WAHRHEIT UND WAHRNEHMUNG
Ein Nachruf – "Inschallah Onkel Oberst!"
Gaddafi ist tot. Seine goldene Pistole landet sicher bald in einem neuen Rebellenmuseum in Tripolis. Schulkinder werden dann Jahrzehntelang etwas über eine Zeit erfahren, die, schon während sie ablief, bis zur Unkenntlichkeit deformiert wurde. Denn der Krieg um die Herrschaft in Libyen gehört sicher zu den surrealsten militärischen Auseinandersetzungen rund ums Mittelmeer. Und das lag nicht an der surrealen Erscheinung Gaddafis, sondern zu großen Teilen an der ebenso operettenhaften Ausstattung seiner Gegnerschaft.
Wer fühlte sich bei der soggenannten Rebellenarmee nicht erinnert an ominöse Auseinandersetzungen der 1970er Jahre irgendwo im tiefen Afrika, via Tagesschau ins Wohnzimmer getragen? Die Sonnenbrillenarmee im Hawaiihemd. Auf weißlackierten privaten Toyota Pickups (ist das nun eigentlich gut für die Marke Toyota oder schlecht?) aufgeschweißte Maschinengewehre wie frisch vom Hollywood-Set. „Black Hawk Down“ und „Mad Max“ – die Ausstattungen der Hollywood-Regisseure sind stereotyp. Gerüchte verdichteten sich, dass die undisziplinierten jungen Männer auf den robusten Fahrzeugen für ihre mobilen Kriegsbasteleien tatkräftige Hilfe von ausländischen Diensten erhalten haben.
Ein in Deutschland studierender Libyer zeigt im deutschen Fernsehen stolz seinen selbstgedrehten wackligen Kriegsfilm von irgendeinem Freischärler-Angriff in Libyen und hält dann noch seinen Soldatenausweis in die Kamera. Den bekam er wohl für eine noch auszuzahlende Belohnung oder Rente. Wer weiß das schon. Man wundert sich allenfalls, welches Unternehmen diese Ausweise so schnell organisiert hat. Wer sich angesichts der immer gleichen Bilder noch erinnern konnte, erinnert sich an Demonstrationen gegen Gaddafi, die in Endlosschleife im TV übertragen wurden, bis einem auffiel, dass da überall grüne Pro-Gaddafi-Fahnen geschwenkt wurden, es also gar keine Proteste sein konnten. Die Anti-Demos, die echter schienen, zeigten scheinbar immer die selben hundert Maschinengewehr-in-die-Luft-Knaller, ohne das man dafür Verschwörungstheoretiker sein musste. Oder es waren immer die selben Journalisten, die einfach bei der immer gleichen Gruppe embedded waren. Das kennt man ja noch aus den IRAK-Kriegen der USA: spezielle Truppenteile mit Mitfahrgelegenheit für die Presse. Egal. Und nachdenklich stimmend.
Und die so hochgelobten Social Media: Facebook, Youtube und Co, die angeblich alle Propaganda aufzulösen in der Lage sind? Komplettausfall bis auf die üblichen Verdächtigen. Immer die gleichen wackeligen, verschwommenen Filmchen und Bilder, denen man nach ein paar Wochen gerne unterstellt hätte, sie wäre alle von dem selben untalentierten Deppen gefilmt worden. Ob nun live oder wie die Mondlandung im Studio – nein, das ist natürlich Quatsch, aber die Nähe zum Quatsch ist hier fließend.
Wie oft war die Flucht Gaddafis vermeldet worden? Venezuela wurde am häufigsten genannt, aber selbst Nordkorea war ernsthaft diskutiert worden. Und immer wenn Gaddafis Flucht offiziell vom Rebellenrat bestätigt worden war, kamen weitere junge Männer, die entweder ihre Semesterferien nutzten oder ihre Fahrräder an den Straßenrand stellten, sich irgendwo an einem offenen Waffenlager bedienten, um schnell noch Teil der Geschichte zu werden.
Ja tatsächlich, angeblich sollen auch Studenten dabei gewesen sein, auch wenn einem die Mehrzahl der Rebellen schlicht wie Rütli-Schulabbrecher vorkamen. Ja doch: „Rebellen“, denn einen „Revolutionär“ konnte man ja keinen von denen nennen, den Titel hatte Gaddafi in ganz Afrika schon seit über 40 Jahren ganz für sich. Der Oberst war der Fidel Castro des Kontinents: Gefeiert. Charismatisch. Gutaussehend. Und erfolgreich.
