SIE NENNEN ES "MASTERPLAN"
Ein Plädoyer für den Gartenzaun
http://www.team.blackforesttour.de/Bilder_bis_Istanbul/3.tag_gartenzaun.jpg
Meine kleine Welt soll so etwas wie ein „neue Weltordnung“ bekommen – zumindest kam es uns im ersten Moment so vor, als der Brief von der Genossenschaft mit der Einladung auf dem Tisch lag. Ja, wir wohnen genossenschaftlich, sind also Miteigentümer an einer Menge von Wohnungen und Häusern von denen wir selbst eines bewohnen. Beschaulich mit großem Garten; angrenzend an ein unverbaubares städtisches Grundwasserschutzgebiet. Dort wird für die Stadtbewohner optional Wasser entnommen, wenn es die Füllungen der Talspeeren mal nicht mehr hergeben.
Wir wohnen hier schon über ein Jahrzehnt. Ganz früher, als hier Stein auf Stein gesetzt wurde, entstand eine kleine Gartenstadt für Arbeiter für das ebenfalls neu gebaute nahe Volkswagenwerk. Alles schon im Zeichen des Hakenkreuzes, aber davon merkt man heute nichts mehr. Vor den Sanierungen und Renovierungen in den frühen 1990er Jahren wohnten hier bereits Studenten und Alternative. Der Flair ist erhalten geblieben, aber nicht künstlich gentrifiziert, sondern nach und nach verwässert. Und das ist schön.
Eine bunte Mischung von Menschen, von denen ein paar sogar noch hier aufgewachsen sind, aber ein größerer Teil hat sich bewusst für dieses Viertel entschieden. Beispielsweise als das erste Kind kam und das Leben in der Stadt mit all ihren Vergnügungen nicht mehr als optimalste Lösung betrachtet werden konnte. Der Bus braucht nur wenige Minuten in die Stadt, man wohnt also stadtnah ohne wirklich schon Stadt zu sein.
Jedenfalls kam nun besagter Brief, der alle Bewohner darüber informiert, das man nun einen „Masterplan“ hätte. Das ist erstaunlich, denn zumindest was das Wohnen hier angeht, haben wir unseren Masterplan längst verabschiedet: Schöner wohnen, mit Kindern im Grünen nahe der Stadt in einer Atmosphäre, die dennoch nichts von einer architektonisch-stadtplanerischen Vorstadtidylle hat. Und dafür gibt es ja schon genug Negativbeispiele. Vieles von dem, was zum Zwecke des Wohnens für Tausende in den 1960er-1980er Jahren auf dem Reissbrett entstand, wird längst wieder abgerissen. Unser Viertel von 1936 gehört nicht dazu. Da muss man wohl oder übel zugeben, das die Stadtplanung 1936 eine andere war, als die 1960.
http://www.welt.de/img/dc5-images/crop101117914/4978727729-ci3x2l-w620/osdorfer-hh.jpg
Das Menschenbild von 1960 hat sich rasant schnell verändert. Und die Bauten waren wohl zu nah an der bloßen Nachkriegs-Idee eines völlig neuen Menschenbildes orientiert. Nach 1945 gab es Unmengen von Masterplänen wie der neue Mensch nun wohnen sollte. Die Plattenbauten der DDR sind das klarste und wohl abstoßendste Beispiel dafür. Aber die betonierten Wohnhöllen der westdeutschen Vorstädte brauchten sich dahinter nicht zu verstecken. Übrigens nicht einmal ein deutsches, sondern ein europäisches Problem, denkt man die Vorstadt-Kriege der jüngsten Vergangenheit in den Pariser Vororten und anderswo mit. Und nicht zu vergessen – nicht immer war der reine Wohnraummangel der Dirigent des Wahnsinns. Es steckte immer auch ein Masterplan dahinter, der höher hinaus wollte.
