Samstag, 11. Februar 2012

Brennendes Braunschweig

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Über eine ritualisierte Empörung

Im Keller des Altenpflegeheim „Bethanien“ im Braunschweiger Marienstift kann man für einen kleinen Betrag kegeln. Wir hatten das mal für einen Kindergeburtstag gebucht. Ich gönnte mir nach einer Stunde lautstarkem Kinderkegeln eine Pause und setzte mich auf eine Zigarette vor die Tür auf eine hölzerne Bank neben einen sehr alten Mann, der ebenfalls Kippe rauchte.

Und wie das schnell unter Rauchern sein kann, kamen wir ins Gespräch. Der schmale Alte – Hosenträger, kariertes kurzärmliges Hemd, grobes Schuhwerk – erzählte, er sei 1944, fast noch ein Kind, Feuerwehrhelfer in Braunschweig gewesen und hatte die britischen Bomberangriffe aus nächster Nähe miterlebt.

In besonderer Erinnerung ist ihm die junge Frau mit dem kleinen Mädchen an der Hand und dem Kinderwagen geblieben, die sich und ihre Kleinen vor dem Feuersturm auf eine gegenüberliegende Straße retten wollte, die dann aber mit den dünnen Wagenrädern im von der Hitze klebrigen, oder schon flüssig gewordenen Straßenasphalt hängen blieb und während sie verzweifelt zerrte und ruckelte wurde sie unter einer „wie in Zeitlupe“ herabfallenden Häuserfassade begraben.

...

Walther Hoeck war damals nicht so nah dran, wie der junge Feuerwehrhelfer. Der Braunschweiger Maler wohnte etwas außerhalb der Stadt. Von der Frau mit den Kindern, die wie viele andere Braunschweiger Innenstädter verbrannt, unter Tonnen von Schutt und Asche begraben wurde oder in Schutzräumen erstickten, sah der zu dem Zeitpunkt fast 50-jährige also nichts.

Was Hoeck vom Angriff der 233 Lancaster-Bomber der „No.5 Bomber Group Royal Air Force“ sah, war der Widerschein des zweieinhalb Tage ununterbrochen wütenden Feuersturms, den der Abwurf von etwa zweihunderttausend Phosphor- Brand- und Sprengbomben planmäßig bewirkt hatte.

Was Hoeck sah, war ein kilometerhoch aufsteigender vom lodernden Feuer darunter hell erleuchteter Rauchpilz. Ein Infernal. Eine Feuersbrunst, die in flackerndem Orange, Rot und Grellgelb diese monströse, hochstehende Wolke phosphorisierte.

Der Brandgeruch war schon Stunden später weit über die Stadtgrenzen hinaus gezogen. Da hatte Hoeck wahrscheinlich bereits seine ersten Skizzen fertiggestellt, die er später zu einem Ölgemälde verarbeiten sollte.



Vom Sterben der Stadt existieren kaum Fotografien. Ja, es gibt welche, die eine alte Frau neben aufeinandergestapelten Kinderleichen zeigt. Und dann existieren jene Aufnahmen, die aus Bomberflugzeugen gemacht wurden, um wohl die totale Vernichtung zu dokumentieren. Die Sieger machten nach dem Einmarsch im Braunschweig auch Aufnahmen von den stehengebliebenen Ruinen, den Häuserskeletten und den schmalen Eisenbahnschienen, auf denen der verbliebene Schutt noch jahrelang weggeschafft wurde.

Die Asche des Babys aus dem Kinderwagen, des kleinen Mädchens und der Frau wurden wohl nie beerdigt. Wie auch? Manche Schutthaufen wurden an Orten mitten in der Stadt aufgeschüttet und wuchsen zu Bergen, auf denen heute Kinder rodeln. Streng genommen sind das auch Friedhöfe. Die Asche der vollständig verbrannten Toten wurde ja nie in Urnen umgefüllt. Aber wer will das genau sagen können?

Hoeck malte also dieses Inferno in Öl. Ein eindrucksvolles subjektives Zeitzeugnis, das nicht viel mehr zeigt, als diese gigantische Rauchwolke, geerdet nur durch einen schmalen Streifen Land, ein kurzes Stück Feldweg, der zu einem Bauernhaus führt.



