Mittwoch, 5. Dezember 2012

You'll never walk alone

von RA Heinrich Schmitz


http://ueberwachungsbuerger.files.wordpress.com/2011/04/all-eyes-on-you-logo_gross.gif

Dauerobservation von entlassenen
Sicherungsverwahrten

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einer heute, am 4.12.2012 veröffentlichten Entscheidung

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom
08.11.2012 ,- 1 BvR 22/12

zur Dauerüberwachung von Menschen geäußert, die nach verbüßter Haft und anschließender
Sicherungsverwahrung aus dieser Sicherungsverwahrung entlassen werden mussten.

"Verdienen Schwerverbrecher ihre Privatsphäre?" titelt der FOCUS forsch

http://www.focus.de/politik/deutschland/gesetzesluecke-bei-sicherungsverwahrung-verdienen-schwerverbrecher-eine-privatsphaere_aid_874351.html

und damit voll am Thema vorbei. Na klar haben auch "Schwerverbrecher" ein Recht auf Privatsphäre, das ist doch gar nicht die entscheidende Frage. Und ein Recht auf
Privatsphäre muss man sich auch nicht "verdienen", die ist schon durch das Grundgesetz garantiert. Sie ist ein Menschenrecht und in Art. 2 Abs.1, Art. 1 Abs. 1 GG als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts garantiert.

Dieses besondere Persönlichkeitsrecht dient dem Schutz eines abgeschirmten Bereichs der persönlichen Entfaltung. Jedem Menschen soll dadurch ein spezifischer Bereich verbleiben, in dem er sich frei und ungezwungen verhalten kann, ohne permanent befürchten zu müssen, dass andere von seinem Verhalten Kenntnis erlangen oder ihn sogar beobachten können.

Big Brother gibt's eben nur bei RTL2 und nicht in einem Rechtsstaat. Freiheit bedeutet auch
unbeobachtet leben zu können.

Es ist eine grundlegende Verfassungsregel, dass in solche Grundrechte nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden darf. Und auch dann nur, wenn es wirklich nicht anders geht.

Die Frage, die das Verfassungsgericht damit beantworten musste war also nicht die , ob Schwerverbrecher eine Privatsphäre verdienen ,
sondern die, ob die polizeiliche Dauerüberwachung von Personen, die aus Sicht der Polizei eine Gefahr für andere darstellen, alleine durch die bestehenden Polizeigesetze der Länder gedeckt ist.


http://www.detektei-winkler.de/bilder/Image/firma/Observation%20011.jpg

In allen Polizeigesetzen des Bundesländer gibt es eine recht allgemein gehaltene "Generalklausel" die z.B. in NRW wie folgt lautet:

" Die Polizei kann die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende, konkrete Gefahr für die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren, soweit nicht die §§ 9 bis 46 die Befugnisse der Polizei besonders regeln."

Das klingt wahnsinnig allumfassend, ist aber aufgrund der Grundrechte der Bürger nur ganz eng auszulegen. Auch wenn's so klingt bedeutet das
nicht, die Polizei kann alles machen was sie für nötig hält.

In Ermangelung spezieller Regeln für Menschen, die aus der SV entlassen werden mussten, wurden nun aufgrund dieser sehr allgemeinen Regelung
einige entlassene Straftäter rund um die Uhr einer polizeilichen Überwachung unterworfen.

Pro Tag werden so locker 20 Polizeibeamte beschäftigt. Pro Entlassenem. Personeller Overkill.

So kann das auf Dauer jedenfalls nicht weiter gehen. Dieser Grundrechtseingriff ist zu massiv als dass er nicht einer speziellen gesetzlichen Grundlage bedürfe.

Das, nicht mehr und nicht weniger hat das BVerfG heute gesagt.

Die Beschwerde eines Betroffenen war damit im Eilverfahren erfolgreich.