Wir haben also einen Masterplan – So wie wir einen Masterplan Integration, einen Masterplan Euro und sogar einen Masterplan Gender Mainstreaming haben. In diese Reihe sortieren wir unseren überraschend mitgeteilten Masterplan also zunächst ebenfalls mit ein. Ja, wir denken die ganzen großen Katastrophen sofort mit, wenn es um unsere bescheidene Hütte geht. Da sind wir ganz und gar dimensionslos.
Was steht also drin in diesem Anschreiben, das wir es sofort als Angriff empfunden haben? Liegt es an der Feststellung eines „Masterplans“, am Begriff, den wir übergangslos als Fremdbestimmung dechiffriert haben? Man schreibt uns, das man eine Bestandsaufnahme gemacht hätte, die man analysiert hat und man will nun über eine weitere Entwicklung der Siedlung sprechen. Die Idee, das sich etwas von alleine, also irgendwie organisch entwickeln könnte – man den Dingen also ihren Lauf lassen will, und es läuft ja auch, zumindest empfinden wir das so – ist nicht vorgesehen.
Sogar weitere „Entwicklungsprozesse“ sind in enger Zusammenarbeit mit dem Stadtplanungsamt bereits besprochene Sache. Mehr noch, ein Ergebnis läge sogar schon vor, das man vorstellen und diskutieren will. Auch da sofort Bedenken. Diese Art von Diskussion am Rande vollendeter Tatsachen meint man zur Genüge zu kennen, aber seit Stuttgart 21 wird eben in solchen heiklen Fällen zur Diskussion eingeladen.
Da hat man was draus gelernt von der niedrigsten bis zur höchsten Ebene hinauf. Und dort oben sogar jüngst auf höchsten Befehl: Das Bundesverfassungsgericht fordert mehr Diskussion über die Regierungs-Masterpläne für Europa.
Und bevor wir wieder zurück in unsere Siedlung zum neuen Masterplan gehen, noch mal ein Abstecher, worum es im größeren Ganzen geht: Das Grundbedürfnis Behausung ist zunächst Handelsgut, wie Wärme, Bekleidung und Nahrung auch. Häuser werden gebaut, gekauft oder vermietet. Daran ist nichts Außergewöhnliches. Und im Kapitalismus verkauft, baut vermietet der erfolgreich, der sein Angebot schnellstmöglich der Nachfrage anpasst. Das verspricht Entscheidungsfreiheit. Jawohl, Freiheit heißt Auswahl. Das große Erfolgsprinzip des kapitalistischen Modells.
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/aa/Bundesarchiv_Bild_146-1983-018-03A,_%22Germania%22,_Modell_%22Große_Halle%22.jpg
Aber nun kommt noch die Freiheit des Unternehmers hinzu, noch erfolgreicher sein zu wollen. Die erfolgreichste unternehmerische Idee also: nicht nur die Nachfrage befriedigen, sondern Nachfrage künstlich zu generieren, zu erzeugen. Diese Vorgehensweise ist sogar zum eigentlichen Motor des Systems geworden. Unternehmen haben deshalb nicht nur einen, sondern viele flexible Masterpläne. Die Schlagworte heißen: Effektivität und Gewinnmaximierungen. Die Akzeptanz dafür ist auch vorhanden, so wie … ja, beispielsweise gegen einen neuen Ipod nichts einzuwenden ist. Vom unbeweglichen Plattenspieler über den Walkman zum Ipod – eine Riesenschritt. Und eine Kette von Masterplänen und Werbeaktionen, die maximale Begehrlichkeit geweckt haben.
Aber niemand kann behaupten, so ein Ipod wäre die Befriedigung ein Grundbedürfnisses.