(Gaddafis fünfter Sohn Mutassim kurz vor seiner Erschießung. Auch er wurde nach seiner Gefangennahme hingerichtet.)
Aber irgendwann ist dann übel was schiefgelaufen. Wo Castro weit über 500 Attentate des CIA und der Contras scheinbar stoisch – und vor allem lebend – hinter sich gelassen hatte, muss Gaddafi dünnhäutiger gewesen sein. Oder er hatte dieses Ding mit der Vorsehung drauf, das auch bei Hitler was am Hirn abgenagt haben muss. Psychologen können das nun nicht mehr klären. Castro wartet auf das unvermeidliche Attentat der Natur, das jeden ereilt und Gaddafi kann noch nicht in die Diktatorenhölle, weil er noch eine Weile auf einer schäbigen Matratze liegen muss wie „Tralala“ in „Letzte Ausfahrt Brocklyn“. Ausgestellt wie Schlachtabfall nach einer Greenpeace-Aktion. Zerlöchert. Blutend. Und ohne Hemd in einem Kühlhaus, vor dessen Tür sich Hunderte, vielleicht Tausende geduldig aufgereiht haben. Jetzt mit gezücktem Handy statt Kalschnikow.
Tot ist er ja schon. Nun geht’s ums Familienalbum. Die stärkste Gewissheit besteht eben nicht darüber, dass nun alles gut wird im Land – 80% der in Libyen lebenden Menschen sind in der Gaddafi-Ära geboren – die stärkste Gewissheit ist die, jetzt gerade libysche Geschichte mitzuerleben, die genug Potenzial hat, auch zum größten Moment des eigenen Lebens zu werden. Wenn man jetzt nur dicht genug am Geschehen bleibt. Und so ein Foto ist der maximale Beweis, dabei gewesen zu sein. Das hat dann Strahlkraft für Generationen. Diese Zugehörigkeit kann einem keiner mehr nehmen: Ich war dabei!
Sie wird in Zukunft auch über Erfolg und Misserfolg, über Partizipation oder gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit entscheiden. Die Wächter der Überreste des alten Mannes mit der seltsam haarlos (schon den Märtyrertod vorbereitet?) zerlöcherten Brust, der da im Smartphone und iPhone Blitzlichtgewitter erleuchtet wird, wissen übrigens genau um die Notwendigkeit dieser in der ganzen Welt mit Abscheu wahrgenommenen Foto-Session. Wer dürfte das verurteilen?
Dieser Bürgerkrieg ist nicht aus einem wechselnden Kräfteverhältnis entstanden. Hier haben westliche Interessen schlummernde Interessen mit altbekannten Mitteln aus der düsteren Wiege gehoben: Bomben, Bomben und nochmal Bomben. Unerreicht von ganz hoch oben auf die Köpfe geschmissen. Von ein paar eingeschleusten Spezialeinheiten am Boden dirigiert. Wer letztlich den Startschuss gegeben hat zu diesem menschenvernichtenden Irrsinn, bleibt Spekulation.
Klar, vieles wird noch herauskommen oder aus Reue von altersmilden Herren eingestanden werden: Aber der neue Status Quo wird auch diese Botschaften zu Randnotizen machen. Die Welt ist durch die Libyenkrise nicht schlauer, sie ist dümmer geworden. Zumindest scheint das so, wenn man die Fazite der schnöseligen Zeitungsjungs aus den politischen und – noch läppischer – aus den Kulturressorts liest. Und wer am Ende vom Öl, einer strategischen Lage und was sonst noch so alles zu holen ist, profitiert, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt allenfalls erahnen.
Aber auch hier gilt sicher die alte Weisheit von einem, der der sich in die düsteren Weltgeschäfte besonders tief verstrickt hat: „In der Politik passiert nichts zufällig.“ erklärte einst Winston Churchill.
Gaddafi ist tot. Seine goldene Pistole landet sicher bald in einem neuen Rebellenmuseum in Tripolis. Schulkinder werden dann Jahrzehntelang etwas über eine Zeit erfahren, die, schon während sie ablief, bis zur Unkenntlichkeit deformiert wurde. Denn der Krieg um die Herrschaft in Libyen gehört sicher zu den surrealsten militärischen Auseinandersetzungen rund ums Mittelmeer. Und das lag nicht an der surrealen Erscheinung Gaddafis, sondern zu großen Teilen an der ebenso operettenhaften Ausstattung seiner Gegnerschaft.
