Montag, 20. Februar 2012

Der Upper Class Cracker

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Die leicht gekürzte Version am 21.02.2012 in TAZ – die tageszeitung:

http://www.taz.de/Billy-Cleggs-Roman-ueber-Cracksucht/!88094/

http://www.perlentaucher.de/buch/37849.html

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Der Upper Class Cracker

Der erste Eindruck: Da passt was nicht zusammen. Da taucht also in den vergangenen Monaten dieser gut aussehende New Yorker in den Medien auf – kräftiger Bubblegum-Unterkiefer, weiß strahlendes Gebiss, volles gescheiteltes Haar, grau-blaue Augen ohne Tiefgang, ein Lächeln wie aus einer Nachmittags-Sitcom und stellt die düstere Geschichte eines erfolgreichen homosexuellen Literaturagenten vor, der zehn Jahre auf Crack war und in Spitzenzeiten bis zu zweitausend Dollar am Tag für die sogenannte „Billigvariante“ des teureren Kokains ausgegeben hat.

Mit einer Unverbindlichkeit, die bei Kaffeekränzchen Schwiegermütter entwaffnen könnte, erfährt man dann, dass es sich beim „Porträt eines Süchtigen als junger Mann“ - ein von Joyce Debütroman entlehnterTitel - um seine Autobiografie handelt, er also höchst selbst der tragische Held seiner Story ist.

Was ist das nun wieder? Ein neues identifikationsstiftendes Testimonial für die Teufelsdroge Crack? Drogensüchtige und Ex-Junkies sehen ja sonst anders aus. Sofort also werden gängige Klischees gegen den heiteren Erzähler in Stellung gebracht, der wie nebenbei die Zerstörungswut harter Drogen ad absurdum zu führen scheint.

War es nicht so, das vorwiegend Afroamerikaner in solchen Vierteln New Yorks Crack konsumieren, um die sogar Polizisten einen großen Bogen machen?
An dem erfolgreichen Literaturagenten-Sunnyboy, der im deutschen Fernsehen zur besten Sendezeit wortwörtlich erklärt, er hätte sich Crack damals sogar „wenn nötig, aus einem Haufen Scheiße gepuhlt“, sind keinerlei körperliche Verfallserscheinungen erkennbar.

Und warum nahm so einer nicht, wenn schon drogen-affin – wie andere Erfolgsverwöhnte und Prominente Weiße – Kokain?



Ist das seit Crack-Amy-Winehouse plötzlich alles anders geworden? Kommt sie nun doch, wie oft schon falsch prophezeit - die Crack- Epidemie? Und womöglich ausgerechnet exemplarisch bewiesen an diesem harmlos wirkenden weißen Upper-Class-Jüngelchen?

Es gibt sie doch längst überzeugender, authentischer in der amerikanischen Musikindustrie: die Crack-Überlebenden Snoop Dogg, B-Real von Cypress Hill, Wu-Tangs RZA oder Raekwon. Die gerade in den USA erschienene Dokumentation “Planet Rock: The Story of Crack and the Hip-Hop” erzählt vom Einfluss der Droge. Irgendwann in den frühen 1980er Jahren überrollte Crack die amerikanischen Innenstädte und versetzte sogar Präsident Ronald Reagan angesichts der verheerenden Bilder in Alarmbereitschaft: „It is an uncontrolled fire!“

Bill Clegg erzählt nun also davon, wie dieses unkontrollierte Feuer sein Nobel-Appartement in der Fifth Avenue erreicht hat. Und so wird Clegg zum gefallenen Engel. Und die gehören seit je her zum Fingerprint der amerikanischen Gesellschaft. Denn sie sind das notwendige Pendant zum "Vom Tellerwäscher zum Millionär". Die Gegenbewegung zum „amerikanischen Traum".

