Gesellschaft

Freitag, 6. April 2012

Günter Grass - Weisheit oder Blödheit?


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"Der gute alte Mann mit dem wuscheligen Bärtchen hätte wohl besser das Pfeifen-Maul gehalten"- wünschen sich nun auch viele seiner Freunde. Aber wer, wenn nicht einer,der alles erreicht hat, braucht noch Gründe mal herrisch auf den selbstgefälligen Gutmenschen-Busch zu klopfen?

Grass der Oberwutbürger. Irgendwie befreiend menschlich. Da tobt der Diez analog zum Broder. Was kann es Erquickenderes geben?

Was hat Grass auch zu verlieren? Senilität oder Genialität - das ist doch zweitrangig. Er hat das Forum und stellt sich den tagespolitischen Themen. Gut so! Das Anti-Tagesschau-Programm.

Also gib Kette Grass! Und freu Dich wie die alle toben.

Zur Sache:

Also ich kann an dem mittelmäßigen aber überaus mutigen Grass-Gedichtchen so gar nichts Antisemitisches entdecken. Nichts Rassistisches und nichts Menschenverachtendes. Was soll also das töricht-refelxartige Mainstream-Geschrei der ewigen Besserwissermaulaffen im deutschen Wichtigtuer-Feuillton? Wieder mal eine echte Blödheit.

Nachtrag: Nein, Grass ermutigt keine Rechtsradikalen (Die Rechtsradikalen essen auch Würstchen, deshalb wird aber niemand Vegetarier). Der deutsche Kultur- und Politpöbel reagiert reflexartig. Induziertes Irrsein. Was den einen oder anderen trösten könnte, es ist ja als Reflex ähnlich dem von religiösen Fanatikern, die in einer ansonsten vernünftigen Diskussion ihren angegriffenen Glauben verteidigen. Die Schreier gegen Grass sind Gläubige. Induziert irre Gläubige.

Übrigens, einer der nicht schreit ist Schirrmacher. Nur seine Analyse ist nachdenkenswert: http://m.faz.net/aktuell/feuilleton/eine-erlaeuterung-was-grass-uns-sagen-will-11708120.html

Aber, um ein Veto zu setzen: schon allein wegen dieses deutschphobischen Dreckspatzes vom SPIEGEL sollte man Grass reflexartig zur Seite springen:
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,825949,00.html

Und einen wohltuenden Beitrag von Augstein - mensch, der Bursche ist schnell! - gibt es auch schon:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,826163,00.html


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Und hier mal zum Runterkommen der Originaltext:



Was gesagt werden muss



Warum schweige ich, verschweige zu lange,

was offensichtlich ist und in Planspielen

geübt wurde, an deren Ende als Überlebende

wir allenfalls Fußnoten sind.

*

Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,

der das von einem Maulhelden unterjochte

und zum organisierten Jubel gelenkte

iranische Volk auslöschen könnte,

weil in dessen Machtbereich der Bau

einer Atombombe vermutet wird.

*

Doch warum untersage ich mir,

jenes andere Land beim Namen zu nennen,

in dem seit Jahren – wenn auch geheim gehalten -

ein wachsend nukleares Potenzial verfügbar

aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung

zugänglich ist?

*

Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes,

dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,

empfinde ich als belastende Lüge

und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,

sobald er missachtet wird;

das Verdikt ‘Antisemitismus’ ist geläufig.

*

Jetzt aber, weil aus meinem Land,

das von ureigenen Verbrechen,

die ohne Vergleich sind,

Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,

wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch

mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert,

ein weiteres U-Boot nach Israel

geliefert werden soll, dessen Spezialität

darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe

dorthin lenken zu können, wo die Existenz

einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,

doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,

sage ich, was gesagt werden muss.

*

Warum aber schwieg ich bislang?

Weil ich meinte, meine Herkunft,

die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist,

verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit

dem Land Israel, dem ich verbunden bin

und bleiben will, zuzumuten.

