Samstag, 19. November 2011

FRISCHES AUS ERFURT – Teil II

Was taugt DAS PARTEIPROGRAMM der Partei DIE LINKE wirklich?



Nach Teil I:

http://wallasch.twoday.net/stories/frisches-aus-erfurt/

jetzt:

TEIL II - Die Sache mit der solidarischen Wirtschaftsordnung und Vatis Klappsofa.

Nach zwanzig Seiten ist die Zeit der Einführung und des Geschichtsunterrichtes vorbei. Jedenfalls macht Programmpunkt III Hoffnung, dass man nun im Heute angekommen ist: „III. Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert“.

Aber das „Heute" beginnt dann doch mit einer uralt Prophezeiung aus dem DDR-Geschichtsunterricht: „Der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte, sondern eine Etappe der Menschheitsentwicklung, in der sich zwar viele Hoffnungen der Aufklärung erfüllten und eine enorme Steigerung der menschlichen … usw. usf..

Der hagere DKP-Student aus West-Berlin formulierte das selbe Blabla 1979 so:

„Karl Marx und Friedrich Engels suchten mittels der Methode der materialistischen Dialektik, in Verein mit einem als Historischen Materialismus genannten Forschungsprogramm auf Basis einer Kritik der bürgerlichen politischen Ökonomie sowie der historisch gegebenen Faktenlage die „Bewegungsgesetze“ der gesellschaftlichen Entwicklung zu entdecken und die Selbsterzeugung des gesellschaftlich produzierenden Menschen in Auseinandersetzung mit der materiellen Natur theoretisch zu erfassen.“ (wikipedia.de).

Und auch klar, das hat was von Nostradamus oder vom hundertjährigen Arbeiter- und Bauernkalender.

Wollen wir also der Wahrheit genüge tun: Die Sache sieht heute real bei Real ganz anders aus:
Sechs eingeschweißte Aufbackbrötchen kosten dort 35 Cent, eine Flasche Sprudelwasser 19 Cent und eine Vollmilch-Nuss Schokolade 36 Cent.

Wer sich jetzt noch an Thilo Sarrazins ersten Streich vor seiner genetischen Apokalypse erinnern kann, der erinnert sich, dass der viel gehasste Ex-Vorstand der Deutschen B.-Bank damals auf Selbsterfahrung beruhende Tipps gab, wie ALG-II Empfänger sich für weniger als vier Euro pro Tag ernähren könnten. Also 60 Brötchen und noch ein paar Flaschen Wasser zum Nachspülen obendrauf.

Die „massenhafte Verelendung im kapitalistischen Ausbeutersystem“ (das steht da wirklich im Parteiprogramm!) findet also wider erwarten noch nicht statt, ebenso wenig wie zu Baader-Meinhofs Zeiten mit einem Generalstreik zu rechnen war, nur weil die BILD die Blut-Schlagzeilen des Kapitals druckte.



Aber, und das muss man den Genossen der Partei zugute halten: Sie haben ja recht. Das Elend wird heute lediglich auf Pump an die nächsten Generationen vererbt. Die Backbrötchen sind allesamt nur vorgebacken! Der neue Trick der westlichen Wohlstandsgesellschaften besteht nämlich darin, Billionen von Schulden bei Banken anzuhäufen, deren Zinsen und Rückzahlungen – siehe Griechenland – Regierungen in wenigen Jahrzehnten zu Marionetten der Geldverleiher machen werden. Eine steuerfreie Investition in die Zukunft des Kapitals.

Also: Die Mär, dass es uns doch gut ginge, weil die Kühlschränke noch voll wären, ist eine Farce.

Aber:
Wir können mit dem Tacheles ja noch weiter gehen in dem wir jetzt mal richtig anstößig populistisch werden:

Die Anwerbungsbemühungen ausländischer Arbeitskräfte, beginnend mit den 1960er Jahren, die traditionelle Familienverbände zerstörende emanzipatorische Politik, EU-Politik inkl. Euro-Einführung und Verfassungsänderung 1992, die schrittweise Umwandlung der europäischen Volksgemeinschaften (ja doch, das Wort war bis in die späten 1980er Jahre völlig OK und nicht pfui) in Staatsbürgergemeinschaften – all das zahlte auf ein Ziel ein: Das kollektive politische Gedächtnis der Menschen zu zerstören. Denn das war dem Kapital zu allen Zeiten im Wege.