Wie weit sind heute also Grundbedürfnisse wie Behausung ebenso verhandel- und wandelbar geworden, wie die Art Musik zu hören bzw. zu verkaufen? Deshalb sind wir Wohngenossenschaftsmitglieder geworden. Weil wir zumindest bei diesem Grundbedürfnis auf Nummer sicher gehen – weil wir uns von unternehmerischen Masterplänen unabhängig machen wollten. Weil wir da doch lieber beim Plattenspieler bleiben wollen. Damit fühlen wir uns freier. Wir genießen dieses Stück Freiheit vom Kapitalismus. Freiheit von Angebot und Nachfrage, die wir innerhalb dieser Genossenschaft selbst mitbestimmen. Bedürfnis- und nicht marktorientiert.
Der Mehrwert liegt auch klar auf der Hand: Eine Genossenschaft kann auch Wohnmodelle erhalten, die für den Moment nicht nachgefragt scheinen. Wohnraum mit Garten für Familien beispielsweise auch wenn die Großfamilie nicht mehr das gefragte Modell der Zukunft scheint. Leerstand gibt es trotzdem nicht, einzig der Einzugradius vergrößert oder verkleinert sich nach Bedarf. Und hier die entscheidende Erkenntnis: Würde man sich auch hier strikt nach Zeitgeist und vermeintlicher Nachfrage richten, würde das Lebensmodell „Familie mit Kindern“ noch unattraktiver werden. Wohnraum ist also ein Politikum. Schon immer gewesen.
http://blogs.taz.de/reportvorort/files/2008/09/stefan.jpg
„Jeder sollte nach seiner Facon glücklich werden“ – eine Voraussetzung dafür ist eben nicht der Masterplan 2012, nicht die alleinige Befriedigung Angebot und Nachfrage, sondern bedeutet Optionen zu erhalten für ein Maximum an Freiheit. So gesehen ist dann auch der Gartenzaun die maximalste Form persönlichen Freiheit. Die Unantastbarkeit von Wohnraum.
Diesem hölzernen Gartenzaun bleibt im Ranking der erfolgreichsten Baumarktverkäufe ein vorderster Platz sicher. Und das ist auch gut so! Denn seien wir ehrlich, Abgrenzung gehört nach wie vor zu den begehrtesten Freiheiten überhaupt. Selbstbestimmung ist im Gartenzaun perfekt formuliert. Stuhlkreise, Miteinander, Wohngemeinschaften, interkulturelle Wohnprojekte – alles letztlich eine Form der Konfrontation. Der Mensch führe nun Mal ein Dasein, das ihn zum kommunikativen Wesen verdammt hat? Einverstanden, aber muss er deshalb in maximierten Wohnanlagen leben, die kommunikativ sein wollen und doch nur gewinnmaximierte Wohneinheiten bleiben? Kommunikation hat sich im Zeitalter von Facebook und Co. grundlegend verändert. Nähe ist längst keine Distanzfrage mehr.
Natürlich. Der Wunsch nach Berührungen, nach Zärtlichkeit ist gleich geblieben. Aber da kann auch kein Masterplan „Schöneres Beisammenwohnen“ helfen. Das erreicht man nicht durch den Abriss angestammter Gartenzäune. Es gibt keine Freiheit zur Nähe. Es gibt nur die Freiheit von hier bis zum nächsten Gartenzaun. Von Eigentum zu Eigentum. Vom Genossenschaftsbesitz zum Genossenschaftler. Oder vom eigentumsähnlichen zum manchmal schon eigentümlichen Verhältnis (Miete).
Und diese Freiheit ist so wertvoll wie eh und je, weil sie Privatsphäre, weil sie im Idealfalle privates Glück isoliert und erhält und eben nicht verhindert oder via Masterplan neu verhandelt. Veränderung ist der größere Maßstab. Der Gartenzaun bewahrt und erhält – so ist auch das Bewahrende, das Konservative die größere Freiheit.
