Sonntag, 15. Januar 2012

Jonathan Widder - „Deutsch in 'Kaltland“

Jonathan Widder - „Deutsch in 'Kaltland“ in der FAS, 15. Jan.2012

Eine Erwiderung



Deutschland-Trilogie Teil II

Jonathan Widders Essay-Auszug in der aktuellen Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mag nach dem ersten Lesen wie ein altvertrautes Feuilleton- Deutschland-Bashing klingen. Aber in Wahrheit ist es eine wunderbare Sehnsucht nach einem Deutschland geworden, das so bedingungslos Heimat sein soll, aber sich diesem kindlich-naiven Sehnen des Autors beharrlich widersetzt.
Leider hat es Widder als solches noch nicht erkannt. Denn das könnte ihm - und auch ein stückweit seinen Lesern - vieles einfacher machen.

Worum gehts? Jonathan Widder ist Herkunftsdeutscher, der sich zunächst mal freut, dass er so viele Freunde in in Osteuropa hat, denen er längere, sogar monatelange Besuche macht und dem aber regelmäßig auf dem Weg zurück nach Deutschland grauselt.

So weit, so gut, dass geht auch hunderttausenden Volkswagen-Mitarbeitern und deren Familien im Rückflieger so, wenn sie ihre jährliche Sommerfernreise beenden müssen, weil die Werksferien nunmal unwiederbringlich zu Ende sind und der Alltag am Fließband wieder beginnt. Normalerweise hält so ein Leidenszustand dann zwei, drei Tage, aber das erträgt der VW-ler stoisch, bis ihn der gewohnte Alltag wieder hat, wie es gemeinhin heißt.

Aber bei einem Schöngeist wie Jonathan W. sitzt der Schmerz natürlich tiefer. Alles andere wäre ja auch zu gewöhnlich. Der Gute Jonathan sitzt also im Zug ­ genauer in einem aus der Ukraine ­ und leidet feuilltonistisch-überproportional: Das näherrückende Deutschland macht, das es sich bei ihm anfühlt, als würde ihm „ein spitzer Haken in den Kopf gehackt, direkt ins Gehirn.“ (Das steht da wirklich Wort für Wort!)

Und wüsste man es nach wenigen Zeilen nicht besser, man würde meinen, da berichtete ein abgeschobener Asylbewerber, der mit seinen tatsächlichen Ängsten kämpft, die ihm in seiner alten Heimat Übles erwarten lassen. Und weil Jonathan oft verreist, musste er sich also, wie er offen zu Protokoll gibt, einen „Panzer“ zulegen, damit er sein furchtbares Deutschland überhaupt noch erträgt. Unter diesem deutschen Schützenpanzer verbirgt er dann seine „wichtigsten Gefühle“.



Und weil das nun emotional alles so arg furchtbar ist mit ihm und Deutschland, sucht er händeringend nach Erklärungen, die dann so klingen:„Während unsere Autos auf der ganzen Welt bewundert werden, ernten wir Deutsche als Menschen meist eher ein müdes Lächeln: In vielen Ländern werden wir als „Kartoffeln“ bezeichnet.“ Das allerdings ist so altbacken Rimini, wie es im 21. Jahrhundert auch ziemlich dolle blöd ist. Aber der Mann meint es ernst mit seinem Kartoffelvergleich.

Und er wird damit im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ernst genommen, als hätte man es für bitter nötig gehalten, jetzt aber endlich mal auf Teufel komm raus gegen Thea Dorns “Deutsche Seele“ anzuschreiben und gegen Matusseks „Wir Deutschen“ sowieso.

Um der Wahrheit genüge zu tun: Am Ende seines "Essay-Auszugs" hat Widder dann doch noch so etwas ähnliches, wie einen Bogen versucht und die „Perfektion“ als das eigentliche deutsche Übel ausgemacht. Wie originell!

Und er gibt seinen herkunftsdeutschen Lesern ­ - für Deutsche mit migrantem Hintergrund kann es ja nicht gedacht sein -­ mit auf den Weg: „Wer das Ziel der Perfektion aufgibt, erreicht nicht zwangsläufig weniger. (...) wir wollen tief im Inneren einfach nur ein bisschen öfter unsere Gefühle auftauen (...) Wer weiß, vielleicht entstünde dabei am Ende sogar ein ganz neues Gefühl von Heimat.“



Das ist Pastor Fliege und Peter Lauster in Personalunion. Das ist eine deutsch-romantische Gefühlsdusseligkeit, die sich nach nichts weniger sehnt, als nach Weihnachtsatmosphäre auf dem Biedermeiersofa unterm röhrenden Hirsch in Öl. Oder etwas neutraler ausgedrückt: Das ist die erschreckende Unfähigkeit, einer Sehnsucht nach Heimat in Deutschland irgendwie auf halbwegs erwachsene und anständige Weise Ausdruck zu verleihen.

Jonathan Widder sehnt sich nach Deutschlandgefühlen. Ja doch, der gute Mann möchte von Seinesgleichen – also von uns – geliebt werden. So geliebt werden, wie immer wieder mal für ein paar Monate in diesem kleinen Dorf in der Ukraine, wo er als Deutscher mit guten Freunden am Tisch sitzend „mit Fragen und Aufmerksamkeiten förmlich überschüttet wird“ die sich ihm „immer wieder mit einem Augenzwinkern ihre Bewunderung versichern.“ Bewundernswert dämlich.

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