*

Warum sage ich jetzt erst,

gealtert und mit letzter Tinte:

Die Atommacht Israel gefährdet

den ohnehin brüchigen Weltfrieden?

Weil gesagt werden muss,

was schon morgen zu spät sein könnte;

auch weil wir – als Deutsche belastet genug -

Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,

das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld

durch keine der üblichen Ausreden

zu tilgen wäre.

*

Und zugegeben: ich schweige nicht mehr,

weil ich der Heuchelei des Westens

überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen,

es mögen sich viele vom Schweigen befreien,

den Verursacher der erkennbaren Gefahr

zum Verzicht auf Gewalt auffordern und

gleichfalls darauf bestehen,

dass eine unbehinderte und permanente Kontrolle

des israelischen atomaren Potenzials

und der iranischen Atomanlagen

durch eine internationale Instanz

von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.

*

Nur so ist allen, den Israelis und Palästinensern,

mehr noch, allen Menschen, die in dieser

vom Wahn okkupierten Region

dicht bei dicht verfeindet leben,

und letztlich auch uns zu helfen.

Günter Grass

Samstag, 24. März 2012

GAUCK s vielgelobtes NICHTS im Wortlaut:

http://www.np-coburg.de/ueberregional/thema/art2778,1942900

«Herr Präsident des Deutschen Bundestages, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe verehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger aus dem In- und Ausland.

Zunächst Ihnen, Herr Präsident, meinen allerherzlichen Dank für die unnachahmliche Führung dieser Sitzung und für das leuchtende Beispiel ... in unser Land hinein, dass Politik Freude machen kann.

Herr Bundesratspräsident, Sie haben Worte gefunden, die bei mir und sicher auch beim Bundespräsident Wulff ein tiefes und nachhaltiges Echo hinterlassen haben, ich danke Ihnen.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ja, wie soll es denn nun aussehen dieses Land, zu dem unsere Kinder und Enkel einmal sagen sollen: unser Land? Geht die Vereinzelung in diesem Land weiter? Geht die Schere zwischen Arm und Reich weiter auf? Verschlingt uns die Globalisierung? Werden Menschen sich als Verlierer fühlen, wenn sie an den Rand der Gesellschaft geraten? Schaffen ethnische oder religiöse Minderheiten in gewollter oder beklagter Isolation Gegenkulturen? Hat die europäische Idee Bestand? Droht im Nahen Osten ein neuer Krieg? Kann ein verbrecherischer Fanatismus in Deutschland wie in anderen Teilen der Welt weiter friedliche Menschen bedrohen, einschüchtern und ermorden?

Jeder Tag, jede Begegnung mit den Medien bringt eine Fülle neuer Ängste hervor und Sorgen. Manche ersinnen dann Fluchtwege, misstrauen der Zukunft, fürchten die Gegenwart. Viele fragen sich, was ist das eigentlich für ein Leben, was ist das für eine Freiheit. Mein Lebensthema Freiheit ist dann für sie keine Verheißung, kein Versprechen, sondern nur Verunsicherung. Ich verstehe diese Reaktion. Doch, ich will ihr keinen Vorschub leisten.

Ängste, so hab ich es gelernt in einem langen Leben, Ängste vermindern unsern Mut wie unser Selbstvertrauen - und manchmal so entscheidend, dass wir beides ganz und gar verlieren können, bis wir gar Feigheit für Tugend halten und Flucht für eine legitime Haltung im politischen Raum. Stattdessen, wenn ich das nicht will, will ich meine Erinnerung als Kraft und Kraftquelle nutzen, mich und uns zu lehren und zu motivieren.