Wer fühlte sich bei der soggenannten Rebellenarmee nicht erinnert an ominöse Auseinandersetzungen der 1970er Jahre irgendwo im tiefen Afrika, via Tagesschau ins Wohnzimmer getragen? Die Sonnenbrillenarmee im Hawaiihemd. Auf weißlackierten privaten Toyota Pickups (ist das nun eigentlich gut für die Marke Toyota oder schlecht?) aufgeschweißte Maschinengewehre wie frisch vom Hollywood-Set. „Black Hawk Down“ und „Mad Max“ – die Ausstattungen der Hollywood-Regisseure sind stereotyp. Gerüchte verdichteten sich, dass die undisziplinierten jungen Männer auf den robusten Fahrzeugen für ihre mobilen Kriegsbasteleien tatkräftige Hilfe von ausländischen Diensten erhalten haben.
Ein in Deutschland studierender Libyer zeigt im deutschen Fernsehen stolz seinen selbstgedrehten wackligen Kriegsfilm von irgendeinem Freischärler-Angriff in Libyen und hält dann noch seinen Soldatenausweis in die Kamera. Den bekam er wohl für eine noch auszuzahlende Belohnung oder Rente. Wer weiß das schon. Man wundert sich allenfalls, welches Unternehmen diese Ausweise so schnell organisiert hat. Wer sich angesichts der immer gleichen Bilder noch erinnern konnte, erinnert sich an Demonstrationen gegen Gaddafi, die in Endlosschleife im TV übertragen wurden, bis einem auffiel, dass da überall grüne Pro-Gaddafi-Fahnen geschwenkt wurden, es also gar keine Proteste sein konnten. Die Anti-Demos, die echter schienen, zeigten scheinbar immer die selben hundert Maschinengewehr-in-die-Luft-Knaller, ohne das man dafür Verschwörungstheoretiker sein musste. Oder es waren immer die selben Journalisten, die einfach bei der immer gleichen Gruppe embedded waren. Das kennt man ja noch aus den IRAK-Kriegen der USA: spezielle Truppenteile mit Mitfahrgelegenheit für die Presse. Egal. Und nachdenklich stimmend.
Und die so hochgelobten Social Media: Facebook, Youtube und Co, die angeblich alle Propaganda aufzulösen in der Lage sind? Komplettausfall bis auf die üblichen Verdächtigen. Immer die gleichen wackeligen, verschwommenen Filmchen und Bilder, denen man nach ein paar Wochen gerne unterstellt hätte, sie wäre alle von dem selben untalentierten Deppen gefilmt worden. Ob nun live oder wie die Mondlandung im Studio – nein, das ist natürlich Quatsch, aber die Nähe zum Quatsch ist hier fließend.
Wie oft war die Flucht Gaddafis vermeldet worden? Venezuela wurde am häufigsten genannt, aber selbst Nordkorea war ernsthaft diskutiert worden. Und immer wenn Gaddafis Flucht offiziell vom Rebellenrat bestätigt worden war, kamen weitere junge Männer, die entweder ihre Semesterferien nutzten oder ihre Fahrräder an den Straßenrand stellten, sich irgendwo an einem offenen Waffenlager bedienten, um schnell noch Teil der Geschichte zu werden.
Ja tatsächlich, angeblich sollen auch Studenten dabei gewesen sein, auch wenn einem die Mehrzahl der Rebellen schlicht wie Rütli-Schulabbrecher vorkamen. Ja doch: „Rebellen“, denn einen „Revolutionär“ konnte man ja keinen von denen nennen, den Titel hatte Gaddafi in ganz Afrika schon seit über 40 Jahren ganz für sich. Der Oberst war der Fidel Castro des Kontinents: Gefeiert. Charismatisch. Gutaussehend. Und erfolgreich.
(Gaddafis fünfter Sohn Mutassim kurz vor seiner Erschießung. Auch er wurde nach seiner Gefangennahme hingerichtet.)
Aber irgendwann ist dann übel was schiefgelaufen. Wo Castro weit über 500 Attentate des CIA und der Contras scheinbar stoisch – und vor allem lebend – hinter sich gelassen hatte, muss Gaddafi dünnhäutiger gewesen sein. Oder er hatte dieses Ding mit der Vorsehung drauf, das auch bei Hitler was am Hirn abgenagt haben muss. Psychologen können das nun nicht mehr klären. Castro wartet auf das unvermeidliche Attentat der Natur, das jeden ereilt und Gaddafi kann noch nicht in die Diktatorenhölle, weil er noch eine Weile auf einer schäbigen Matratze liegen muss wie „Tralala“ in „Letzte Ausfahrt Brocklyn“. Ausgestellt wie Schlachtabfall nach einer Greenpeace-Aktion. Zerlöchert. Blutend. Und ohne Hemd in einem Kühlhaus, vor dessen Tür sich Hunderte, vielleicht Tausende geduldig aufgereiht haben. Jetzt mit gezücktem Handy statt Kalschnikow.
