Mittwoch, 30. November 2011

PETER O. CHOTJEWITZ 14.JUNI 1934 – 15. DEZEMBER 2010

Am 15. Dezember 2010 starb Peter O. Chotjewitz. Nachrufe verbieten sich. Seine Arbeiten sprechen für sich. Deshalb hier sein Interview vom 18. 9. 2009 zum damals erschienenen Baader-Meinhof Film von Bernd Eichinger der wenige Tage nach Chotjewitz verstarb.




Interview mit Peter O. Chotjewitz anlässlich der Premiere des Films „Der Baader-Meinhof-Komplex.“
Nach einer medialen "Odyssee" veröffentlicht bei "Analyse & Kritik", Zeitschrift für linke Debatte und Praxis. http://www.akweb.de/ Der alte Sontheimer fand es unmöglich für den Spiegel. Die TAZ zierte sich ebenfalls und das Prager-Frühling-Magazin um Katja Kipping (DIE LINKE) nahm es zunächst euphorisch online, nur um es 1 Stunde und 12 Minuten später erschrocken und kleinlaut wieder vom Netz zu nehmen.

Den Kontakt mit Peter O. Chotjewitz machte der Verbrecher Verlag. Hier hatte der deutsche Schriftsteller, Übersetzer und Jurist zuletzt 2007 „Mein Freund Klaus“ veröffentlicht, eine Spurensuche nach Klaus Croissant, dem einstigen Wahlverteidiger der RAF und später wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu 2 ½ Jahren Haft verurteilte deutsche Rechtsanwalt.

Ein weiterer Freund von Chotjewitz hieß Andreas Baader. Im Nachlass des 2002 verstorbenen Klaus Croissant fand sich eine Schallplattenbestellung vom August 1974 zusammengestellt vom inhaftierten Baader. Mit dem schriftlichen Vermerk: „Rechnung an Rechtsanwalt Chotjewitz“. 2009, 35 Jahre später erklärt Chotjewitz: „So wie die Verhältnisse damals gewesen sind, war es eher umgekehrt. D.h. Herr Baader bestellt bei mir, ich bestelle beim Verlag und die Rechnung kriegt Rechtsanwalt Croissant. Ich hatte noch nie Knete... In welchem Arschiv hast Du die Bestellung gefunden?“

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=tz&dig=2008%2F04%2F26%2Fa0146&cHash=fe8663a2cf

Anlässlich der bevorstehenden Premiere zu „Der Baader-Meinhof-Komplex“ beantworte Chotjewitz eine E-Mail-Interviewanfrage per Post. Briefmarke: Der Leuchtturm von Amrum. Gestempelt: Briefzentrum 70 (Die 70 steht für Stuttgart Stadt). „Ich habe den Eichinger-Film nicht gesehen und werde ihn auch nicht gesehen haben. ... alles was ich wusste, habe ich geschrieben. Neues ist nicht dazugekommen in den letzten Jahren. Wenn Sie nicht selbst investigieren wollen oder können, müssen Sie’s machen wie die Schreiber der TAZ u.a. Käsblätter. Sie müssen sich was aus den Wichsgriffeln lutschen.“



Peter O. Chotjewitz ist 76 Jahre alt geworden. Er ist Autor zahlreicher Romane, Erzählungen und Essays. Außerdem ist er Übersetzer des italienischen Nobelpreisträgers Dario Fo. Neben einer hohen Einfühlungsgabe und Sensibilität, die er ganz sicher für seine vielgelobte Arbeit braucht, war Chotjewitz vor allem immer eines: unglaublich zornig, wie das folgende, dann doch noch gewährte Interview zu „Der Baader-Meinhof-Komplex“ unzweifelhaft beweisen konnte:





Der Zorn geht weiter!



