Dienstag, 12. Juni 2012

Verjährung - Ein totes Mädchen und die Gerechtigkeit von RA HEINRICH SCHMITZ

Wieder ein hochinteressante, hochklassige Arbeit von RA Heinrich Schmitz zur Verjährung von Straftaten.
Hinzufügen kann ich vielleicht noch, das finanzielle Schulden (sofern sie titulierte Forderungen sind, also Urteile, Vollstreckungsbescheide etc.) ebenfalls erst nach 30 Jahre verjähren. Also einem schweren Totschlag quasi gleichgesetzt sind.


Der Freispruch im Fall Lolita Brieger -
von RA HEINRICH SCHMITZ


http://static2.wn.de/var/storage/images/wn/startseite/welt/politik/politik-fall-lolita-brieger-freispruch-wegen-verjaehrung/30005460-5-ger-DE/Politik-Fall-Lolita-Brieger-Freispruch-wegen-Verjaehrung_image_630_420f.jpg

Gestern sprach das Landgericht Trier den des 1982 begangenen Mordes an der 18 jährigen Lolita Brieger angeklagten Ex-Freund frei. Nicht etwa,
weil es ihn für unschuldig hielt. Im Gegenteil, das Gericht war davon überzeugt, dass der Angeklagte das schwangere Mädchen damals vor knapp
30 Jahren getötet hatte, dass die Tat aber als Mord nicht nachweisbar und deshalb der festgestellte Totschlag wohl verjährt sei.

Diese - noch nicht rechtskräftige - Entscheidung ist kaum zu begreifen, weder für die Mutter der Getöteten, noch für deren Angehörige und Freunde und auch für die Mehrheit der Bevölkerung. Es ist auch nicht unbedingt gesagt, dass dieses erstinstanzliche Urteil der Justiz letzte Weisheit ist, es ist aber - da dies in den Medien kaum erfolgt - offenbar erforderlich, der Öffentlichkeit einmal einige Umstände zu
erklären, die eine derartige Entscheidung möglich und vielleicht sogar auch richtig machen.

Da ist zunächst einmal das "Mysterium" der Verjährung. Das Wort kennt wohl jeder, aber Sinn und Zweck sind den meisten unbekannt.

Im Strafrecht gibt es zwei Arten der Verjährung, die Strafverfolgungs- und die Strafvollstreckungsverjährung. Hier geht es nur um die erste.

Mit Eintritt der Verfolgungsverjährung ist die Ahndung einer Tat und die Anordnung weiterer Maßnahmen ausgeschlossen. Für unterschiedliche
Straftatbestände gelten unterschiedliche Verjährungsfristen. So verjährt ein Mord oder ein Mordversuch nie.

Alle anderen Straftaten verjähren mehr oder weniger schnell. Ein Totschlag nach 20 Jahren, ein besonders schwerer Fall des Totschlags
nach 30 Jahren, kleinere Straftaten wie z.B. eine Beleidigung schon nach 3 Jahren.

Im Alltag macht man sich darüber wenig Gedanken, wenn aber jemand, der mit verdammt hoher Wahrscheinlichkeit einer jungen Frau das Leben
gewaltsam genommen hat, freigesprochen wird, kommt man doch ins Grübeln, ob das alles so richtig ist. Was soll das überhaupt ? Warum kann man den nicht einsperren und bestrafen ? Die üblichen Lynchphantasien lassen wir jetzt ausnahmsweise mal beiseite.

Die Verjährung ist keine Erfindung neuzeitlicher Weicheier, sondern bereits zur Zeit der alten Römer bekannt ( „longi temporis praescriptio“). Im Strafrecht hat sie mehrere Zwecke. Einmal sollen die Strafverfolgungsbehörden angespornt werden, die Strafverfolgungsmaßnahmen , also zunächst die Ermittlungen, mit Vollgas zu betreiben und nicht unnützt herumzutrödeln, zum anderen ist es so, dass allgemein der Wunsch nach einer Bestrafung mit zunehmendem Zeitablauf abnimmt.

Wie man an den öffentlichen Reaktionen auf den Freispruch im Fall Lolita Brieger sieht, ist das aber keineswegs in allen Fällen so. Die meisten
kratzt es aber tatsächlich nicht, wenn vor vielen Jahren einmal ein Einbruch oder eine Beleidigung oder eine Körperverletzung stattgefunden hat.

Dass der Tod eines Menschen etwas ist, was nicht so einfach vergeben und vergessen werden sollte, hat auch der Gesetzgeber berücksichtigt indem
die Verjährungsfristen mit 20 und 30 Jahren für Totschlag schon recht lang sind und ein Mord nie verjährt.