Schon auf den ersten Seiten kann es kaum noch schlimmer kommen: Der Ich-Erzähler-sitzt am frühen Morgen in der schäbigen Absteige eines ebenfalls schwer Cracksüchtigen. Drogenspasmen und wirrster Wortsalat sind der Background während beide darauf warten, dass die Dealer ihre Handys wieder einschalten und Nachschub geordert werden kann. In einem Morgengrauen, das seinen Namen wirklich einmal verdient, versuchen die beiden für einen weiteren „Hit“ mit einer verbogenen Schirmspeiche Crack-Reste aus einer abgerauchten Crackglaspfeife zu kratzen.Ja, es ist furchtbar. Noch furchtbarer, als dieser letzte ausgekratzte Crackrotz samt Pfeife aus den zittrigen Händen gleitet und am Boden zerschellt. So und ähnlich geht es dann weiter. Und das beinahe die gesamten 270 quälenden Seiten lang.

Ein neuer amerikanischer Alptraum. Neu aber nur, weil er weiß ist – denn den schwarzen gibt es ja längst. Und dem fehlt vor allem etwas, dass bei Bill Clegg immer da ist: Der doppelte Boden, die cleane Familie, die Geschäftspartner, die Freunde, das rettende Netz – auf keiner Seite bekommt man das Gefühl, Clegg hätte nicht die Option behalten, geläutert an irgendeiner Tür zu klingeln um wieder aufgenommen zu werden: Zurück in die New Yorker Upper Class, die ihrem gefallen Engel schon deshalb vergibt, weil Clegg keine Schuldzuweisung vornimmt, weil er letztlich immer einer der ihren geblieben ist.

Bill Cleggs New York ist voller guter Menschen. Die Dämonen bleiben Cleggs ureigene Dämonen. Und die hat er zum Thema seiner Autobiografie gemacht. Geschliffene Sätze. Meisterlich. Aber eben kein Meisterwerk. Gestochen scharfe Selbstbeobachtung. Aber menschlich eine Katastrophe. Wo ist die Relevanz, die Selbstverachtung, die Scham?

In jeder der immer gleichen Horror-Szenen bleibt Clegg der coole Underdog, der sich was traut - ja doch, in letzter Instanz gefällt sich der Autor im Crack-Rausch. Und in der Rückschau kommt er aus der Eiseskälte des Bösen zurück ins wohltemperierte Amerika. Gott schützt Amerika und seine weiße Oberschicht. Auch vor dem bösen Crack der Afroamerikaner.



Was ist das bloß für ein bemitleidenswertes Bürschchen – verwöhnt, voller Selbstverachtung, kinderlos, verantwortungslos, gesinnungslos. Ein erwachsener hochgebildeter Mann, der mal eben cracksüchtig wird, weil ihm die erste Crackpfeife von einem homosexuellen One-Night-Stand in die Finger gedrückt und der Sex anschließend so dramatisch gut wird.

Später wird er dann mit Brandblasen an den Händen vom heißgerauchten Glasröhrchen und auf der Suche nach einem versprungenen Krümelchen Droge wie ein Säugling auf dem Hotelzimmerteppich herumgrabbeln. Dabei wirres Zeug brabbeln, weiter rauchen und sich für 400 Dollar einen baumlangen schwarzen Callboy bestellen und sich exzessiv besteigen lassen.

Man fragt sich unwillkürlich, wie tief die amerikanische Gegenwartskultur von einer Selbstzerstörungs-und Voyeurmentalität penetriert ist. Doppelmoral war das Thema der großen amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Bei Clegg ist die Frage nach der Moral kein Thema mehr. Seine schriftstellerische Brillanz verpufft am Ende gänzlich und sein Text bleibt irgendwie im leeren Raum hängen. Noch mehr, weil der gewiefte Literaturagent wohl selbst erkannt hat, das sein Konzept noch eine zweite Ebene braucht. Eine Schuldzuweisung. Die Fremdbestimmung.

Oder es hat ihn am Ende der Schreibattacke der Mut verlassen und der Crack-Horror, den er da aufgeschrieben hat, war ihm doch zu mächtig, um ihn alleine zu schultern. So gibt es dann Rückblenden in seine frühe Kindheit. Und die sind unfreiwillig komisch: Clegg als kleiner Junge kann jahrelang nicht normal pinkeln. Eine unbehandelte unglücklich verknickte Harnröhre? Gar eine Phimose? Ungeklärt. Der Schuldige? Klar, der Vater, ein Flugkapitän. Warum? Bleibt auch unklar. Irgendwo auf den letzten Seiten wird Clegg zum Vater sagen, dass die Probleme seiner Kindheit nicht die Ursache für seine Cracksucht waren, sondern nur dazu beigetragen haben.

