Donnerstag, 3. Mai 2012

Memory 3.0 - Segen oder Plage ? von RA HEINRICH SCHMITZ

Und zu diesem Thema hier

http://wallasch.twoday.net/stories/enter-in-memoriam/

quasi als direkter Schlagabtausch
ein noch viel weiter geöffnetes, wunderbares Sichtfenster ins facebook, in unser aller Erinnerungen – ins pralle Leben!

von RA Heinrich Schmitz.


Facebooks Chronik speichert alles für immer und ewig, unbegrenzt und ungefiltert. Jedes like, jeder müde Witz, jeder geistreiche Kommentar, jedes Foto - ALLES.

Damit bietet facebook, aber auch andere speicherwütige soziale Netzwerke, einen stetig wachsenden Speicher an Erinnerungen, oder ?

Wie war das noch früher schön, die gute alte Zeit, wo mancher vielleicht Tagebuch führte, aber die breite Mehrheit sich ihre Vergangenheit
zusammenerinnern konnte wie sie wollte. Aus und vorbei.

Die Angler werden es bedauern, dass ihr Fang nicht mit jeder aus der Erinnerung geschöpften Erzählung immer länger wird, weil sie den Fang ja
stolz auf fb im Bild verewigt haben. Dabei haben sie keineswegs gelogen, ebensowenig wie die Jäger mit ihrem Jägerlatein.


http://www.hicker.de/data/media/29/angler-neufundland_5552.jpg

Erinnern ist kein Abrufen von Videoclips auf einer internen Hirnfestplatte, es ist ein aktiver Vorgang. Bei jedem Erinnern schafft unser Gehirn erst eine neue Erinnerung , aus einzelnen Schnipseln, die an unterschiedlichen Stellen des Gehirns abgelegt, mit positiven oder negativen Gefühlen verküpft und alles andere als Fakten sind.

Es fängt schon bei der Wahrnehmung an, die immer subjektiv und stets selektiv ist. Während der eine sich an die schöne Stimme einer Sängerin erinnert, hat der andere nur noch ihren Ausschnitt im Kopf, während der Fan der
siegreichen Mannschaft den Elfmeter für berechtigt hält, erinnert der Fan des Verlierers eine grobe Fehlentscheidung des Schiedsrichters.
Unser Hirn ist kein zuverlässiges Speichermedium.


Es ist immer wieder eine Freude, die Veränderung von Erinnerungen über einen gar nicht mal so langen Zeitraum beobachten zu dürfen. Im
Strafverfahren werden Zeugen meist kurz nach einem Geschehen, dass sie beobachtet haben von der Polizei befragt, etwas später vielleicht
nochmal, dann in der ersten Instanz und vielleicht ein halbes Jahr später in der Berufung.

Es ist absolut irre. Während ein Zeuge zum
Beispiel einen Verdächtigen bei seiner ersten Vernehmung nicht näher beschreiben konnte ( Mann, helle Jacke), meint er ein paar Tage später,
die Jacke habe rote Streifen gehabt und der Mann sehe genauso aus, wie einer, den er einen Tag vorher gesehen hat. Im ersten Termin "erinnert"
er sich dann daran, dass er doch schon bei seiner ersten Vernehmung von den roten Streifen erzählt hat - was natürlich nicht so war. Der lügt
nicht ! Der erinnert sich nur. Manche erinnern sogar Dinge die nie geschehen sind - false memory effect - bei jahrelang zurückliegenden
Sexualstraftaten gerne genommen.


http://www.ag-luedinghausen.nrw.de/service/zeugen/Zeugenvernehmung.jpg


Erzählen langjährige Ehepartner eine gemeinsam erlebte Geschichte, dauert es nur wenige Sätze bis der eine den anderen unterbricht und
vehement darauf hinweist, dass das doch alles ganz anders war.