A.W.: Welchen Film haben Sie sich zuletzt im Kino angeschaut?
Peter O. Chotjewitz: Wenn ich in Stuttgart bin, leihe ich mir meistens DVD-Casetten aus. Zuletzt habe ich drei Filme von Achternbusch gesehen: "Das Andechser Gefühl", "Die Atlantikschwimmer", "Servus Bayern". Mein Lieblingsfilm ist "Das Gespenst", in dem Achternbusch als Jesus durch München geht und die Passanten um Scheiße bittet. "Gebt Scheiße, Leute, gebt Scheiße." Achternbusch schreibt die besten Dialoge, hat einen tollen Sinn für Bilder und ist ein großartiger Schauspieler. Natürlich mag ich auch den jungen Bierbichler, der in allen Filmen Achternbuschs mitspielt. Die Trotta hätte nie eigene Filme drehen dürfen. Sie hätte immer eine von Achternbuschs Protagonistinnen bleiben sollen.
Wenn ich in Rom bin, gehe ich dagegen oft ins Kino. Fast jeden Abend. In Rom gibt es gute Kinos. Die Filme, die da laufen, würde sich ein deutscher Kinobetreiber nicht trauen. Im Frühjahr sah ich in einem Off-off-Kino "Sweeny Todd", in dem fast nur gesungen wird. Gesungene Dialoge. Johnny Depp spielt einen genialen Barbier, der allen seinen Kunden, die an seinem Unglück schuld sind, die Kehle durchschneidet. Seine Freundin hat unter dem Barbierladen einen Schnellimbiß. Die Hamburger, die sie brät, sind aus Johnny Depps Kundschaft. Er hat eine Falltür in seinem Laden, die direkt in die Garküche führt. Auch "Couscous", ein tunesischer Film, war gut gemacht.

Sie wollen sich den Film "Der Baader-Meinhof-Komplex" nicht anschauen. Warum nicht?
Die Filme zum Thema "RAF", die ich bisher gesehen habe, waren mehr oder weniger zum Kotzen. Eichinger und Aust sind nicht die einzigen, die nicht die Absicht haben, gute Arbeit zu leisten. Kraushaar, Reemtsma sind keine geringeren Idioten. Vielleicht würde ich mir den Film von Eichinger anschauen. Zum Glück hat mir der Arzt strenge Bettruhe verordnet. In Filme wie die von Eichinger kann man reingehen, wenn man keine Lust hat, in die Kneipe zu gehen. Denken Sie an seinen Hitler-Film. Gequirlte Scheiße, Volksverdummung, die reine Profitmacherei. Eichinger ist der Dieter Bohlen des Politkinos. Aust war eine Dreckschleuder seit er beim "Spiegel" ist. Das Denken sollte er seinen Pferden überlassen, die haben einen größeren Kopf.

Sind Sie im Vorfeld des Films als Zeitzeuge von jemanden befragt worden?
Wenn einer versucht hätte, mich als Zeitzeuge zu befragen, den hätte ich hochkant abfahren lassen. Ich bin und war kein "Zeitzeuge". Ich bin beteiligt.

Frank Schirrmacher in FAZ: Der Film hat "die Kraft, die gesamte RAF-Rezeption auf eine neue Grundlage zu stellen." Macht Sie das nicht neugierig? Wie würden Sie die bisherige RAF-Rezeption zusammenfassen?
Wenn Schirrmacher behauptet, Eichingers RAF-Film stelle die Rezeption auf eine neue Grundlage, so wüsste ich gerne, was Schirrmacher rezipiert hat. Ob er mehr gelesen hat, als das RAF-Buch von Aust aus dem Jahr 1986. Es gibt bislang höchstens einige Ansätze zu einer RAF-Rezeption, die den Namen verdient. Dass Thema RAF wird, gerade von Staats wegen, unter Verschluß gehalten. Was rausgelassen wird, ist der übliche Dreck der Counterinsurgency. Diffamationen. Geschichtsklitterung. Lügen.

Baaders Geschichte wird nach dem Film eine neue Anziehungskraft auf junge Menschen haben. Sie kannten Baader, was wirkte auf Sie anziehend an ihm? Wie viel ist dran am so oft bemühten besonderen Charisma?
Wäre natürlich zu wünschen, wenn junge Menschen sich trotz des Films dafür interessieren würden, wer Andreas Baader wirklich war. Dann sollten sie sich aber nicht nur für ihn interessieren, sondern auch für die vielen hundert Menschen, die damals am Kampf der RAF aktiv oder passiv teilgenommen haben. Sie sollten sich für die anderen kämpfenden Kader interessieren und die vielen RAF-Kämpfer, die bei den Killfahndungen und in den Gefängnissen ermordet wurden. Zur Zeit vergießt man zu viele Tränen für solche elenden Figuren wie Buback und Schleyer. Ich glaube allerdings nicht, dass Darstellungen alla Aust, Kraushaar, Koenen, Pflieger, Peters, Menschen zum Nachdenken anregen. Sie sind politische Propaganda, die den ungeschulten Leser zumüllt, sodaß er am Denken gehindert wird. Das ist ihre staatstragende Aufgabe.


