – macht also auf jeden Fall nicht klüger. Schönes WE!
Alexander Wallasch - 5. Mai, 08:42

Ach so, der gute Anwalt hat die Frage natürlich beantwortet und die Antwort wäre so gewesen:

130 Abs. 1 Nr. 2 StgB, aber nur wenn da gaaanz viele Leute die Öffentlichkeit machen. So bleibt's bei einer gewöhnlichen Beleidigung

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