Die Aktionen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten Erfolg: Ein gesellschaftspolitisches Erinnerungsvermögen reicht heute – sagen wir mal – ungefähr sieben Jahre zurück. Und selbst in dem Zeitraum sind Transferleistungen zu einer Seltenheit geworden.

Was früher Generationen übergreifend im Familienverbund diskutiert, weiterentwickelt und als wachsendes Ideengebäude „vererbt" wurde ist heute auf der Klappcouch von IKEA verelendet. Der passende Text im IKEA Katalog dazu geht ungefähr so: 'Wenn Lisa-Maria am Wochenende bei Papa übernachtet, freut sie sich auf die SOLESTA Klappcouch, die ihr Vater Bernd für 79 Euro eingekauft hat'. 79 Euro, die er sich sogar noch nach Abzug des Dauerauftrages für Ex-Frau und die Kinder leisten kann.

Aber zurück zum Programm der Partei DIE LINKE und „III. Demokratischer Sozialismus im 21. Jahrhundert.“ Wir sind auf Seite 21 bei der Eigentumsfrage angekommen. Konkret der Veränderung von Eigentumsverhältnissen. Dabei geht es nicht um die täglichen 60 Brötchen des ALG-II Empfängers und auch nicht um Vatis SOLESTA Klappcouch. DIE LINKE schlägt eine Demokratie in der Wirtschaft vor.



Wirtschaftsdemokratie. Kein neuer Begriff, aber ein neuer Begriff in der deutschen Politiklandschaft. Man eiert also ein bisschen um das Wort „Enteignung“ herum. Bis man auf Seite 22 doch noch konkret wird. Die Wahrheit kann eben auch Ängste nehmen. Ob das allerdings in den Hochetagen der Unternehmen so angstfrei ankommt, kann bezweifelt werden. Der Textabschnitt:

„In einer solidarischen Wirtschaftsordnung, wie DIE LINKE sie anstrebt, haben verschiedene Eigentumsformen Platz: staatliche und kommunale, gesellschaftliche, private und genossenschaftliche Formen des Eigentums.“

Das klingt natürlich nicht wirklich nach Chancengleichheit für Ackermann und Goldman. Aber es wird noch besser. Nächster Satz:

„Es geht um eine global und geschlechtergerecht fair geteilte Erledigung all dessen, was Menschen brauchen und wünschen. (…) Jede Arbeit soll Wertschätzung erfahren.“

Das ist klassenlos Klasse. Die Arbeiterklasse hat das große Los gezogen. Anschließend werden die einzelnen Formen des kompatiblen Eigentums über mehrere Seiten erklärt: „Öffentliches und Belegschaftseigentum“, „Solidarökonomie“, „Kleine und mittlere Unternehmer.“

Letzteren wird, das darf hier auf keinen Fall unterschlagen werden, ein „hohes innovatives und kreatives Potenzial“ zuerkannt. Es besteht also überhaupt kein Grund für diese – 2011 ohne FDP führerlose – Gruppe, linke Politik nicht zu versuchen.

Die Sache hat, man hätte es ahnen können, allerdings einen kleinen Haken, denn DIE LINKE „beteiligt sich daran mit Rat und Tat.“ Das ist geil. Das ist harter Tobak: DIE LINKE steht kleineren und mittleren Unternehmern im Bereich Innovation und Kreativität mit Rat und Tat zur Seite. Wie das funktionieren soll und wie es auf Seite 25 mit Programmpunkt IV „Linke Reformprojekte – Schritte gesellschaftlicher Umgestaltung“ weitergeht ...

… alles in Teil III :

http://wallasch.twoday.net/stories/frisches-aus-erfurt-teil-iii/

FRISCHES AUS ERFURT

Was taugt DAS PARTEIPROGRAMM der Partei DIE LINKE wirklich?



TEIL I

Das neue Programm der Partei DIE LINKE liegt aktuell zum Mitgliederentscheid vor. 52 Seiten in DinA4. Vorangestellt: „Fragen eines lesenden Arbeiters“ von Bertolt Brecht.