Bettina Röhl in WELT Online: "Die RAF hatte ... keinen Widerstandskampf zu leisten ... weil sie von einer Massenbewegung getragen wurde." Hatten sie zu der Zeit jemals das Gefühl Teil einer Massenbewegung zu sein?

Wenn Frau Röhl denken oder schreiben könnte, würde ich vielleicht begreifen, was sie meint. Daß die RAF von einer Massenbewegung getragen wurde, muß ich mit Nichtwissen bestreiten. Ohne die staatliche Counterinsurgency hätte eine Massenbewegung draus werden können. Alle staatlichen Maßnahmen zielten stets auch darauf ab, eine Massensolidarität zu verhindern. Der Absicht dienen auch Aust und Eichinger.
Gab es überhaupt eine Massenbewegung? Noch dazu eine, der ich angehört habe? Ich habe von Anfang an mit den Bolschewiki und dem bewaffneten Kampf sympathisiert. Das waren beides keine Massenbewegungen.

Die Buchvorlage von Stefan Aust zum Film wird erneut die Top Ten erreichen. Sie sind seit Mitte der 1960er Jahre Schriftsteller und haben beinahe jährlich veröffentlicht. Wie geht es Ihnen dabei?
Der Verkaufserfolg von Aust juckt mich nicht. Mich jucken auch nicht die Millionen von Günter Grass und Daniel Kehlmann. Ehe ich schreibe wie die gehe ich lieber wieder als Maler und Anstreicher.

Angenommen Sie hätten fünf Minuten Vorspann des Films zur freien Verfügung, was würden Sie den Besuchern mit auf den Weg geben?
Ich würde in aller Ruhe auf die Bühne scheißen und die Scheiße mit einer Zwille ins Publikum schießen.

Die ganze Aufregung kann Sie ja nicht kalt lassen. Wie geht man in so einer Zeit mit seinen Emotionen um?

Mit meinen Emotionen, einerlei welcher Herkunft, gehe ich seit mehr als vier Jahrzehnten auf die gleiche Weise um. Ich setze mich an die Schreibmaschine und hacke Texte in die Tasten, die bestimmt wieder kein Schwein lesen will. Nach dem Mittagessen bin ich dann so müde, dass ich zwei Stunden lang gut schlafe. Abends vielleicht ein Film mit Bruce Willis. Da wird nämlich auch zufriedenstellend gekillt, aber so, dass ich mich nicht zu ärgern brauche, wenn die Falschen gekillt werden , und nicht zu freuen, wenn es die Richtigen trifft. Gut finde ich zum Beispiel die vielen US-Filme, in denen der Präsident gekillt werden soll oder seine Frau. Diese herrlichen Bösewichter. Meistens rechtsradikale Generäle oder Geheimdienstbosse. Wer nicht glauben will, dass gerade in den westlichen Rechtsstaaten in den Gefängnissen gekillt wird und Killfahndungen Usus sind, braucht sich nur einen us-amerikanischen Politthriller anzuschauen. Da wird reiner Wein ausgeschenkt.

Schily, Croissant, Mahler, Ströbele und Sie - fünf RAF-Anwälte, von denen man annehmen würde, es hätte einen gewissen Konsens gegeben. Dann aber völlig unterschiedliche prominente Werdegänge. Schily, Croissant (postum), Mahler, Ströbele und Sie 2008 in einer Altherrenrunde. Grausame Vorstellung?

