Sonntag, 9. Oktober 2011

DIE HINTERFOTZEN

Eine Annäherung an einen neuen Typus des Privatisierungsgegners.



Mir fällt der Begriff dafür nicht ein. Kann sein, das liegt daran, dass es ihn noch gar nicht gibt. Dann wird es aber höchste Zeit, ihn zu erfinden.
Er soll einen Typus erklären, der mit „Die 68er“ nicht mehr hinreichend beschrieben ist. Gemeint sind diese Jungs und Mädels mit der immer penetranter werdenden, omnipräsenten Aufforderung zu Verhaltensweisen, die ganz und gar nicht mehr dem Verhalten entsprechen, das man selbst für völlig normal hält.

Klar, man hat gelernt, über vieles hinwegzugehen. „LMAA“. Kühn behauptet, war „LMAA“ sogar mal so etwas wie die soziale Norm. Nicht überall, aber auch kein Kleinod. Trend. Zeitgeist. Und schon ein wenig albern im Gefolge von „No-Future“ angesiedelt. Aber was man heute als soziale Norm mitnehmen soll, wird immer befremdlicher und das Gefühl: „So, nun ist aber mal gut“, wie gegenüber einem renitenten Kind, wird stärker. Zwingender.

Es geht um diese selbsternannten Fachleute für soziale Normen, die immer frecher werden und zunehmend mit großer Fresse und nacktem Zeigefinger agieren. Es ist tatsächlich so: soziale Normen basieren scheinbar immer weniger auf Werten, vielmehr auf sozialer Kontrolle. Nicht die innere Kontrolle durch selbstgewählte, auf den persönlichen Vorteil bedachte Sozialisation. Sondern die äußere Kontrolle. Also diese abstoßende, von Sanktionen geprägte soziale Kontrolle. Ausgrenzung. Und die Waffenkammer ist reich munitioniert: Political Correctness und Gender Mainstreaming sind die Standard-Kanonen. Geschossen wird prophylaktisch. Stalingeorgelte, umstandslose Gedankenabtreibung. Alltag. Als Gewaltakt überhaupt nicht mehr erkennbar.

Was zunächst wie ein Gender-Problem ausschaut, weil es so weiblich ohne offenes Visier daherkommt, passiert geschlechterübergreifend. Diese Andreas-Baader-Joschka-Fischer Nachfolger, deren Originale zwar Feminismus auf der Agenda hatten, aber trotzdem gerne mal „Ihr Fotzen“ (Baader) geschimpft haben, sind heute selbst zu Fotzen geworden. Hinterfotzig.

Ist das schon der neue Begriff? „Die Hinterfotzen.“?

Wikipedia schreibt dazu:
Das Wort hinterfotzig ist gleichbedeutend mit ‚hinterhältig‘ oder ‚hinterlistig‘ Wird eine Person als hinterfotzig bezeichnet, ist damit gemeint, dass sie nicht ehrlich gegenüber anderen ist, sondern hinter deren Rücken schlecht redet, lästert und intrigiert.
Zum Teil findet der Ausdruck hinterfotzig auch Verwendung als Synonym für ‚gemein‘ oder als pauschale Beschimpfung oder Diskreditierung, möglicherweise volksetymologisch aufgrund der Assoziation zum Ausdruck Fotze, der als derbes Schimpfwort verwendet wird.
Hinterfotzig leitet sich jedoch nicht von der sexuellen Bedeutung des Wortes Fotze (‚Vulva‘, ‚Vagina‘) ab, sondern von der in Bayern und Österreich gebräuchlichen Bedeutung ‚Mund‘ beziehungsweise ‚Gesicht‘. Eine Ohrfeige, also ein Schlag ins Gesicht, wird als a Fotzn bezeichnet, eine Mundharmonika regional auch als Fotzenhobel. Der Ausdruck Fotznspangler ist darüber hinaus eine gebräuchliche Bezeichnung für einen Zahnarzt oder Kieferorthopäden.

Die Abwehr der Hinterfotzen braucht einfache und nachvollziehbare Leitsätze. Hier der Erste: „Wenn man mit zehn Leuten an einem Tisch sitzt, und wieder derjenige ist, der die zementierte Meinung der restlichen neun nicht teilt, ist es höchstwahrscheinlich, das man sich auf dem richtigen Weg befindet.“

Gesinnungspolizei und Gutmenschensoldateska treffen sich zum klitschigem Selbstgebackenen und formulieren Ihre Meinungshoheit. Der konservative Hinterfotze wählt DIE GRÜNEN. Sein gesellschaftspolitisches Profil, sein Alltag, zeigt eine von-innen-nach-außen-Bewegung.

Nicht mehr der verborgenen Sammlung, dem einen großen Meisterwerk, gemalt, geschnitzt oder in Wörtern gilt alle Leidenschaft. Sondern Facebook-gleich glaubt man auch im realen Leben seine inneren Wert allein in „likes“ und „friends“ messen und dokumentieren zu müssen. Und sie so zu äußeren Werten zu machen.

Naturgemäß sind übrigens die Reproduzierten die stärkste Fraktion im Land der Hinterfotzen. Denn Kindergärten, Elternabende und Sportvereine sind ideale Betätigungs- und Kommentierungsfelder. Das ist ihre Pinnwand. Notfalls wird die Pinnwand erweitert und kurzfristig schnell noch ein Elternstammtisch zu diesem oder jenem Thema einberufen. Oder zusätzlich zum Turnier beim Sportverein noch ein - überhaupt nicht mit der eigentlichen Sportart in Verbindung stehendes, möglichst zeitintensives – Wochenendvergnügen organisiert.

Eltern-INITIATIVE, Elternstammtisch, Elterngespräch – Kinder zu haben ist heute in vielerlei Hinsicht zum enormen Risiko geworden. Aber es entkommt keiner: Die Kindergesegneten buhlen auch bei den Kinderlosen in der Nachbarschaft. Es gibt keine Ausreden mehr. Man kann von Glück reden, wenn der sozial engagierte Eltern-Nachbar nicht auch noch freikirchlich gebrandet ist. Denn dann brechen alle Dämme. Die Nähe braucht keine Flyer mehr im Briefkasten, die man einfach ungelesen ungesehen wegschmeissen könnte. Die Hinterfotzen klingeln penetrant. Das Licht brennt ja! Muss also jemand da sein! Nun macht schon auf! Die neuesten Termine!

Die kleine Kneipe um die Ecke erlebt jetzt eine Renaissance. Den Hauptumsatz machen heute Gesprächsgruppen. Arbeitskreise. Treffen. Menschen im Versammlungsrausch. Hinterfotzen besetzen den öffentlichen Raum. Der Begriff „Privatisierungsgegner“ bekommt eine ganz neue Bedeutung. Aber am auffälligsten: Die Sache hat eine neue Qualität der Schamlosigkeit. Gespeist aus dubiosen religionsähnlichen Glaubenssätzen.
Undiskutabel. Indiskutabel. Hinterfotzig. Die Hinterfotzen.

Willkommen im Land der Hinterfotzen. Willkommen in Deutschland.

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