Er war nach insgesamt 25 Jahren Haft und Sicherungsverwahrung, die er aufgrund zweier Vergewaltigungen abgesessen hatte, im September 2010 "entlassen" worden.

Seitdem steht rund um die Uhr ein Polizeifahrzeug mit drei Beamten vor seiner Wohnung in Freiburg. Außerdem hocken stets zwei weitere Polizisten in der Küche der Wohnung herum, wenn der Mann in seinem Wohn/Schlafzimmer ist.

Sobald er seine Wohnung verlässt, wird er ständig
von Polizisten begleitet, die nur dann auf etwas Distanz gehen, wenn er mit seinen Rechtsanwälten oder Ärzten spricht. Sobald er sich aber z.B.
mit Frauen unterhalten möchte, werden diese von den Beamten über den Grund der Überwachung unterrichtet. Stellen Sie sich das mal vor. Das
turnt ab, das kann einen Menschen auf Dauer in den Wahnsinn treiben.


http://www.freiepresse.de/DYNIMG/00/59/3880059_W700.jpg

Jetzt kann man natürlich die Meinung vertreten, diese massive Einschränkung seiner Grundrechte habe der Entlassene sich völlig zu recht eingefangen. Der soll mal nicht so rumjammern.

Falls er tatsächlich noch eine Gefahr darstellen sollte, bleibt der Polizei kaum etwas anderes übrig, als ihn im Auge zu halten. Schließlich
haben die anderen Bürger Anspruch darauf vor bekannten Gefahren beschützt zu werden.

Aber es dürfte auch klar sein, dass eine derartig umfassende Überwachung nicht ohne eine ausreichende Rechtsgrundlage und auch nur dann erfolgen darf, wenn es gar nicht anders geht. Absolute Sicherheit kann es in einem freien Land nicht geben, sonst müsste man jedem einen Polizisten zuteilen und selbst in sogenannten Polizeistaaten gibt es Verbrechen. Und selbst innerhalb der Polizei kommen leider Straftaten vor.

Diese neue, nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts notwendige Rechtsgrundlage müssen jetzt möglichst schnell die Bundesländer
schaffen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, dass das Gericht diese Totalüberwachung irgendwann tatsächlich einmal einfach als
verfassungswidrig aufhebt. Polizei ist nun mal Ländersache.

Die heutige Entscheidung stellt also weder einen Grund zur Panik noch zu aufgeregten Schlagzeilen dar. Keine Angst, das BVerfG hat die Überwachung im konkreten Fall nicht umgehend aufgehoben, aber mal wieder ein paar wichtige Grundrechtspflöcke eingeschlagen. Dafür ist das Gericht da. Und dafür kann man es nicht genug loben.

So muss die Überwachung mit einem frischen Gutachten unterfüttert werden und darf nicht weiter mit einem Jahre alten Gutachten begründet werden, das bereits vor der Entlassung noch in der Anstalt erstellt wurde.

Die Begründung des Gerichts, dass dem Gutachter bei einem solchen Gutachten nur Vermutungen zum Verhalten des Betroffenen in Freiheit möglich waren, da dieser zuvor 25 Jahre in Unfreiheit verbracht habe, ist nicht von der Hand zu weisen. Die neuen Regelungen werden nach meiner Einschätzung wohl auch relativ kurze Fristen für eine regelmäßige Überprüfung der
Gefährlichkeitsprognose beinhalten müssen.


http://www.morgenpost.de/img/brandenburg/crop100735021/5290697257-ci3x2l-h307/mim-wernerk-BM-Berlin-Potsdam.jpg

Dass es überhaupt zu diesen für alle Betroffenen , also auch für die eingesetzten Beamten, belastenden Dauerüberwachungen gekommen ist , ist
das logische Ergebnis einer seit vielen Jahren bestehenden Unfähigkeit des Gesetzgebers eine verfassungsgemäße Regelung der
Sicherungsverwahrung zustande zu bringen.

Aber auch das ist leider nichts Neues.

von RA Heinrich Schmitz

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