Es folgt „Präambel – dafür steht die LINKE“.
Dort ist mir ein erstaunlicher Satz aufgefallen, der mir eine Frage beantwortet hat: „Grenzenloser Reichtum für die oberen Zehntausend, Entwürdigung für immer mehr Arme und sinkender Wohlstand für die große Mehrheit sind nicht Ergebnis der Internationalisierung von Produktion und Handel, sondern des globalen Kapitalismus.“

Mein Frage war, ob der traditionelle Internationalismus der Linken nicht gescheitert ist, da er nur dem Wirtschafts-Internationalismus des Kapitals in obszöner Weise Vorschub geleistet hat.

Aber was genau nochmal ist der Unterschied zwischen "Internationalisierung von Produktion und Handel" und "globalem Kapitalismus"? Egal.

Weiter heißt es in der Präambel: „Die herrschende Politik hat sich den Interessen der Konzernchefs und Vermögensbesitzer untergeordnet. Diese Agenda ist gegen die Interessen der Mehrheit der Menschen gerichtet.“
Also ehrlich: Wer würde da ernsthaft widersprechen?

Schön finde ich die Aufforderung „Wir wollen dazu beitragen, dass aus passivem Unmut aktive Gegenwehr wird.“
Hätte man das in einem niedergebrannten Haus in Zwickau gefunden, wäre das totsicher als Aufforderung zur Gewalt verstanden worden. Hier ist es folgerichtig, nachvollzieh- und annehmbar.
Auch wenn es natürlich zunächst ein Allgemeinplatz bleibt, aber es folgen ja noch 47 Seiten (Wir sind auf Seite 5).

Die erste Seite der Präambel endet mit dem Satz: „Wir wollen eine Gesellschaft des demokratischen Sozialismus aufbauen, in der die wechselseitige Anerkennung der Freiheit und Gleichheit jeder und jedes Einzelnen zur Bedingung der solidarischen Entwicklung aller wird. (...)“
Logisch, der Alltagstest gibt hier absolut recht: Denn wer beispielsweise gerade eine neue Versicherung abschließen wollte und sich dann in dieser oder jener Risikogruppe mit diesem oder jenem Beitragssatz wiederfindet, stimmt zu: ja, die staatlich garantierte Solidargemeinschaft des „deutschen Volkes“, oder weniger verfänglich der „deutschen Staatsbürger“, ist abgeschafft oder mindestens in großer Gefahr.



Weiter geht's: Es folgt die Info, das mit dem Programm drei Grundideen verknüpft sind:

1.Individuelle Freiheit für jeden durch soziale gleiche Teilhabe.
2.Unterordnung der Wirtschaft unter die solidarische Entwicklung.
3.Demokratische Überwindung der Vorherrschaft des Kapitals.

Kann man ebenfalls zustimmen. Mehr noch, man stellt sich die Frage: könnte das nicht gefahrlos auch bei CDU, SPD usw. stehen? Das gilt im übrigen auch für fast alle Punkte, die unter der Überschrift wofür „die LINKE kämpft“ zusammengefasst sind: „Demokratische Wirtschaftsordnung, Recht auf Arbeit, soziale Sicherheit, gesetzliche Rente, Bildung, gerechtes Steuersystem, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, gegen Diskriminierung, Frieden, Abrüstung usw.

Als erstes erstaunliches Fazit drängt sich jetzt der Gedanke auf, das es scheinbar heute im gesamten Parteienspektrum Einigkeit über die angestrebten Ziele zu geben scheint. Das ist doch bemerkens- und erwähnenswert! Es scheint immerhin so, das alle das selbe Ziel haben, nur eben mit anderen Mitteln. Ein erstaunlicher Konsens. Denn das war bei weitem nicht immer so. Also weiter schauen, wie sich die Mittel und Wege unterscheiden. Das müsste ja auf den nun noch verbleibenden 44 Seiten näher erklärt sein.

Wunderbar finde ich den beinahe schon poetisch überschriebenen 1. Programmpunkt, den man vorab für nötig hält:

„Woher wir kommen, wer wir sind.“

Und hier der pralle Einleitungssatz:
„Wir bündeln politische Erfahrungen aus der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik.“
In der Reihenfolge! Aber ok: genauer betrachtet kann man das durchaus so tun. Erfahrungen müssen ja nicht zwangsläufig nur positive sein. Und so gesehen wären der Adenauer Republik mit der Verarbeitung von ein paar mehr Erfahrung aus dem III. Reich die 68er erspart geblieben, die heute und seit Joschka Fischer von immer mehr Deutschen als das wahre Übel der Gegenwartssituation und -politik erkannt wurden und werden.