Wird facebook die Erinnerung verändern ? Verschlechtern oder verbessern? Schwer zu sagen. Natürlich wird es einfacher werden, die Frage zu
beantworten, was haben sie am 3.5.2006 gemacht, wenn man an dem Tag bei facebook etwas hinterlassen hat, aber das könnte ich auch, wenn ich in meinen alten Terminkalender gucke. Bis auf ein paar fb-Junkies wird wohl niemand alles was er an einem Tag getan oder erlebt hat bei facebook verewigen.

Good times eher , bad times eher nicht.
Einzelheiten schon gar nicht. Auf facebook will doch, wie auch sonst in der Öffentlicheit,
keiner schlecht aussehen. Facebook speichert also gar keine Erinnerungen, sondern lediglich postings, also bereits vorsortierte Botschaften an die "Freunde". Klar kann man daran später noch erkennen, womit man sich zu einem Zeitpunkt mal gedanklich beschäftigt hat, viel mehr aber auch nicht.

Ein Tagebuch - sofern man darin ehrlich mit sich
selbst umgeht , und warum sollte man das nicht - hat ein wesentlich höheres Erinnerungspotential.


http://www.design-literatur.de/blog/wp-content/design_tagebuch_21.jpg

Dass die eigenen Erinnerungen sozusagen bei facebook abgeliefert werden, halte ich für unwahrscheinlich. Eventuell kann man sich aber
Erinnerungen besser zurück holen, wenn man in 20 oder 30 Jahren gefragt wird, "wie war das eigentlich damals mit den Piraten, Opa. Warst du
dafür oder dagegen ?" Wenn man sich dann seine eigenen Kommentare noch mal ansieht, kommt der Wahrheit vermutlich näher als der eigene Opa,
der auf die Frage , wie war das eigentlich mit den Nazis, auf Erinnerungslücken verweisen kann. Ob das gut ist, ist eine andere Frage.

Wenn einem die virtuell-reale facebook-Erinnerung nicht mehr gefällt, kann man ja auch problemlos wieder in den biologisch-gnädigen
Erinnerungsmodus umschalten, sich wie Alexander Wallasch bei facebook abmelden und damit alles, was man so von sich gegeben hat, dem Zugriff
der Öffentlichkeit und - noch viel wichtiger - dem eigenen Zugriff entziehen, nach dem adenauerschen Motto: "Was kümmert mich mein
Geschwätz von gestern."

Segen oder Plage ? Hat jeder selbst in der Hand.

von RA Heinrich Schmitz.

ENTER IN MEMORIAM

Kolumne für TheEuropean.de
http://www.theeuropean.de/alexander-wallasch/10949-facebook-und-das-gedaechtnis


http://stadtbibliothekdormagen.files.wordpress.com/2011/06/facebook_findus.jpg

Rene: „Michael hat uns auf Facebook zum Geburtstag eingeladen.“ Alexandra: „Hmm ... gab’s da nicht ein paar lustig kommentierte Fotos vom letzten Jahr? Irgendwo zwischen dieser furchtbaren Libyen-Sache und der überfahrenen Katze? Like es doch erst mal. Zusagen können wir immer noch.“

Erleben, erinnern – vergessen. Verändert Facebook, verändert das Internet jahrhunderte alte Denkmuster? Erleben wir im 21. Jahrhundert eine radikale Veränderung der Erinnerungskultur? Oder doch alles nicht so schlimm?
Kalter Kaffee, heißer gekocht, als getrunken?

Also: Im Jahre 2016 werden voraussichtlich eine Milliarde Menschen bei Facebook angemeldet sein. Jeder Einzelne wechselte dann vom privaten in ein öffentlich gefacebooktes Hier-und-Jetzt. Zu den heute schon über 900 Millionen Facebookern kommen also täglich Tausende hinzu, die ebenfalls ohne erkennbare Not einfach aufgehört haben ihren Alltag mit ihrem individuellen Filter (Gedächtnis) zu verwalten.

Das Gedächtnis, eben jener Ort, der bisher Erlebnisse – mehr oder weniger zuverlässig und bedürfnisorientiert – in zu Vergessenes und Erinnerungswürdiges trennte.