Warten wir aber erstmal ab, was bei der Diskussion des Masterplans herauskommt. Wir werden hingehen. Auch, wenn wir uns ein bisschen wie Stuttgart 21 fühlen. Aber das ist uns die Verteidigung unseres Gartenzaunes, die Verteidigung unserer Freiheit alle Mal wert.
http://www.team.blackforesttour.de/Bilder_bis_Istanbul/3.tag_gartenzaun.jpg
Meine kleine Welt soll so etwas wie ein „neue Weltordnung“ bekommen – zumindest kam es uns im ersten Moment so vor, als der Brief von der Genossenschaft mit der Einladung auf dem Tisch lag. Ja, wir wohnen genossenschaftlich, sind also Miteigentümer an einer Menge von Wohnungen und Häusern von denen wir selbst eines bewohnen. Beschaulich mit großem Garten; angrenzend an ein unverbaubares städtisches Grundwasserschutzgebiet. Dort wird für die Stadtbewohner optional Wasser entnommen, wenn es die Füllungen der Talspeeren mal nicht mehr hergeben.
Wir wohnen hier schon über ein Jahrzehnt. Ganz früher, als hier Stein auf Stein gesetzt wurde, entstand eine kleine Gartenstadt für Arbeiter für das ebenfalls neu gebaute nahe Volkswagenwerk. Alles schon im Zeichen des Hakenkreuzes, aber davon merkt man heute nichts mehr. Vor den Sanierungen und Renovierungen in den frühen 1990er Jahren wohnten hier bereits Studenten und Alternative. Der Flair ist erhalten geblieben, aber nicht künstlich gentrifiziert, sondern nach und nach verwässert. Und das ist schön.
Eine bunte Mischung von Menschen, von denen ein paar sogar noch hier aufgewachsen sind, aber ein größerer Teil hat sich bewusst für dieses Viertel entschieden. Beispielsweise als das erste Kind kam und das Leben in der Stadt mit all ihren Vergnügungen nicht mehr als optimalste Lösung betrachtet werden konnte. Der Bus braucht nur wenige Minuten in die Stadt, man wohnt also stadtnah ohne wirklich schon Stadt zu sein.
Jedenfalls kam nun besagter Brief, der alle Bewohner darüber informiert, das man nun einen „Masterplan“ hätte. Das ist erstaunlich, denn zumindest was das Wohnen hier angeht, haben wir unseren Masterplan längst verabschiedet: Schöner wohnen, mit Kindern im Grünen nahe der Stadt in einer Atmosphäre, die dennoch nichts von einer architektonisch-stadtplanerischen Vorstadtidylle hat. Und dafür gibt es ja schon genug Negativbeispiele. Vieles von dem, was zum Zwecke des Wohnens für Tausende in den 1960er-1980er Jahren auf dem Reissbrett entstand, wird längst wieder abgerissen. Unser Viertel von 1936 gehört nicht dazu. Da muss man wohl oder übel zugeben, das die Stadtplanung 1936 eine andere war, als die 1960.
http://www.welt.de/img/dc5-images/crop101117914/4978727729-ci3x2l-w620/osdorfer-hh.jpg
Das Menschenbild von 1960 hat sich rasant schnell verändert. Und die Bauten waren wohl zu nah an der bloßen Nachkriegs-Idee eines völlig neuen Menschenbildes orientiert. Nach 1945 gab es Unmengen von Masterplänen wie der neue Mensch nun wohnen sollte. Die Plattenbauten der DDR sind das klarste und wohl abstoßendste Beispiel dafür. Aber die betonierten Wohnhöllen der westdeutschen Vorstädte brauchten sich dahinter nicht zu verstecken. Übrigens nicht einmal ein deutsches, sondern ein europäisches Problem, denkt man die Vorstadt-Kriege der jüngsten Vergangenheit in den Pariser Vororten und anderswo mit. Und nicht zu vergessen – nicht immer war der reine Wohnraummangel der Dirigent des Wahnsinns. Es steckte immer auch ein Masterplan dahinter, der höher hinaus wollte.
