Freitag, 13. April 2012

RA HEINRICH SCHMITZ – PsychKG 2.0 - Der Wahnsinn sitzt

Und wieder eine interessante und ebenso brisante Überlegung unseres lieben RA Schmitz !!! – diesmal zu einem gutgemeinten, aber wohl doch nicht so gut gelungenen neuen Erlass (sagt man "Erlass"?) der "Freunde der deutschen Psychiatrie" in NRW.

Ich musste dabei übrigens sofort an einen wundervollen Film denken – nein, nicht "Einer flog übers ..." sondern "Ich habe Dir nie einen Rosengarten versprochen" der mich in den 1980ern? mal sehr berührt hatte.

Danke Heinrich!





PsychKG 2.0 - Der Wahnsinn sitzt
von RA HEINRICH SCHMITZ

"Wir sitzen fest ! Wir werden verrückt !" Nein, diesmal sind es nicht nur die Patienten geschützter psychiatrischer Abteilungen,die schreien. Es sind die Pflegekräfte, die schon im April 2012 mit ihren Nerven am Ende sind.

Grund für den Aufschrei und die Hilfsanfragen vieler Pflegekräfte in der Psychiatrie ist eine ganz tolle "Verbesserung" des PsychKG in NRW.

Im November beschloss der NRW-Landtag mit der Mehrheit von SPD, Grünen, FDP und Linkspartei eine Änderung des PsychKG, die die böse,
menschenfeindliche BigBrother-Technologie der Videoüberwachung von fixierten Patienten gesetzlich verbot. Kamera aus, Feierabend, keine
Ausnahmen. Seitdem sitzt in einer geschlossenen Psychiatrie nicht nur der Patient fest, sondern auch das Pflegepersonal.

Die nach PsychKG in NRW untergebrachten Patienten sind nicht freiwillig und normalerweise nicht gerne dort. Das Gesetz dient dem Schutz des
Patienten oder anderer Menschen. Dazu ist es leider manchmal nicht zu vermeiden, einen Patienten zu fixieren, d.h. im Klartext ihm ans Bett zu fesseln. Fieses Gefühl, wie wohl jeder nachvollziehen kann. Das kann unter bestimmten Voraussetzungen vom Arzt angeordnet werden.

Bis zu dem grandiosen Kameraverbot konnten die Patienten in dieser für sie misslichen Situation mittels Videoüberwachung beobachtet werden.
Alle 15 Minuten musste jemand vom Personal im Raum nachsehen, ob der Patient o.k. war oder einen anderen Wunsch hatte, als den endlich
losgemacht zu werden.

Das fanden dann die Politiker, die in ihrer Mehrzahl vermutlich noch nie in einer Psychiatrie gearbeitet haben oder dort fixiert wurden, ganz
schlimm. Einer von ihnen, der FDP Mann Stefan Romberg, selbst Psychiater in Hamm, sah in den Patientenzimmern "Schutzräume , in denen
Videokameras nichts zu suchen hätten." Das klang ja alles so menschlich, so gut, so sozial, so freiheitlich, so links , so grün. Nur die CDU
wollte die Art der Überwachung den Ärzten überlassen, aber die hatten ja in NRW nix zu melden.

Also wurde reformiert, menschlich gemacht, verbessert was das Zeug hält. Der fixierte Patient wurde befreit ! Zwar nich von seinen Fesseln, aber immerhin von einer kleinen Cam an der Decke.


http://img.fotocommunity.com/images/Architektur/Marodes/ich-hab-dir-nie-einen-Rosengarten-versprochen-a27201687.jpg

Seit Dezember 2011 muss nun neben jedem fixierten Patienten eine sogenannte Sitzwache daneben sitzen. Das ist zwar oft vom Patienten absolut unerwünscht, weil er sich von diesem fremden Menschen belästigt und beobachtet fühlt, häufig sogar die Pflegeperson in sein akutes Wahnsystem integriert und durch den ständig neben ihm sitzenden Menschen große Angst entwickelt und daher nicht zur Ruhe kommt. Irgendwie blöd. Dumm gelaufen. Die alte Kameraüberwachung hatte er meistens schnell vergessen, der Sitzpfleger ist kaum zu übersehen.

