Mittwoch, 16. November 2011

EIN EXPERTE SIEHT ROT

Und wieder beste Werbung für einen der besten Anwälte. Schmitz Thema diesmal: Schuld und Sühne. Opfer und Täter. Mich erinnerte der Text Anfangs etwas an Hubertus von Lobensteins social-media-experten-Text. Dort beklagt der, das es viel zu viele selbsternannte Experten gibt.

http://von-lobenstein.posterous.com/botschaft-an-den-unbekannten-social-media-exp

Für Hubertus gilt dann allerdings das Selbe, wie für Heinrich: Wenn Ihr die Experten seit, dann macht es besser. Wir schauen dann mal.





Ein Pädagogikexperte sieht rot

von RA HEINRICH SCHMITZ



Unter der Überschrift "Unsere Justiz denkt an den Täter, nicht ans Opfer" kann man bei welt-online einen bemerkenswerten Kommentar des Pädagogikexperten und früheren Gymnasiallehrers Rainer Werner lesen:

http://www.welt.de/debatte/kommentare/article13713620/Unsere-Justiz-denkt-an-den-Taeter-nicht-ans-Opfer.html

Bemerkenswert nicht, weil er sich besonders kenntnisreich mit unserer Strafjustiz auseinandersetzt, sondern weil in bemerkenswerter Weise zeigt, dass es in Deutschland eine Meinungsfreiheit gibt, die es Menschen ermöglicht ohne jede Sachkenntnis über Sachverhalte zu schreiben, deren Grundlagen sie offenbar nicht erkannt haben und die sie auch gar nicht interessieren.

Es beginnt mit der einzig richtigen Feststellung in der Überschrift. "Unsere Justiz denkt an den Täter, nicht ans Opfer"
Ja, das stimmt, dass unsere Justiz im Strafverfahren an die Täter denkt. Dass das auch so sein muss, ergibt sich aus dem Sinn des Verfahrens - es dient nämlich dazu, zum einen die Schuld des Täters festzustellen und zum anderen für diesen eine angemessene Strafe zu finden. Wie sollte das gehen, wenn die Justiz nicht an den Täter denkt ?

Dann reiht Werner Fehler über Fehler aneinander.

"Strafe diente früher der Sühne einer begangenen Tat. Heute geht es einzig um die Resozialisierung des Täters. "
- Falsch. Resozialisierung ist ein Strafzweck, aber bei weitem nicht der einzige. Spätestens seit der präventiven Vereinigungstheorie ( Roxin, 1966) hat das Strafrecht verschiedene Zwecke. Durch die Strafdrohung des Gesetzes soll Abschreckung entstehen, durch die konkrete Strafverhängung positive und negative generalpräventive sowie positiv spezialpräventive Wirkung auf den Täter erzielt werden, d.h. dem Täter soll durch die Strafe klargemacht werden, dass er Unrecht begangen hat und er soll dazu gebracht werden künftig kein Unrecht mehr zu begehen. Dass dazu vor allem eine (Ren)Sozialisierung des Verurteilten dienen kann, ist unabweisbar.

"Heute fragt jedes Gericht nach der sozialen Indikation von Verbrechen. Gutachten beleuchten das soziale Umfeld und zeichnen das familiäre Schicksal des Täters nach."