Für bald eine Milliarde Weltbürger gilt also: Ab jetzt wird einfach nur noch abgelegt. Ja, die Speicherkapazität von Facebook und Co ist unendlich. Noch für die kleinste aufgeblasene Banalität steht ausreichend Platz zur Verfügung. Übrigens im selben virtuellen Raum, wo auch die großen Nachrichten ihren Platz finden. Erinnerungsdemokratie. Eine Konkurrenz untereinander entfällt. Relevanzunterscheidungen Fehlanzeige. So wird ausnahmslos jedes Erlebnis hingewürgt, ausgespien und als potentielle Erinnerungskotze gesichert und abgespeichert.


http://www.veeser-dombrowski.de/schule/gehirn01.jpg

Klar, dass das neue Fragen aufwirft. Beispielsweise die, wie man sich jetzt überhaupt noch an bestimmte Fragmente gelebten Lebens erinnern soll. Besitzen wir in lichten Momenten noch die Fähigkeit Erinnerungswürdiges aus dieser monströsen Datenmüllkippe herauszufiltern? Und was ist uns überhaupt noch erinnerungswürdig geblieben? Welche Funktion haben solche gefacebookten Erinnerungen?

Wie war das denn früher, als wir Phasen unseres Lebens dankenswerter Weise dem vorläufigen Vergessen übergeben konnten und auf der anderen Seite die wunderbare Fähigkeit besaßen, weit zurückliegende Wohlfühlmomente jederzeit neu mit Leben zu erfüllen?

Wer noch vor wenigen Monaten (mittlerweile hat Facebook wohl eine archiv-ähnliche Funktion mit einer Chronologie eingesetzt) versuchte, ein – sagen wir mal drei Monate altes – bei Facebook abgelegtes Erlebnis als Erinnerung zurückzuholen, der weiß wovon die Rede ist: Ein „Zurück“-Button-Geklicke stur-chronologisch über alle kommentierten und geliketen Erinnerungen hinweg, dass so verdammt an die Monotonie industrieller Fließbandarbeit erinnerte.

Erinnerungssuche. Ein elender Zeitaufwand, der früher lediglich eine Sekunde des Nachdenkens und der Konzentration verlangte. Mehr nicht. Und ganz gleich, welche noch ausgefeilteren und mit noch höherem Verwaltungsaufwand belegten Facebook-Archiv-Funktionen folgen werden, die emotionale Zuordnung könnte selbst das perfekteste System nicht übernehmen. Und wie auch soll ich mich an etwas erinnern, das ich lediglich virtuell auf dem großen PInnwand-Haufen abgelegt habe?

Die Einführung des Taschenrechners im Schulunterricht belegt längst eindrucksvoll die Abgabe von Gehirnfunktionen und Fähigkeiten. Ebenso das Word-Rechtschreibprogramm oder beispielweise die google-Suchfunktion. Letztere wird übrigens sogar von eisernen Facebook-Verweigerern nicht in Frage gestellt. Da müsste man die Verbindung ins Virtuelle schon endgültig trennen, um dieser Informationskrake zu entkommen.


http://dwb.bbaw.de/art/archiv1.jpg

Also, was erwartet uns irgendwann, wenn wir unsere biologischen Erinnerungsspeicher samt emotionaler Sortieranlage vollständig an Facebook und Co abgegeben haben? Wer kann sich eine Win-Win-Situation vorstellen und wie könnte die aussehen?

Gerade postet Alexandra Fotos vom "ganz netten" Geburtstags-Grillabend bei Michael und bekommt schon nach 15 Minuten 37 Likes. Leider wurde dann eine Katze überfahren und nach 276 Kommentaren geriet der Grillabend in Vergessenheit.

Hier die direkte Antwort von unserem guten RA Heinrich Schmitz! -->
http://wallasch.twoday.net/stories/memory-30-segen-oder-plage-von-ra-heinrich-schmitz/

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