Samstag, 3. Dezember 2011

MENSCH MASSENMÖRDER

von RA HEINRICH SCHMITZ

(RA Heinrich Schmitz)


Als ich am 9. März 1994 mit meiner Frau und einem Referendar von einem Gerichtstermin in Siegburg zurück nach Euskirchen fuhr, waren wir nicht
besonders gut gelaunt. Der Prozessgegner hatte mir nach dem Termin vor dem Familiengericht in bedrohlichem Ton entgegen gemurmelt " sie haben
mir meinen Sohn genommen, ich werde ihnen ihre Kinder nehmen".

Normalerweise nehme ich solche Bedrohungen gerade unmittelbar nach Terminen nicht besonders ernst. Hier war es anders und wir beschlossen, auf dem Rückweg zur Kanzlei kurz bei der Polizei in Euskirchen vorbeizufahren und um Schutz für unsere Kinder zu bitten. Gerade als wir als Linksabbieger an der Einfahrt zur Polizei warteten, hörten wir einen gewaltigen Knall. Wir dachten an eine Gasexplosion. Tatsächlich hatte
ein Massenmörder ein paar hundert Meter weiter , 9 Häuser neben unserer Kanzlei, in einer Nebenstelle des Amtsgericht um sich geschossen,
mehrere Menschen getötet und dann eine Rucksackbombe gezündet, 6 Menschen ermordet.

Ein Massenmord in der Nachbarschaft. Unvorstellbar, aber wahr. Der Täter aus einem Nachbardorf. Ohne den Abstecher zur Polizei wären wir vermutlich zum Zeitpunkt der Detonation mitten drin gewesen. Die Morddrohung des einen Menschen hat uns davor bewahrt, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Schwein gehabt.

Nach den damaligen Ermittlungen war der Täter als psychisch auffällig bekannt.

Nachdem das Ergebnis des psychiatrischen Gutachtens über Anders Behring Breivik bekannt wurde, kochen mal wieder die Wellen der kollektiven Empörung hoch, hier in Deutschland mehr, in Norwegen auch, aber weniger.

Der einschlägig bekannte "Denker" F.J.Wagner kommentierte am 30.11.2011 in der BILD:

"Für mich gehören diese Typen nicht in die Psychiatrie, für mich gehören Sie ins Gefängnis. Sie müssen büßen."

Warum eigentlich ?

Neben dem üblichen dumpfen Todesstrafengequatsche und dem blöden Kommentar von FJW, dass den aufgeklärten Bürger eher abstößt als
wirklich interessiert, werden erfreulicherweise auch viele ernsthafte Fragen erörtert.

Da wird die Frage nach der
"Unzurechnungsfähigkeit" gestellt, was das
ist, wer das feststellt und leider auch, was der ganze Quatsch eigentlich soll. Wie mit schuldunfähigen Tätern umgegangen wird bzw.
umgegangen werden sollte. Was Schuld ist und was nicht.

Und es wird überlegt, ob nicht alle Massenmörder zwingend an einer psychischen Erkrankung leiden, was zur Folge hätte, dass kein Massenmörder je verurteilt werden könnte - und den für die "Normalen" den netten Nebeneffekt, dass wir die Taten der Massenmörder nur als krankhafte Entgleisung und nicht als originären Bestandteil menschlichen Verhaltens betrachten müssten.

Versuchen wir also mal Schritt für Schritt ein bisschen Licht ins juristische Dunkel zu bringen und knöpfen uns erst mal die einzelnen Begriffe vor.



*Wer ist ein Massenmörder ?*

In der Kriminologie wird der Begriff
"Massenmörder" nur für solche Täter verwendet, die eine Vielzahl von Personen innerhalb kurzer Zeit an einem oder wenigen zusammenhängenden Orten töten. Mit einer Vielzahl sind
mindestens 3 oder 4 Menschen gemeint. Breivik (77 Opfer ) erfüllt diese Definition ebenso wie die Amokläufer von Winnenden (15 Opfer), Columbine
(13 Opfer) , Erfurt (17 Opfer), Euskirchen (6 Opfer ), die Täter von 9/11 (2970 Opfer), Bali (202 Opfer)....