- Ja was denn sonst möchte man rufen. Wenn das Gericht nicht die Ursachen für eine Straftat ermittelt, kann es auch nicht zu einer Schuld angemessenen Strafe gelangen. Es ist ein Unterschied, ob ein pensionierter Gymnasiallehrer mit einer lupenreinen Biographie aus plötzlicher Laune heraus eine Straftat begeht oder ob der Täter in seiner Kindheit vernachlässigt, misshandelt oder von seinem Lehrer missbraucht wurde. Wenn das Gericht sich mit diesen Umständen nicht mehr beschäftigen soll und sein Urteil nur noch aufgrund äußerer Umstände, wie z.B. Überwachungs-videos sprechen soll, ist es mit der Schuld angemessenen Strafe nicht mehr weit her.
"Im Jugendstrafrecht überwiegt der erzieherische Gedanke. Die Hürde für die Verhängung einer Haftstrafe für Jugendliche ist hoch. Straffällige Jugendliche werden eher zu Sozialarbeit beim Roten Kreuz verpflichtet, leisten gemeinnützige Arbeitsstunden bei den Arbeiter-Samaritern ab oder werden in Box-Camps untergebracht, wo sie lernen, ihre Aggressionen in sozial verträglicher Form abzureagieren. "
- Richtig ist, dass Jugendstrafrecht in erster Linie Erziehungsstrafrecht ist und auch sein muss. Jugendliche sind eben noch nicht fertig sondern in besonderem Maße erziehbar. Dass das von einem Ex-Lehrer offenbar bezweifelt wird , ist seltsam. Es ist aber nicht so, dass ein Jugendlicher, der eine schwere Straftat begangen hat lediglich mit Sozialstunden davon käme. Das ist ein beliebtes Märchen. In § 17 JGG, der die Voraussetzungen der Jugendstrafe benennt heißt es:

"Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist."
Wenn also eine schwere Schuld des Täters festgestellt wird, gibt es Jugendstrafe auch, wenn diese pädagogisch vielleicht gar nicht nötig wäre. Und - man glaube einem alten Strafverteidiger - diese Jugendstrafen werden tatsächlich verhängt und verbüßt.


"Gerne zitieren Kriminologen eine Statistik, der zufolge 70 Prozent aller jugendlichen Straftäter, die eine Haftstrafe verbüßt haben, rückfällig werden. Aus dieser Zahl leiten sie die Forderung ab, eine Inhaftierung möglichst zu vermeiden und stattdessen erzieherische Maßnahmen zu verordnen." -

Wenn Jugendstrafe zu einer höheren Rückfallquote führt als andere Maßnahmen, dann ist deren Vermeidung ein Gebot der Vernunft.

"Sieht man im Bösen hingegen eine Grundkonstante des menschlichen Seins, macht man den Menschen für seine Taten verantwortlich und nimmt ihn dafür in „Haftung“. "

Ganz ehrlich, ein Pädagoge der "im Bösen eine Grundkonstante des menschlichen Seins" sieht , ist mir nicht geheuer, aber o.k., jeder hat so seine Grundsätze. Dass man aber "das Böse" mit harten Strafen aus dem Täter vertreibt ist Wunschdenken und durch nichts belegt. LÄnder mit härteren Strafen bis hin zur Todesstrafe haben nicht weniger Kriminalität.



Ich habe in meiner ca. 25-jährigen Zeit als Strafverteidiger unzählige Jugendliche und auch Erwachsene verteidigt. Nur wenige von diesen Tätern hatten eine "normale" Sozialisation. Die meisten waren bereits in ihrer Kindheit auf unterschiedlich Weise Opfer von körperlicher oder gar sexueller Gewalt, Alkoholmissbrauch der Eltern, emotionaler Verarmung oder ähnlicher misslicher Umstände. Diese Menschen für eine Straftat mit der gewünschten "empfindlichen Haftstrafe" zu belegen wäre in den allermeisten Fällen kontraproduktiv gewesen. Es ist häufig nötig, diesen Menschen zuerst einmal das Gefühl zu geben, dass ihnen, auch in Ansehung ihres persönlichen Schicksals und trotz der von ihnen begangenen Straftat ein Wert als Mensch zukommt, dass sie zwar eine gerechte Strafe für ihr Fehlverhalten zu erwarten haben, dass das aber nicht bedeutet, sie würden verdammt. Über das von Herrn Werner erkannte überbordende Selbstbewusstsein verfügen die wenigstens, die zur Schau gestellte coolness vor Gericht, ist meistens nur eine Form von Selbstschutz eines Menschen ohne jedes Selbstwertgefühl.

Es ist so einfach, nach harten Strafen zu rufen, wer aber wirklich will, dass weniger Kriminalität entsteht, der kommt nicht umhin sich mit den gesellschaftlichen Ursachen und den individuellen Lebensschicksalen der Täter zu beschäftigen.
Alles andere ist dummes Geschwätz und billige Propaganda.

von RA HEINRICH SCHMITZ

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