Samstag, 19. November 2011

FRISCHES AUS ERFURT

Was taugt DAS PARTEIPROGRAMM der Partei DIE LINKE wirklich?



TEIL I

Das neue Programm der Partei DIE LINKE liegt aktuell zum Mitgliederentscheid vor. 52 Seiten in DinA4. Vorangestellt: „Fragen eines lesenden Arbeiters“ von Bertolt Brecht.

Es folgt „Präambel – dafür steht die LINKE“.
Dort ist mir ein erstaunlicher Satz aufgefallen, der mir eine Frage beantwortet hat: „Grenzenloser Reichtum für die oberen Zehntausend, Entwürdigung für immer mehr Arme und sinkender Wohlstand für die große Mehrheit sind nicht Ergebnis der Internationalisierung von Produktion und Handel, sondern des globalen Kapitalismus.“

Mein Frage war, ob der traditionelle Internationalismus der Linken nicht gescheitert ist, da er nur dem Wirtschafts-Internationalismus des Kapitals in obszöner Weise Vorschub geleistet hat.

Aber was genau nochmal ist der Unterschied zwischen "Internationalisierung von Produktion und Handel" und "globalem Kapitalismus"? Egal.

Weiter heißt es in der Präambel: „Die herrschende Politik hat sich den Interessen der Konzernchefs und Vermögensbesitzer untergeordnet. Diese Agenda ist gegen die Interessen der Mehrheit der Menschen gerichtet.“
Also ehrlich: Wer würde da ernsthaft widersprechen?

Schön finde ich die Aufforderung „Wir wollen dazu beitragen, dass aus passivem Unmut aktive Gegenwehr wird.“
Hätte man das in einem niedergebrannten Haus in Zwickau gefunden, wäre das totsicher als Aufforderung zur Gewalt verstanden worden. Hier ist es folgerichtig, nachvollzieh- und annehmbar.
Auch wenn es natürlich zunächst ein Allgemeinplatz bleibt, aber es folgen ja noch 47 Seiten (Wir sind auf Seite 5).

Die erste Seite der Präambel endet mit dem Satz: „Wir wollen eine Gesellschaft des demokratischen Sozialismus aufbauen, in der die wechselseitige Anerkennung der Freiheit und Gleichheit jeder und jedes Einzelnen zur Bedingung der solidarischen Entwicklung aller wird. (...)“
Logisch, der Alltagstest gibt hier absolut recht: Denn wer beispielsweise gerade eine neue Versicherung abschließen wollte und sich dann in dieser oder jener Risikogruppe mit diesem oder jenem Beitragssatz wiederfindet, stimmt zu: ja, die staatlich garantierte Solidargemeinschaft des „deutschen Volkes“, oder weniger verfänglich der „deutschen Staatsbürger“, ist abgeschafft oder mindestens in großer Gefahr.



Weiter geht's: Es folgt die Info, das mit dem Programm drei Grundideen verknüpft sind:

1.Individuelle Freiheit für jeden durch soziale gleiche Teilhabe.
2.Unterordnung der Wirtschaft unter die solidarische Entwicklung.
3.Demokratische Überwindung der Vorherrschaft des Kapitals.

Kann man ebenfalls zustimmen. Mehr noch, man stellt sich die Frage: könnte das nicht gefahrlos auch bei CDU, SPD usw. stehen? Das gilt im übrigen auch für fast alle Punkte, die unter der Überschrift wofür „die LINKE kämpft“ zusammengefasst sind: „Demokratische Wirtschaftsordnung, Recht auf Arbeit, soziale Sicherheit, gesetzliche Rente, Bildung, gerechtes Steuersystem, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, gegen Diskriminierung, Frieden, Abrüstung usw.

Als erstes erstaunliches Fazit drängt sich jetzt der Gedanke auf, das es scheinbar heute im gesamten Parteienspektrum Einigkeit über die angestrebten Ziele zu geben scheint. Das ist doch bemerkens- und erwähnenswert! Es scheint immerhin so, das alle das selbe Ziel haben, nur eben mit anderen Mitteln. Ein erstaunlicher Konsens. Denn das war bei weitem nicht immer so. Also weiter schauen, wie sich die Mittel und Wege unterscheiden. Das müsste ja auf den nun noch verbleibenden 44 Seiten näher erklärt sein.

Wunderbar finde ich den beinahe schon poetisch überschriebenen 1. Programmpunkt, den man vorab für nötig hält:

„Woher wir kommen, wer wir sind.“

Und hier der pralle Einleitungssatz:
„Wir bündeln politische Erfahrungen aus der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik.“
In der Reihenfolge! Aber ok: genauer betrachtet kann man das durchaus so tun. Erfahrungen müssen ja nicht zwangsläufig nur positive sein. Und so gesehen wären der Adenauer Republik mit der Verarbeitung von ein paar mehr Erfahrung aus dem III. Reich die 68er erspart geblieben, die heute und seit Joschka Fischer von immer mehr Deutschen als das wahre Übel der Gegenwartssituation und -politik erkannt wurden und werden.