Außerhalb der Kriminologie wird die Bezeichnung Massenmörder zwar auch für die Verursacher der Ermordung besonders vieler Opfer verwendet,
insbesondere in Zusammenhang mit dem Holocaust und anderen Fällen des Völkermordes. Insoweit werden auch Hitler, Stalin, Pol Pot , Idi Amin
Dada und ähnliche Gewaltherrscher als Massenmörder bezeichnet, stellen aber eine andere Kategorie dar.

Keine Massenmörder , sondern Serienmörder sind hingegen Täter wie die NSU-Mörder (bisher 9 Opfer bekannt ), der Jungenmörder Jürgen Bartsch (
4 Opfer ), Prostituiertenmörder Fritz Honka (3 Opfer ) und Auftragskiller Werner Pinzner (mindestens 5 Opfer), weil den einzelnen
Taten der zeitliche und örtliche Zusammenhang fehlt.

Betrachtet man nun die Reihe der hier beispielhaft genannten "echten" Massenmörder, so fällt zunächst auf, dass von diesen lediglich Breivik seine Tat überlebt hat - und wohl überleben wollte. Alle anderen Massenmörder konnten nicht auf ihre psychische Gesundheit hin untersucht werden, weil sie ihre Taten nicht lange überlebten .

Die Datenlage bezüglich der Psyche von Massenmördern aufgrund tatsächlicher Begutachtung ist also schon einmal ziemlich dünn. Es wäre
alleine deshalb schon sehr gewagt, zu behaupten, alle Massenmörder seien geisteskrank. Vielleicht spricht die Tatsache, dass der "normale"
Massenmörder sich nach getaner Arbeit üblicherweise selbst entleibt, sogar eher dafür, dass er sich seiner Tat und deren Folgen durchaus
bewusst ist - und sich einer Bestrafung durch einen wahlweisen Ausstieg Richtung Hölle oder Paradies ganz überlegt entzieht.



Das wiederum wäre ein starkes Argument dafür, dass Breivik ein ganz großes Rad ab hat. Er lebt und machte nach seiner Festnahme einen
zufriedenen Eindruck. Aber wer weiß es schon ?

Das führt direkt zu nächsten Frage: *wer entscheidet, ob ein Täter psychisch krank ist ?*

Der Richter weiß es nicht, er ist ja kein Psychiater. Folglich muss er einen oder mehrere Psychiater mit der Begutachtung beauftragen. Psychiater sind aber auch nur Menschen und ihre Gutachten sind keineswegs 100%ige Gewissheiten.Da steckt schon jede Menge persönliche Meinung drin, wie man daran erkennen kann, das einige Gutachter so gut wie nie die Voraussetzungen des § 20 StGB feststellen und andere dafür um so häufiger.

Immerhin lassen sich ja einige psychische Erkrankungen ganz gut
diagnostizieren.

Ein paar Beispiele aus der eigenen Praxis:

Einer meiner Mandanten, nennen wir ihn Mätti, leidet an einer paranoiden Psychose. Ein netter Kerl, der davon überzeugt ist, ein direkter
Abkömmling Gottes zu sein. Da sein Vater der Schöpfer aller Dinge ist, darf Mätti sich alle Dinge nehmen, was er auch immer wieder gemacht hat. Ladendiebstähle in großer Zahl waren zwangsläufig die harmlose Folge. Irgendein Unrechtsbewusstsein war von Mätti nicht zu erwarten, er guckt einen nur völlig verständnislos an, wenn man ihm versuchte zu erklären, dass er das nicht dürfe. Keine Frage, dass Mätti vom Gericht Schuldunfähigkeit bestätigt wurde.