Schily, Ströbele, waren Vertrauensanwälte in Stammheim und in anderen politischen Strafverfahren. Der Respekt vor ihren Mandanten gebietet es, ihre Leistung anzuerkennen. Sie haben das Amt der Verteidigung, mutig, selbstlos, bis weit in den politischen Diskurs hinein ausgeübt. Also höchstes Lob. Mahler war bis zu seinem Rauswurf sogar in der RAF, hat sich also verdient gemacht. Ohne ihn wäre es nicht möglich gewesen, den skandalösen 2. Juni 1967 zu rekonstruieren. Das tat Monika Berberich in seinem Büro. Überhaupt war das sozialistische Anwaltskollektiv um Mahler wichtig für die Entstehung einer engagierten politischen Advokatur. Was die drei Herren später aus ihren Leben gemacht haben, entwertet nicht ihre damalige Leistung.
Klaus Croissant ist ein Sonderfall. Er hat mehr geleistet als irgendein Anwalt. Deshalb hat man ihn so gehasst und verfolgt. Lesen Sie meinen Roman "Mein Freund Klaus". Ich war nie Verteidiger in einem RAF-Prozeß. Ich war befreundet mit Andreas Baader. Meine Zulassung war ein Vorwand, um ihn besuchen zu können. Glauben Sie aber nicht, dass irgendein Anwalt in Stammheim als Kurier tätig sein konnte. Die Anwaltsbesuche wurden optisch und akustisch überwacht. Man konnte sich nur flüsternd unterhalten, wenn's ans Eingemachte ging.

Irgendjemand müsste ihnen die Wahrheit sagen, WEN würden sie WAS fragen?
Ich würde den, der es wissen muß, bitten, mir zu sagen wer weiß, wer es war, und den würde ich bitten mir zu erzählen, wie sie es gemacht haben. Und da Buback jr. immer wissen will, wer seinen Vaters erschossen hat, würde ich auch fragen, wer meinen Freund erschossen hat.

Wie politisch sind Sie heute? Welche Parteien sind für Sie wählbar?

Gegenfrage: Was heißt politisch sein? Ich bin ein Gegner der parlamentarischen Demokratie und des Mehrparteiensystems und das seit den Zeiten der bismarckschen Reichsverfassung. Es wäre also inkonsequent, irgendeine Partei zu wählen.

Fällt Ihnen etwas Positives und etwas Negatives über die Partei DIE LINKE ein?

Vielleicht wähle ich demnächst mal die Linkspartei, aber nur um die rechtsradikale SPD-Führung zu ärgern. Deren dumme Gesichter möchte ich sehen, wenn sie regieren könnten, sich aber nicht trauen, weil das Kapital es nicht erlaubt.

Darf/Muss es so etwas wie eine linke Boheme/ Elite geben? Fehlen heute die Salon-Linken als Identifikationsmöglichkeit für die bürgerliche Mitte?
Linke Boheme bin ich selber. Noch eine zweite braucht es nicht zu geben. Gab es nach 1945 in der BRD je eine Salon-Linke? Vielleicht in jenen Zeiten und Kreisen als es möglich war, sich gleichzeitig für links zu halten und gegen die DDR zu sein. Biermann war so ein Salon-Linker. Wenn einem so was fehlt, sollte man sich untersuchen lassen.

Rückblickend: Was waren ihre größten Erfolge, was ihre schmerzlichsten Niederlagen?

Keine Siege, keine Niederlagen. Si tira avanti.

Bitte einen Ratschlag zum Schluss: Ein junger Mensch fühlt gesellschaftliches Unrecht. Er möchte etwas tun. Welches politische Engagement würden sie ihm anraten? An wen könnte er sich wenden?
Er soll sich an mich wenden. Ich sage ihm, wo die RAF nicht nur ihr berühmtes Logo versteckt hat. Auch die erste Waffe, die je benutzt wurde. Man kann in solchen Fällen auch nach Venezuela oder in den Gaza-Streifen gehen. Überall auf der Welt sind die Kämpfe höher entwickelt als in der EU.



Ein großartiges Buch:
http://www.amazon.de/Mein-Freund-Klaus-Peter-Chotjewitz/dp/3935843895/ref=sr_1_2?s=books&ie=UTF8&qid=1322642323&sr=1-2

posthumm erschienen:
http://www.amazon.de/J%C3%BCnger-Joint-aufm-schon-Goebbels/dp/3881783628/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1322642277&sr=8-1

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