Ach ja. Diese zweite Ebene sollte nun eine Transzendenz bringen.

Vielmehr bremsen diese Rückblenden nur etwas aus, das in seiner Bedingungslosigkeit für sich allein schon eine Brillanz hat: Als literarisches Lehrstück für meisterhaftes Erzählen. Wenn man denn etwas zu erzählen hat.

Hier ist es die Geschichte eines disziplin-resistenten kleinen Arschlochs geworden, der Joyce mag, in realen Interviews aber so langweilig amerikanisch erscheint, so collegejungenhaft, so sympathisch wie Schwiegermutters Liebling – nur das man eben jetzt diese irgendwie dann doch nur noch mäßig verstörende 270 Seiten lange Upper-Class-Crack-Odysee mitdenken muss.

Alexander Wallasch

JUTTA DITFURTH: Präsident Gauck - der Prediger der verrohenden Mittelschicht

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Man kann, aber man muss Jutta Ditfurths Meinung nicht immer teilen. Aber ich lese was Sie zu sagen hat. Immer mit Gewinn.

A.Wallasch

Hier noch mal zum Aufwärmen:
http://www.youtube.com/watch?v=r7Fm5FRx4MQ&feature=related
Und wie artig der gute Baring zuhört!

http://www.youtube.com/watch?v=emh2UX6QB74&feature=related

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Präsident Gauck - der Prediger der verrohenden Mittelschicht.

Auch dieser Christ ist ein Krieger
Von Jutta Ditfurth



Mit Christian Wulff hat sich die politische Klasse eines lästig geworden kleinbürgerlichen korrupten Aufsteigers entledigt, während die viel größeren Geschäftemacher der Parteien weiter ungestört ihren Interessen nachgehen können.

Um die Peinlichkeit zu übertünchen, wurde nun Joachim Gauck, der Prediger für die verrohende Mittelschicht gerufen. Dass CDU/SPD/FDP und Grüne ihn gemeinsam aufstellen verrät uns, dass uns noch mehr Sozialstaatszerstörung, noch mehr Kriege und noch weniger Demokratie drohen. Einen wie ihn holt man, um den Leuten die Ohren vollzuquatschen.

Gaucks neoliberales Verständnis von Freiheit als Freiheit des Bourgeois, schließt soziale Menschenrechte aus. Von sozialer Gleichheit als Bedingung wirklicher Freiheit versteht er nichts. Mit der Agenda 2010 und ihren brutalen Folgen ist er sehr einverstanden, für die Betroffenen und ihre Proteste hat er stets nur Verachtung. Kritik am Kapitalismus findet Gauck lächerlich. Die Entscheidung zur Begrenzung der Laufzeit von AKWs gefühlsduselig.



Dem Krieg in Afghanistan hat Gauck die Treue gehalten, denn auch dieser Christ ist ein Krieger. In der Vertriebenfrage ist der künftige Bundespräsident ein Kumpan von Erika Steinbach und hat Probleme mit der polnischen Westgrenze. Was er von Demokratie und Humanismus hält, verrät er, indem er für die Verfassungsschutzüberwachung der Linkspartei eintritt und den Ideologen des Rassismus der Mitte, Thilo Sarrazin, "mutig" findet. Hat jemand je eine scharfe und überzeugende Kritik an Nazis von ihm gehört? Fremdenfeindlichkeit kann er verstehen, aber er schätzt es nicht, »wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird«.

Gauck ist ein Anhänger der Totalitarismusideologie, der Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus. Mit seiner Aufstellung als Kandidat bekennen sich CDU/SPD/Grüne und FDP zu dieser unerträglichen reaktionären Weltsicht. Der Kandidat und die vier ihn aufstellenden Parteien passen zu einander.

P.S.: Das Amt des Bundespräsidenten ist überflüssig, ein feudales Relikt für obrigkeitsgläubige Deutsche. (PK)

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