Ich wünsche mir also eine lebendige Erinnerung auch an das, dass in unserem Land nach all den Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur, nach den Greueln des Krieges gelungen ist. In Deutschlands Westen trug es, dieses Gelungene als erstes den Namen Wirtschaftswunder. Deutschland kam wieder auf die Beine. Die Vertriebenen, gar die Ausgebombten erhielten Wohnraum, nach Jahren der Entbehrung nahm der Durchschnittsbürger teil am wachsenden Wohlstand. Freilich, nicht jeder im selben Maße.

Allerdings sind für mich die Autos, und die Kühlschränke und all der neue Glanz einer neuen Prosperität nicht das Wunderbare jenes Jahrzehnts. Ich empfinde mein Land, vor allem als ein Land des Demokratiewunders. Anders als die Alliierten es damals nach dem Kriege fürchteten, wurde der Revanchismus im Nachkriegs-Deutschland nie mehrheitsfähig. Es gab schon ein Nachwirken nationalsozialistischer Gedanken, aber daraus wurde keine wirklich gestaltende Kraft. Es entstand stattdessen eine stabile demokratische Ordnung. Deutschland West wurde Teil der freien westlichen Welt.

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte in dieser Zeit blieb allerdings defizitär. Die Verdrängung eigener Schuld, die fehlende Empathie mit den Opfern des Nazi-Regimes prägte den damaligen Zeitgeist. Erst die 68er-Generation hat das nachhaltig geändert. Damals war meine Generation konfrontiert mit dem tief schwarzen Loch der deutschen Geschichte, als die Generation unserer Eltern sich mit Hybris, Mord und Krieg gegen unsere Nachbarn im Inneren wie im Äußeren vergingen. Es war und blieb das Verdienst dieser Generation, der 68er, es war ein mühsam errungener Segen, sich neu, anders und tiefer erinnern zu können. Trotz aller Irrwege, die sich mit dem Aufbegehren der 68er auch verbunden haben, haben sie die historische Schuld ins kollektive Bewusstsein gerückt.

Diese, auf Fakten basierende und an Werten orientierte Aufarbeitung der Vergangenheit wurde nicht nur richtungsweisend für uns nach 1989 in Ostdeutschland. Sie wird auch als beispielhaft von vielen Gesellschaften empfunden, die ein totalitäres oder despotisches Joch abgeschüttelt haben und nicht wissen, wie sie mit der Last der Vergangenheit umgehen sollen.

Das entschlossene Ja der Westdeutschen zu Europa ist ein weiteres kostbares Gut der deutschen Nachkriegsgeschichte, ein Erinnerungsgut, das uns wichtig bleiben sollte. Konrad Adenauer, Kanzler des Landes, das eben noch geprägt und dann ruiniert war vom Nationalismus, wird zu einem der Gründungsväter einer zukunftsgerichteten europäischen Integration - Dankbarkeit und Freude.

Sowie später, 1989, dieser nächste Schatz in unserem Erinnerungsgut. Da waren die Ostdeutschen zu einer friedlichen Revolution imstande, zu einer friedlichen Freiheitsrevolution. Wir wurden das Volk und wir wurden ein Volk. Und nie vergessen, vor dem Fall der Mauer mussten sich die vielen ermächtigen. Erst wenn die Menschen aufstehen und sagen, wir sind das Volk, werden sie sprechen können, wir sind ein Volk, werden die Mauern fallen.

Damals wurde auf ganz unblutige Weise auch der jahrzehntelange Ost-West-Gegensatz aus den Zeiten des Kalten Krieges gelöscht und die aus ihr erwachsene Kriegsgefahr wurde besiegt und beseitigt.

Wenn ich so spreche, ist der Sinn dessen, dass ich nicht nur über die Schattenseiten, über Schuld und Versagen sprechen möchte. Auch jener Teil unserer Geschichte darf nicht vergessen sein, der die Neugründung einer politischen Kultur der Freiheit, die gelebte Verantwortung, die Friedensfähigkeit und die Solidarität unseres Volkes umfasst.