Die Intensität des Gemäldes ist heute vielleicht am ehesten zu vergleichen mit der Ästhetik einer Atombombenexplosion. Die „Ästhetik des Grauens“– so auch der Titel einer Ankündigung im STERN zum 2003 als STERN-Buch erschienen Fotoband „100 Sonnen" des US-Fotografen Michael Light, der solche Atombombenpilze fotografierte oder Fotos davon sammelte.

Ja, und so könnte man heute nun Hoecks Gemälde ebenfalls betrachten. Aber seit 1945 ist es für viele überlebende Braunschweiger auch Teil ihrer Erinnerung geworden. Dazu wurde es sogar mehrfach kopiert und im Museum ausgestellt. Auch für die Generationen von Braunschweiger Schülern, die etwas über die Geschichte ihrer Heimatstadt erfahren sollten und sollen: Etwa über den Zeitpunkt, als das mittelalterliche Braunschweig sein Gesicht verlor und zu dem Braunschweig wurde, das die Überlebenden und ihre Nachfahren gemeinsam mit tausenden von Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten gestalteten.

Warum das Gemälde 2012 im Giftschrank verschwinden soll, was Hoeck für eine Type (Nationalsozialist in Funktion) war, wie seine Erinnerung in Öl nach fast 70 Jahren zum absoluten Aufreger wurde, was eine örtliche Bank damit zu tun hat und wie sich alles zu einem großen Irrsinn verwächst, erzählt eine – klar, fad geschriebene – aber immerhin so einigermaßen die Ereignisse zusammenfassende "Fleißarbeit" eines der örtlichen Kulturschreiber ( Martin Jasper ).

Mein persönliches Negativ-Highlight: Die „Bild-Analyse“ des „Kunsthistorikers“ Möller.

Hier also der Artikel:
http://www.newsclick.de/index.jsp/menuid/9759657/artid/15679004
Alexander Wallasch - 13. Feb, 06:46

Nachtrag

Im Übrigen ist der Typ ja nicht Picasso. Niemand interessierte sich in diesem Fall und bisher für einen "Hoeck". Niemand. Hier geht es um ein Bild, das zufällig – weil keine anderen da waren – einen besonderen Stellenwert bekam. Nicht als künstlerisches oder kunsthistorisches missing link, sondern allein des Motives wegen. Als Dokument. Hätte der Nachbar von Hoeck Fotoaufnahmen der Szene gemacht, ständen die vielleicht sogar weit über seinem Gemälde. Denn sie würden für involvierte Betrachter den Zweck mehr erfüllen, als dieses Bild. Aber der Nachbar hat nun mal nicht fotografiert. Schon gar nicht in Farbe. Auch sonst keiner. Im Gegenteil ist das Motiv auch deshalb so immanent wichtig, weil der Bombenterror heute geprägt wird von den Luftaufnahmen der Bomberpiloten, die in hoher Zahl existieren. Diese Perspektive und die lange Zeit die vergangen ist, haben eine Distanz geschaffen. Vielleicht regt das Bild – zurück im Bewußtsein durch diese alberne Diskussion – deshalb so auf, weil es auf Dauer eine Perspektive zurückholen kann, die sonst nur in der Erinnerung der Zeugen und unmittelbar Betroffenen existiert, bis diese verstorben sind.
Aber zurück zu Nazi-Hoeck. Kein Schüler oder sonstwer, der das sehen muss oder will oder damit eine eigene intensive Erinnerung auffrischt, speicherte bisher den Namen. Das eben genau ist der Punkt. Der Künstler steht nicht wie sonst heute im Kunstbetrieb üblich ebenso im Mittelpunkt wie sein Werk. Hoeck ist schlicht uninteressant. Und mal vom Motiv abgesehen –auch seine Maltechnik gibt dazu ja vielleicht auch keinen weiteren Anlass.
Bei meiner Oma hing eine Harzlandschaft über dem Sofa. Die war ganz schön gemalt. Wer der Maler war? Keine Ahnung. Das hing da ja nur, weil meine Oma Harzerin war und den Harz so erinnert haben wollte, wie er war. Ohne Impress- oder Expressionismus – also ohne die Auseinandersetzung mit der eventuellen persönlichen Befindlichkeit des Malers – oder sonstwas. Was der Möller in der Zeitung unkommentiert erzählt ist also schlichtweg Polit-bullshit.

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