Ein andere Mandant, der seine Mutter skalpiert hatte ohne sie dabei zu töten, weil er sie für einen Außerirdischen hielt, erzählte mir locker
zwei Stunden lang vollkommen nachvollziehbare Dinge, gab Anlagetipps, sagte vor Jahren die Unmöglichkeit der Gemeinschaftswährung Euro voraus und reit mir in Silber zu investieren, parlierte intelligent in vier Sprachen, hatte ein abgeschlossenes Studium und machte auf den ersten
Blick keinen auch nur irgendwie auffälligen Eindruck, bis er plötzlich aus heiterem Himmel im ernsten Ton erzählte, er sei auf einer
Urlaubsreise von Außerirdischen in einem Raumschiff entführt und dort medizinisch untersucht worden.

Eine Mandantin beschwerte sich vehement darüber, ihr früherer Vermieter habe ihr - sie wisse auch nicht wie der das gemacht habe, aber im
Internet habe sie andere Betroffene gefunden - eine Kamera und einen Sender in ihren Gehörgang geschmuggelt. Er beobachte sie aus ihrem Kopf
heraus und kommentiere ihre Handlungen. Sie hatte keinerlei Straftaten begangen und wollte mich lediglich mit einer Unterlassungsklage gegen
den Vermieter beauftragen.

Keiner von den dreien taugte zum Massenmörder, obwohl alle erkennbar und nachweislich psychisch erkrankt waren.

Eine psychische Erkrankung alleine bedeutet keineswegs, dass jemand auch kriminelle Taten begeht oder gar zum Massenmörder werden muss. Die
meisten psychisch Kranken stellen keinerlei Gefahr für sich oder andere Menschen dar. Im europäischen Schnitt gelten nur knapp 10% aller
Straftäter als psychisch krank. Die sogenannten Normalen, also Sie und ich, sind also um ein vielfaches gefährlicher.

*Was ist denn nun "Unzurechnungsfähigkeit" ?*

Selbst wenn eine psychische Erkrankung durch den psychiatrischen Sachverständigen diagnostiziert wird, bedeutet das noch lange nicht, dass auch eine strafrechtlich relevante Schuldunfähigkeit - im Volksmund "Unzurechnungsfähigkeit" oder auch "Jagdschein" genannt - vorliegt.

Das festzustellen, ist nämlich nicht Sache des Gutachters , sondern des Richters. Der Sachverständige kann nur bei der Vorfrage behilflich sein, was der Täter zur Tatzeit tun oder lassen konnte. Ob er überhaupt eine
Handlungsalternative hatte oder nicht.

Die Schuldunfähigkeit selbst ist kein psychiatrischer Begriff. Mediziner und Juristen sprechen hier wie so häufig unterschiedliche Sprachen. Der Richter trifft keine medizinische Entscheidung sondern ein rechtliche, die auch normative Erwägungen enthält. Der BGH hat das einmal so ausgedrückt:

/Die rechtliche Erheblichkeit der Verminderung des Hemmungsvermögens hängt auch von den Ansprüchen ab, die die Rechtsordnung an das Verhalten des Einzelnen zu stellen hat. Dies zu bewerten und zu entscheiden ist Sache des Richters. Allein zur Beurteilung der Vorfrage
nach den medizinisch-psychiatrischen Anknüpfungstatsachen bedarf er sachverständiger Hilfe, sofern er hierzu nicht aufgrund eigener
Sachkunde befinden kann." (Strafverteidiger 2004, S. 263.) /

Ob jemand schuldunfähig ist, ist also eine ausschließlich juristische und keine medizinische Entscheidung. Vielmehr hilft der Sachverständige
dem Gericht nur vorbereitend bei der Frage, ob die medizinischen Voraussetzungen des § 20 StGB vorliegen, in dem es heißt:

/"Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder
wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu
handeln."/

Nur derjenige, dessen psychische Krankheit ihn daran hindert Unrecht zu erkennen oder nach dieser Erkenntnis zu handeln, handelt ohne Schuld. Und wer ohne Schuld handelt kann und darf nicht bestraft werden - auch wenn Herr Wagner und die BILD gerne Kranke büßen lassen möchte.
Allerdings darf man ihn trotzdem einsperren, wenn das Gericht eine auf der Krankheit beruhende Gefährlichkeit feststellt.