Tot ist er ja schon. Nun geht’s ums Familienalbum. Die stärkste Gewissheit besteht eben nicht darüber, dass nun alles gut wird im Land – 80% der in Libyen lebenden Menschen sind in der Gaddafi-Ära geboren – die stärkste Gewissheit ist die, jetzt gerade libysche Geschichte mitzuerleben, die genug Potenzial hat, auch zum größten Moment des eigenen Lebens zu werden. Wenn man jetzt nur dicht genug am Geschehen bleibt. Und so ein Foto ist der maximale Beweis, dabei gewesen zu sein. Das hat dann Strahlkraft für Generationen. Diese Zugehörigkeit kann einem keiner mehr nehmen: Ich war dabei!
Sie wird in Zukunft auch über Erfolg und Misserfolg, über Partizipation oder gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit entscheiden. Die Wächter der Überreste des alten Mannes mit der seltsam haarlos (schon den Märtyrertod vorbereitet?) zerlöcherten Brust, der da im Smartphone und iPhone Blitzlichtgewitter erleuchtet wird, wissen übrigens genau um die Notwendigkeit dieser in der ganzen Welt mit Abscheu wahrgenommenen Foto-Session. Wer dürfte das verurteilen?
Dieser Bürgerkrieg ist nicht aus einem wechselnden Kräfteverhältnis entstanden. Hier haben westliche Interessen schlummernde Interessen mit altbekannten Mitteln aus der düsteren Wiege gehoben: Bomben, Bomben und nochmal Bomben. Unerreicht von ganz hoch oben auf die Köpfe geschmissen. Von ein paar eingeschleusten Spezialeinheiten am Boden dirigiert. Wer letztlich den Startschuss gegeben hat zu diesem menschenvernichtenden Irrsinn, bleibt Spekulation.
Klar, vieles wird noch herauskommen oder aus Reue von altersmilden Herren eingestanden werden: Aber der neue Status Quo wird auch diese Botschaften zu Randnotizen machen. Die Welt ist durch die Libyenkrise nicht schlauer, sie ist dümmer geworden. Zumindest scheint das so, wenn man die Fazite der schnöseligen Zeitungsjungs aus den politischen und – noch läppischer – aus den Kulturressorts liest. Und wer am Ende vom Öl, einer strategischen Lage und was sonst noch so alles zu holen ist, profitiert, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt allenfalls erahnen.
Aber auch hier gilt sicher die alte Weisheit von einem, der der sich in die düsteren Weltgeschäfte besonders tief verstrickt hat: „In der Politik passiert nichts zufällig.“ erklärte einst Winston Churchill.
Alexander Wallasch - 22. Okt, 19:41
Bernhard v. Guretzky - 22. Okt, 20:28
Ich bin jetzt gespannt, wie die Entwicklung in Ägypten wie Libyen weitergeht. Geht es in die Richtung, wie der Westen sich das so vorstellt? Oder führt diese Intervention wieder mal zu einem Desaster a la Irak?
Die Berichtetstattung über Tunesien ist ja schon ausgesprochen dürr und lässt nichts gutes erwarten.
Beim Lesen ist mir noch mal dieser kriegshetzerische Leitartikel in der SZ aufgestoßen. Mannomann, wo sind wir hier.
Übrigens ein gutes Foto Co
Colonel
Die Berichtetstattung über Tunesien ist ja schon ausgesprochen dürr und lässt nichts gutes erwarten.
Beim Lesen ist mir noch mal dieser kriegshetzerische Leitartikel in der SZ aufgestoßen. Mannomann, wo sind wir hier.
Übrigens ein gutes Foto Co
Colonel
Liane Bednarz - 22. Okt, 21:01
Bravo!
Absolut brillante Analyse, Alexander!
heinrich schmitz - 22. Okt, 21:09
BILD - schau mal einer an
"Das UN-Menschenrechtskommissariat äußerte die Vermutung, Gaddafi sei hingerichtet worden – was ein Kriegsverbrechen wäre. "
Alexander Wallasch - 22. Okt, 21:11
lachhaft, oder?
alles richtig gemacht ?