Patienten, sie stark alkoholisiert sind, vielleicht noch zusätzlich ein paar Drogen konsumiert haben und fremdaggressiv sind, sehen das Pflegepersonal als Feind an, nicht als Hilfe. Sie brüllen, bedrohen, beschimpfen, bespucken und beleidigen die Sitzwache auf das Übelste.Sie
können ja sonst auch nicht viel machen mit ihren Gurten. Und es ist ja auch ihr gutes Recht sich auszutoben, sonst wären sie ja nicht in der
geschlossenen Abteilung. Es kommt schonmal zu Morddrohungen und nicht selten wird die Sitzwache noch mit der Urinflasche beworfen. Mit irgendwas muss der Patient sich ja abreagieren. Vorsicht bei der Berufswahl kann man da nur sagen. Das hatte der gute Herr Romberg und die menschenfreundlichen Landtagsabgeordneten wohl nicht einkalkuliert, bei ihrem Freiheitsbekenntnis.

Naja, Herr Romberg ist ja auch Arzt und
keine Pflegekraft. Dem kann's ja eigentlich egal sein. Der Arzt ordnet die Fixierung ja nur an, er musss sich ja nicht stundenlang neben den
Patienten setzen.

Aber die Pflegerin oder der Pfleger muss das alles heroisch über sich ergehen lassen und brav sitzen bleiben, man ist ja schliesslich
Profisitzer, hat Nerven aus Stahl, was soll's. Steht ja so - ohne Ausnahme - im Gesetz.

Bei suizidalen Patienten war es auch vorher schon sowieso durch permante Kontrollen gewährleistet, dass ihnen nichts Schlimmeres geschieht, da
war und ist das Personal ohnehin immer extrem wachsam.

Bei persönlichkeitsgestörten Patienten aber, die verstärkt Aufmerksamkeit wünschen und fordern, ist das menschliche Rumsitzen
leider ziemlich kontraproduktiv, da die Sitzwache zuverlässig verhindert, dass der Patient zur Ruhe kommen kann.



Die Gesetzesänderung wird nicht nur von gestressten Pflegekräften als absolutes Reformdesaster angesehen- sie tut den Patienten nicht gut und dem Personal auch nicht.

Und überhaupt: Wo soll man das für eine dauerhafte Sitzwache erforderliche professionelle Pflegepersonal denn so her nehmen? Es wird
gleichzeitig genau an diesem gespart, der Stellenschlüssel wurde nicht erhöht, ist zu teuer. Vor ein paar Tagen habe ich mit eigenen Augen eine kreative Lösung gesehen. Gleich 4 fixierte Patienten lagen in einem Raum
und brüllten auf einen Pfleger ein, der an diesem Tag das große Sitzwachenlos gezogen hatte. Für die Patienten und den Pfleger die reine
Freude. Ein vertrauliches Gespräch mit "meinem" fixierten Mandanten war kaum möglich. Ins Ohr wollte ich ihm nicht flüstern, er hätte mich
beißen können.

Und die anderen, nicht fixierten Patienten kommen zwangsläufig zu kurz. Für sie fehlt es folgerichtig an Ansprechpartnern. Vielleicht sollten sie einfach was randalieren, damit sich jemand zu ihnen setzt. Ein ganz tolle Verbesserung dieses schöne neue Gesetz.

Das eingesetzte Pflegepersonal ist schon nach zwei Stunden Sitzwache bei einem tobenden Patienten arg strapaziert, ist völlig groggy und
gestresst und will nur noch weg. Nachvollziehbar, oder ? Das hält kein Mensch lange aus. Und auch Pflegekräfte sind Menschen, keine Übermenschen.

Kein Wunder, dass immer weniger Leute diesen für die Gesellschaft wichtigen Beruf ergreifen wollen. Da wäre man ja völlig bekloppt, sich
so was freiwillig anzutun. Keiner setzt sich ins Kuckucksnest.

Super gemacht liebe Landesregierung, das nennt man einen Bärendienst. Da könnte man ja nach der Wahl im Mai mal drüber nachdenken.

Aber es war ja so gut gemeint und so schlecht gemacht.

Von RA HEINRICH SCHMITZ
LB - 14. Apr, 12:02

Zustimmung

Sehr gut, Heinrich! Du hast in allen angesprochenen Punkten absolut Recht!

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