Wir haben also einen Masterplan – So wie wir einen Masterplan Integration, einen Masterplan Euro und sogar einen Masterplan Gender Mainstreaming haben. In diese Reihe sortieren wir unseren überraschend mitgeteilten Masterplan also zunächst ebenfalls mit ein. Ja, wir denken die ganzen großen Katastrophen sofort mit, wenn es um unsere bescheidene Hütte geht. Da sind wir ganz und gar dimensionslos.
Was steht also drin in diesem Anschreiben, das wir es sofort als Angriff empfunden haben? Liegt es an der Feststellung eines „Masterplans“, am Begriff, den wir übergangslos als Fremdbestimmung dechiffriert haben? Man schreibt uns, das man eine Bestandsaufnahme gemacht hätte, die man analysiert hat und man will nun über eine weitere Entwicklung der Siedlung sprechen. Die Idee, das sich etwas von alleine, also irgendwie organisch entwickeln könnte – man den Dingen also ihren Lauf lassen will, und es läuft ja auch, zumindest empfinden wir das so – ist nicht vorgesehen.
Sogar weitere „Entwicklungsprozesse“ sind in enger Zusammenarbeit mit dem Stadtplanungsamt bereits besprochene Sache. Mehr noch, ein Ergebnis läge sogar schon vor, das man vorstellen und diskutieren will. Auch da sofort Bedenken. Diese Art von Diskussion am Rande vollendeter Tatsachen meint man zur Genüge zu kennen, aber seit Stuttgart 21 wird eben in solchen heiklen Fällen zur Diskussion eingeladen.
Da hat man was draus gelernt von der niedrigsten bis zur höchsten Ebene hinauf. Und dort oben sogar jüngst auf höchsten Befehl: Das Bundesverfassungsgericht fordert mehr Diskussion über die Regierungs-Masterpläne für Europa.
Und bevor wir wieder zurück in unsere Siedlung zum neuen Masterplan gehen, noch mal ein Abstecher, worum es im größeren Ganzen geht: Das Grundbedürfnis Behausung ist zunächst Handelsgut, wie Wärme, Bekleidung und Nahrung auch. Häuser werden gebaut, gekauft oder vermietet. Daran ist nichts Außergewöhnliches. Und im Kapitalismus verkauft, baut vermietet der erfolgreich, der sein Angebot schnellstmöglich der Nachfrage anpasst. Das verspricht Entscheidungsfreiheit. Jawohl, Freiheit heißt Auswahl. Das große Erfolgsprinzip des kapitalistischen Modells.
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/aa/Bundesarchiv_Bild_146-1983-018-03A,_%22Germania%22,_Modell_%22Große_Halle%22.jpg
Aber nun kommt noch die Freiheit des Unternehmers hinzu, noch erfolgreicher sein zu wollen. Die erfolgreichste unternehmerische Idee also: nicht nur die Nachfrage befriedigen, sondern Nachfrage künstlich zu generieren, zu erzeugen. Diese Vorgehensweise ist sogar zum eigentlichen Motor des Systems geworden. Unternehmen haben deshalb nicht nur einen, sondern viele flexible Masterpläne. Die Schlagworte heißen: Effektivität und Gewinnmaximierungen. Die Akzeptanz dafür ist auch vorhanden, so wie … ja, beispielsweise gegen einen neuen Ipod nichts einzuwenden ist. Vom unbeweglichen Plattenspieler über den Walkman zum Ipod – eine Riesenschritt. Und eine Kette von Masterplänen und Werbeaktionen, die maximale Begehrlichkeit geweckt haben.
Aber niemand kann behaupten, so ein Ipod wäre die Befriedigung ein Grundbedürfnisses.
Wie weit sind heute also Grundbedürfnisse wie Behausung ebenso verhandel- und wandelbar geworden, wie die Art Musik zu hören bzw. zu verkaufen? Deshalb sind wir Wohngenossenschaftsmitglieder geworden. Weil wir zumindest bei diesem Grundbedürfnis auf Nummer sicher gehen – weil wir uns von unternehmerischen Masterplänen unabhängig machen wollten. Weil wir da doch lieber beim Plattenspieler bleiben wollen. Damit fühlen wir uns freier. Wir genießen dieses Stück Freiheit vom Kapitalismus. Freiheit von Angebot und Nachfrage, die wir innerhalb dieser Genossenschaft selbst mitbestimmen. Bedürfnis- und nicht marktorientiert.