Das ist kein Paradigmenwechsel in der Erinnerungskultur. Das ist eine Paradigmenergänzung. Sie soll uns ermutigen, das, was mehrfach in der Vergangenheit gelungen ist, all die Herausforderungen der Zeit anzunehmen und sie nach besten Kräften, wenn auch nicht gleich ideal, zu lösen, das ist eine große Ermutigung auch für uns in der Zukunft.

Wie soll es nun also aussehen dieses Land, zudem unsere Kinder und Enkel unser Land sagen. Es soll unser Land sein, weil unser Land soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Aufstiegschancen verbindet. Der Weg dazu ist ... nicht der einer irgendwie paternalistischen Fürsorgepolitik, sondern ein Sozialstaat, der vorsorgt und ermächtigt.

Wir dürfen nicht dulden, dass Kinder ihre Talente nicht entfalten können, weil keine Chancengleichheit existiert. Wir dürfen nicht dulden, dass Menschen den Eindruck haben, Leistung lohne sich für sie nicht mehr und der Aufstieg sei ihnen selbst dann verwehrt, wenn sie sich nach Kräften bemühen. Wir dürfen nicht dulden, dass Menschen den Eindruck haben, sie seien nicht Teil unserer Gesellschaft, weil sie arm oder alt oder behindert sind.

Freiheit ist eine notwendige Bedingung von Gerechtigkeit. Denn, was Gerechtigkeit, auch soziale Gerechtigkeit bedeutet und was wir tun müssen, um ihr näher zu kommen, lässt sich nicht paternalistisch anordnen, nur in intensiver demokratischer Diskussion und Debatte .. klären.

Umgekehrt ist das Bemühen um Gerechtigkeit unerlässlich für die Bewahrung der Freiheit. Wenn die Zahl der Menschen wächst, die den Eindruck haben, ihr Staat meine es mit dem Bekenntnis zu einer gerechten Ordnung in der Gesellschaft nicht ernst, sinkt das Vertrauen in die Demokratie. Unser Land muss also ein Land sein, das beides verbindet. Freiheit als Bedingung von Gerechtigkeit und Gerechtigkeit als Bedingung dafür, Freiheit und Selbstverwirklichung erlebbar zu machen.

Sodann: In "unserem Land" sollen auch alle zu Hause sein können, die hier leben. Wir leben inzwischen in einem Staat, in dem neben die ganz selbstverständliche deutschsprachige und christliche Tradition Religionen wie der Islam getreten sind, auch andere Sprachen, andere Traditionen und Kulturen, in dem der Staat sich immer weniger durch die nationale Zugehörigkeit seiner Bürger definieren lässt, sondern durch ihre Zugehörigkeit zu einer politischen und ethischen Wertegemeinschaft, in dem nicht ausschließlich die über lange Zeit entstandene Schicksalsgemeinschaft das Gemeinwesen bestimmt, sondern zunehmend das Streben der Unterschiedlichen nach dem Gemeinsamen: diesem, unserem Staat in Europa. Und wir finden dieses Gemeinsame in diesem, unserem Staat in Europa, indem wir in Freiheit, Frieden und in Solidarität miteinander leben wollen.

Wir wären allerdings schlecht beraten, wenn wir aus Ignoranz oder falsch verstandener Korrektheit vor realen Problemen die Augen verschließen würden. Hierauf hat bereits Bundespräsident Johannes Rau in seiner Berliner Rede vor zwölf Jahren eindrücklich und deutlich hingewiesen. Aber in Fragen des Zusammenlebens dürfen wir uns eben nicht letztlich von Ängsten, Ressentiments und negativen Projektionen leiten lassen.

Für eine einladende, offene Gesellschaft hat Bundespräsident Christian Wulff in seiner Amtszeit nachhaltige Impulse gegeben. Herr Bundespräsident Wulff, dieses, Ihr Anliegen wird auch mir beständig am Herzen liegen.