Wer glaubt, die bösen Strafverteidiger seien diejenigen, die als Verteidigungsstrategie auf den § 20 StGB drängen würden, liegt komplett
daneben. Solange es sich nicht um eine offensichtliche Störung handelt, wird kein Verteidiger auf die idiotische Idee kommen, zu riskieren seinen Mandanten begutachten zu lassen. Die Gefahr, dass der Mandant danach bis zum Sanktnimmerleinstag in der forensischen Psychiatrie verschwindet und damit - obwohl es natürlich offiziell keine Strafe ist - unter Umständen ein Lebenslang "über Bande" bekommt, ist viel zu groß. Die wenigsten Mandanten betrachten die Unterbringung in einer
forensischen Psychiatrie als Wohltat. Ob Herr Wagner es wirklich toll fände, Tag für Tag mit gefährlichen Geisteskranken in einem Gebäude zu
leben ? Vielleicht. Die, die ich kennen jedenfalls nicht.

Die Zahl dieser Unterbringungen nach § 63 StGB steigt merkwürdigerweise seit Jahren kontinuierlich an, obwohl auch aus Sicht renommierter Gutachter bereits ein gehöriger Teil der Eingangsdiagnosen ( es kursieren Zahlen von 30 - 60% ) falsch ist. Offenbar verfolgen die
Gerichte zunehmend eine Maxime des "no risk - Prinzips" , während früher die Freiheitsrechte stärker im Vordergrund standen. Aber das scheint ja ein allgemeiner gesellschaftlicher Trend zu sein.

Wer einmal in der "Klappse" gelandet ist, hat sehr gute Aussichten dort eine lange Zeit zu verbringen, wenn er Pech hat bis zum Ende seines
Lebens. Und die Anstalten befürworten in den seltensten Fällen eine Entlassung.

Es mag sein, dass sich die Gutachter von Breivik auch bewusst oder unbewusst von dem erwünschten Ergebnis haben leiten lassen. Ein schuldunfähiger Breivik landet zwingend in der Forensik und wird wegen seiner Gefährlichkeit - ob krankheitsbedingt oder nicht ist eigentlich
wurscht - den Rest seines Lebens sicher verwahrt werden können. Ein schuldfähiger Breivik wäre vermutlich nach 18 Jahren aus der Haft zu
entlassen. Aber das sind natürlich nur völlig unzulässige Spekulationen, trotzdem - auch psychiatrische Gutachter sind nur Menschen und nicht unfehlbar.

Massenmörder machen Angst. Wenn der Täter geisteskrank ist, macht uns das auch Angst vor Geisteskranken, obwohl die psychisch Kranken
statistisch weniger Straftaten begehen als Gesunde.

Möglicherweise zeigen uns aber gerade die Massenmörder, wie wichtig es ist, jede Straftat vom Täter her aufzuklären, sich mit seiner
Entwicklung, seiner Persönlichkeit, seinen Erkrankungen und seinen Motiven zu beschäftigen. Hier spielen sich große Dramen ab, hier drängen
sich die großen Fragen nach Schuld, nach Sinn, nach Gerechtigkeit, nach Gott, nach Gut und Böse urplötzlich ins Bewusstsein.

Wir werden solche Taten nie verhindern können, sowenig wir Tsunamis, Erdbeben oder Seuchen verhindern können. Aber wir können uns bewusst
machen, dass auch Massenmörder Menschen sind und Menschen seit Kain morden, der Mord also offenbar zum menschlichen Wesen gehört.

Das hören wir alle nicht gerne, weshalb man Massenmörder gerne durch entsprechende Bezeichnungen wie Monster oder Ungeheuer entmenschlicht, um sie uns emotional vom Hals zu halten. Aber auch das wird nichts an der Tatsache ändern, dass es Menschen sind, ob gesund oder krank - Menschen.

VON RA HEINRICH SCHMITZ

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