Der Mehrwert liegt auch klar auf der Hand: Eine Genossenschaft kann auch Wohnmodelle erhalten, die für den Moment nicht nachgefragt scheinen. Wohnraum mit Garten für Familien beispielsweise auch wenn die Großfamilie nicht mehr das gefragte Modell der Zukunft scheint. Leerstand gibt es trotzdem nicht, einzig der Einzugradius vergrößert oder verkleinert sich nach Bedarf. Und hier die entscheidende Erkenntnis: Würde man sich auch hier strikt nach Zeitgeist und vermeintlicher Nachfrage richten, würde das Lebensmodell „Familie mit Kindern“ noch unattraktiver werden. Wohnraum ist also ein Politikum. Schon immer gewesen.
http://blogs.taz.de/reportvorort/files/2008/09/stefan.jpg
„Jeder sollte nach seiner Facon glücklich werden“ – eine Voraussetzung dafür ist eben nicht der Masterplan 2012, nicht die alleinige Befriedigung Angebot und Nachfrage, sondern bedeutet Optionen zu erhalten für ein Maximum an Freiheit. So gesehen ist dann auch der Gartenzaun die maximalste Form persönlichen Freiheit. Die Unantastbarkeit von Wohnraum.
Diesem hölzernen Gartenzaun bleibt im Ranking der erfolgreichsten Baumarktverkäufe ein vorderster Platz sicher. Und das ist auch gut so! Denn seien wir ehrlich, Abgrenzung gehört nach wie vor zu den begehrtesten Freiheiten überhaupt. Selbstbestimmung ist im Gartenzaun perfekt formuliert. Stuhlkreise, Miteinander, Wohngemeinschaften, interkulturelle Wohnprojekte – alles letztlich eine Form der Konfrontation. Der Mensch führe nun Mal ein Dasein, das ihn zum kommunikativen Wesen verdammt hat? Einverstanden, aber muss er deshalb in maximierten Wohnanlagen leben, die kommunikativ sein wollen und doch nur gewinnmaximierte Wohneinheiten bleiben? Kommunikation hat sich im Zeitalter von Facebook und Co. grundlegend verändert. Nähe ist längst keine Distanzfrage mehr.
Natürlich. Der Wunsch nach Berührungen, nach Zärtlichkeit ist gleich geblieben. Aber da kann auch kein Masterplan „Schöneres Beisammenwohnen“ helfen. Das erreicht man nicht durch den Abriss angestammter Gartenzäune. Es gibt keine Freiheit zur Nähe. Es gibt nur die Freiheit von hier bis zum nächsten Gartenzaun. Von Eigentum zu Eigentum. Vom Genossenschaftsbesitz zum Genossenschaftler. Oder vom eigentumsähnlichen zum manchmal schon eigentümlichen Verhältnis (Miete).
Und diese Freiheit ist so wertvoll wie eh und je, weil sie Privatsphäre, weil sie im Idealfalle privates Glück isoliert und erhält und eben nicht verhindert oder via Masterplan neu verhandelt. Veränderung ist der größere Maßstab. Der Gartenzaun bewahrt und erhält – so ist auch das Bewahrende, das Konservative die größere Freiheit.
Warten wir aber erstmal ab, was bei der Diskussion des Masterplans herauskommt. Wir werden hingehen. Auch, wenn wir uns ein bisschen wie Stuttgart 21 fühlen. Aber das ist uns die Verteidigung unseres Gartenzaunes, die Verteidigung unserer Freiheit alle Mal wert.
Alexander Wallasch - 24. Jun, 18:26