Im Weiteren ein historischer Abriss in dem klar wird,die Überschrift behandelt nicht allein die Frage, woher DIE LINKE kommt und wer sie ist. Hier geht es jetzt um uns alle. Uns Deutsche.

Beginnend mit der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert, endend es mit der Feststellung „Das Projekt „Rot-Grün“ enttäuschte ab 1999, da es soziale und ökologische Ziele den Interessen des Kapitals unterordnete.“

Gut! Bogen gekriegt. Das Kapitel bekommt allein deshalb ein dickes Sternchen.



II. Krisen des Kapitalismus – Krisen der Zivilisation.
Einleitungssatz: „Der Kapitalismus von heute ist räumlich und zeitlich entgrenzt, er hat sich die ganze Welt untertan gemacht.“ Oder über das Kapital und die multinationalen Konzerne: „Sie üben maßgeblich Einfluss aus auf die Welthandelsorganisation WTO, auf die Weltbank und den internationalen Weltwährungsfonds.“
Ja – das ist im Übrigen seit der Finanzkrise Volksglaube oder Volkswissen. Je nach dem, ob man auf der 99% oder auf der anderen Seite steht.
Das ist deutlich massenkompatibel. Und – fast schon eine Litanei auf den ersten Seiten dieses Programms: Es geht quasi widerspruchsfrei quer durch alle politischen Lager (Beleg z.B.: Münteferings „Heuschreckendebatte“, Merkels „Wir brauchen Regeln, damit der Staat nie wieder von den Banken erpresst werden kann“).

Bemerkenswert auch dieser Satz: „Auch die Existenz des „sozialistischen Lagers“ war eine Herausforderung (gemeint ist hier: für den Westen/BRD), auf die mit sozialstaatlichen Zugeständnissen reagiert wurde. (…) Mit dem Wegfall der Systemkonkurrenz hat sich das Kräfteverhältnis zwischen Arbeit und Kapital zu Ungunsten der abhängig Beschäftigten verändert.“

Das ist schon deshalb erstaunlich und gut, weil es ja scheinbar eine Konkurrenz der politischen Systeme befürwortet!



Dann folgen ein paar Seiten emanzipatorische Übungen, die man vernachlässigen kann. Schon deshalb, weil sie von der falsche Voraussetzung ausgeht, das erst die Industrialisierung die "Frauenbenachteiligung" erschaffen hätte. Ist aber nicht so wichtig, da sich solche Programmpunkte in allen Parteiprogrammen finden, als gäbe es dafür irgendwo eine passende Gender-Mainstreaming-Schablone.

Der dann folgende Abriss über die neoliberale Wende trägt die Handschrift Sahra Wagenknechts. Das kann wohl sonst kaum eine/r. Und ja doch: Es tut der Sache gut. Erinnert es doch auf angenehme Weise an die so überzeugenden Talk-Show Auftritte der spröd-charmanten Jenaerin.

Da kann man nur hoffen, das sie ihre Linie an der Seite vom schlauen Oskar noch weiter ausbauen kann. Was man hier von ihr liest, sind überzeugend vorgetragene Wahrheiten. Und schaut man in diesem Moment des Lesens mal die aktuellen Umfragewerte der Partei, fällt auf, dass die Partei DIE LINKE allein für diese Inhalte mit Leichtigkeit ein vielfaches an Zustimmung bekämen. Und hier wird dann auch die Hauptaufgabe der Partei DIE LINKE deutlich: Will sie weiter erstarken und ihren politischen Einfluss noch erhöhen. muss sie zunächst die Diskrepanz zwischen inhaltlicher und wahrgenommener Politik überwinden.

Oder noch linksfreundlicher ausgedrückt: Zwischen tatsächlichen Inhalten und der Darstellung dieser Inhalte in der Konzern- und kapitaleigenen Presse. Denn das da Interessen unweigerlich kollidieren ist keine Weisheit, sondern eine Urerkenntnis der 68er, die als Reaktion auf diese Diskrepanz Springers Lieferfahrzeuge in Flammen aufgehen ließen.

TEIL II hier:

http://wallasch.twoday.net/stories/frisches-aus-erfurt-teil-ii/
Bernhard v. Guretzky - 19. Nov, 15:47

Es scheint, wie du ja richtig gesagt hast, dass das Endziel der Linken mit denen anderer Parteien übereinstimmt. Aber wo bleibt denn jetzt die Beschreibung des beschwerlichen Weges dorthin. Oder ist das für Teil II vorgesehen?
52 Seiten Parteiprogramm durchackern, das ist schon mal nicht schlecht. Ich hoffe, dir fällt noch was kritisches auf, sonst wird's öd.

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