Wie kann es dann sein, dass der "Mörder" von Lolita Brieger wegen Eintritts der Verjährung freigesprochen werden konnte , wie ich in allen
möglichen Foren lese? Nun, das liegt daran, dass das Gericht einen Mord eben nicht beweisen
konnte.


http://static2.wn.de/var/storage/images/wn/startseite/nrw/nrw-urteil-im-mordprozess-lolita-brieger-faellt/30004763-1-ger-DE/NRW-Urteil-im-Mordprozess-Lolita-Brieger-faellt_image_630_420f.jpg

Nicht jede Tötung eines anderen Menschen ist ein Mord. Die Vorstellungen von juristischen Laien, was ein Mord und was ein Totschlag ist, sind
leider meistens falsch. Wenn ich dieses Thema in einem Rechtskundekurs anspreche, kommen immer wieder die selben Irrtümer zum Vorschein. Ein
Mord sei vorsätzlich begangen, beim Mord wolle der Täter töten usw.... . Ja , ja, das stimmt ja auch, aber auch ein Totschlag ist die
vorsätzliche also willentliche Tötung eines Menschen - das macht gerade nicht den Unterschied.
Diese Fehlvorstellungen werden unter anderem durch Krimis gefördert. Zum Leidwesen meiner Frau (" das ist doch nur ein Krimi" ) kann ich mich
nicht daran gewöhnen, dass einem das Fernsehen oft eine fahrlässige Tötung, eine Körperverletzung mit Todesfolge oder auch einen Totschlag als Mord "verkaufen" will. Gut, ich habe ja eingesehen, dass Zweck eines
Krimis die Unterhaltung von Zuschauern durch Mordermittlungen und nicht eine Form von Volksbildung ist, ich glaube aber, dass es der Spannung keinen Abbruch täte, wenn der Tatortkommissar mal einen Totschlag statt
eines Mordes ermittelt. Aber das ist ein anderes Thema.

Der Totschlag ist sozusagen das Basisdelikt. Der Tatbestand des Totschlags, der § 212 StGB, ist so kurz wie einfach.

§ 212 Totschlag

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.


Wer also vorsätzlich, das bedeutet bewusst und gewollt, einen anderen Menschen tötet, ist zunächst immer mal ein Totschläger. Damit dieser
Totschläger zum Mörder wird, muss zu der bloßen Tatsache, dass er einen Menschen getötet hat noch etwas dazu kommen. Ein sogenanntes Mordmerkmal. Also: Totschlag + Mordmerkmal = Mord.


http://images.zeit.de/digital/mobil/2010-02/moses-gebote/moses-gebote-540x304.jpg

Diese Mordmerkmale sind Mordparagraphen § 211 Abs. 2 StGB geregelt, wo es heißt:

§ 211 Mord

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit
gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

Der Mörder tötet also nicht nur einen Menschen, sondern er macht das wahlweise aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen usw.

Nur wenn das Gericht sicher eines dieser Mordmerkmale feststellen kann, wird aus einem Totschläger ein Mörder. Wenn nicht, bleibt es bei der Basisversion des Totschlags, dem Grunddelikt.

Wer dies begriffen hat, kommt vielleicht etwas besser damit klar, den Freispruch des Ex-Freundes von Lolita Brieger verstehen zu können. Dass
er sie getötet hat, erscheint höchstwahrscheinlich so sieht es das Gericht. Auf welche Weise und aus welchem konkret nachweisbaren Grund er das getan haben mag, war in diesem Verfahren für die Strafkammer allerdings nicht feststellbar, so dass zumindest diese Strafkammer nicht zu einer Verurteilung wegen Mordes kam. Das mag der BGH in der Revision
unter Umständen anders sehen, das kann man aber nicht vorhersagen.

Das Landgericht kam aus demselben Grund - weil es die genauen Umstände eben nicht als geklärt ansah - auch nicht zu einem besonders schweren
Fall des Totschlags ( vgl. § 212 Abs. 2 StGB ). Hätte es nur schon diesen feststellen können, dann wäre die Tat auch noch nicht verjährt
gewesen, weil die 30 Jahre eben noch nicht abgelaufen waren. Auch hier könnte der BGH anderer Meinung sein. Das wird man sehen.

Grundsätzlich kann man auch der Meinung sein, dass es auch für Totschlag und einige andere Delikte, wie zum Beispiel schweren sexuellen
Kindesmissbrauch keine Verjährung geben sollte, das gegebenenfalls zu ändern ist aber nicht Aufgabe eines Gerichts, sondern Aufgabe des
Gesetzgebers.

Die Verteidigung im Falle Lolita Brieger bezeichnete den Freispruch als Sieg des Rechtsstaates. Auch wenn dies manch einem sauer aufgestoßen sein mag, kann sie damit durchaus richtig liegen. Erstens wäre nichts
schlimmer, als ein Strafgericht, dass die Gesetze missachtet nur um zu einem - auch von der Öffentlichkeit - erwünschten Ergebnis zu kommen,
und zweitens hat der Rechtsstaat dadurch, dass es eine weitere Instanz gibt, immer noch die Möglichkeit, einen Fehler der ersten Instanz zu
korrigieren.

--
RA Heinrich Schmitz

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