Im Weiteren ein historischer Abriss in dem klar wird,die Überschrift behandelt nicht allein die Frage, woher DIE LINKE kommt und wer sie ist. Hier geht es jetzt um uns alle. Uns Deutsche.

Beginnend mit der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert, endend es mit der Feststellung „Das Projekt „Rot-Grün“ enttäuschte ab 1999, da es soziale und ökologische Ziele den Interessen des Kapitals unterordnete.“

Gut! Bogen gekriegt. Das Kapitel bekommt allein deshalb ein dickes Sternchen.



II. Krisen des Kapitalismus – Krisen der Zivilisation.
Einleitungssatz: „Der Kapitalismus von heute ist räumlich und zeitlich entgrenzt, er hat sich die ganze Welt untertan gemacht.“ Oder über das Kapital und die multinationalen Konzerne: „Sie üben maßgeblich Einfluss aus auf die Welthandelsorganisation WTO, auf die Weltbank und den internationalen Weltwährungsfonds.“
Ja – das ist im Übrigen seit der Finanzkrise Volksglaube oder Volkswissen. Je nach dem, ob man auf der 99% oder auf der anderen Seite steht.
Das ist deutlich massenkompatibel. Und – fast schon eine Litanei auf den ersten Seiten dieses Programms: Es geht quasi widerspruchsfrei quer durch alle politischen Lager (Beleg z.B.: Münteferings „Heuschreckendebatte“, Merkels „Wir brauchen Regeln, damit der Staat nie wieder von den Banken erpresst werden kann“).

Bemerkenswert auch dieser Satz: „Auch die Existenz des „sozialistischen Lagers“ war eine Herausforderung (gemeint ist hier: für den Westen/BRD), auf die mit sozialstaatlichen Zugeständnissen reagiert wurde. (…) Mit dem Wegfall der Systemkonkurrenz hat sich das Kräfteverhältnis zwischen Arbeit und Kapital zu Ungunsten der abhängig Beschäftigten verändert.“

Das ist schon deshalb erstaunlich und gut, weil es ja scheinbar eine Konkurrenz der politischen Systeme befürwortet!



Dann folgen ein paar Seiten emanzipatorische Übungen, die man vernachlässigen kann. Schon deshalb, weil sie von der falsche Voraussetzung ausgeht, das erst die Industrialisierung die "Frauenbenachteiligung" erschaffen hätte. Ist aber nicht so wichtig, da sich solche Programmpunkte in allen Parteiprogrammen finden, als gäbe es dafür irgendwo eine passende Gender-Mainstreaming-Schablone.

Der dann folgende Abriss über die neoliberale Wende trägt die Handschrift Sahra Wagenknechts. Das kann wohl sonst kaum eine/r. Und ja doch: Es tut der Sache gut. Erinnert es doch auf angenehme Weise an die so überzeugenden Talk-Show Auftritte der spröd-charmanten Jenaerin.

Da kann man nur hoffen, das sie ihre Linie an der Seite vom schlauen Oskar noch weiter ausbauen kann. Was man hier von ihr liest, sind überzeugend vorgetragene Wahrheiten. Und schaut man in diesem Moment des Lesens mal die aktuellen Umfragewerte der Partei, fällt auf, dass die Partei DIE LINKE allein für diese Inhalte mit Leichtigkeit ein vielfaches an Zustimmung bekämen. Und hier wird dann auch die Hauptaufgabe der Partei DIE LINKE deutlich: Will sie weiter erstarken und ihren politischen Einfluss noch erhöhen. muss sie zunächst die Diskrepanz zwischen inhaltlicher und wahrgenommener Politik überwinden.

Oder noch linksfreundlicher ausgedrückt: Zwischen tatsächlichen Inhalten und der Darstellung dieser Inhalte in der Konzern- und kapitaleigenen Presse. Denn das da Interessen unweigerlich kollidieren ist keine Weisheit, sondern eine Urerkenntnis der 68er, die als Reaktion auf diese Diskrepanz Springers Lieferfahrzeuge in Flammen aufgehen ließen.

TEIL II hier:

http://wallasch.twoday.net/stories/frisches-aus-erfurt-teil-ii/

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