Unsere Verfassung, meine Damen und Herren, spricht allen Menschen dieselbe Würde zu, ungeachtet dessen, woher sie kommen, woran sie glauben oder welche Sprache sie sprechen. Sie tut dies nicht als Belohnung für gelungene Integration, sie versagt dies aber auch nicht als Sanktion für verweigerte Integration. Unsere Verfassung wie unser Menschsein tragen uns auf, im Anderen geschwisterlich uns selbst zu sehen: begabt und berechtigt zur Teilhabe wie wir.

Der Philosoph Hans-Georg Gadamer war der Ansicht, nach den Erschütterungen der Geschichte erwarte speziell uns in Europa eine "wahre Schule" des Miteinanders auf engstem Raum. Zitat: "Mit dem anderen leben, als der andere des anderen leben." - Darin sah er die ethische und politische Aufgabe Europas.

Dieses Ja zu Europa gilt es nun ebenfalls zu bewahren. Gerade in Krisenzeiten ist die Neigung, sich auf die Ebene des Nationalstaats zu flüchten, besonders ausgeprägt. Das europäische Miteinander ist aber ohne den Lebensatem der Solidarität nicht gestaltbar. Gerade in der Krise heißt es deshalb: Wir wollen mehr Europa wagen. Mit Freude sehe ich, dass gerade auch die Mehrheit der Deutschen diesem europäischen Gedanken wieder und weiter Zukunft gibt.

Europa war für meine Generation Verheißung - aufbauend auf abendländischen Traditionen, dem antiken Erbe, einer gemeinsamen Rechtsordnung, dem christlichen und jüdischen Erbe. Für meine Enkel ist Europa längst aktuelle Lebenswirklichkeit - mit grenzüberschreitender Freiheit und den Chancen und Sorgen einer offenen Gesellschaft. Nicht nur für meine Enkel ist diese Lebenswirklichkeit ein wunderbarer Gewinn.

Wie kann es noch aussehen, dieses Land, zu dem unsere Kinder und Enkel "unser Land" sagen sollen? Nicht nur bei uns, sondern auch in Europa und darüber hinaus ist die repräsentative Demokratie das einzig geeignete System, Gruppeninteressen und Gemeinwohlinteressen auszugleichen.

Das Besondere dieses Systems ist nicht seine Vollkommenheit, sondern, dass es sich um ein lernfähiges System handelt. Neben den Parteien und anderen demokratischen Institutionen existiert aber eine zweite Stütze unserer Demokratie, die aktive Bürgergesellschaft. Bürgerinitiativen, Ad-hoc-Bewegungen, auch Teile der digitalen Netzgemeinde ergänzen mit ihrem Engagement, aber auch mit ihrem Protest die parlamentarische Demokratie und gleichen Mängel aus.

Und: Anders als die Demokratie von Weimar verfügt unser Land über genügend Demokraten, die dem Ungeist von Fanatikern und Terroristen und Mordgesellen wehren. Sie alle bezeugen mit unterschiedlichen politischen oder religiösen Gründen: Wir lassen uns unsere Demokratie nicht wegnehmen. Wir stehen zu diesem Land. Wir stehen zu diesem Land, nicht weil es so vollkommen ist, sondern weil wir nie zuvor ein besseres gesehen haben. Und speziell zu unseren rechtsextremen Verächtern der Demokratie sagen wir in aller Deutlichkeit: Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich. Wir schenken euch auch nicht unsere Angst. Ihr werdet Vergangenheit sein und unsere Demokratie wird leben.

Die Extremisten anderer politischer Richtungen werden unserer Entschlossenheit in gleicher Weise begegnen. Und auch denjenigen, die unter dem Deckmantel der Religion Fanatismus und Terror ins Land tragen, und die hinter die europäische Aufklärung zurückfallen, werden wir Einhalt gebieten. Ihnen sagen wir: Die Völker ziehen in die Richtung der Freiheit. Ihr werdet den Zug vielleicht behindern, aber endgültig aufhalten könnt ihr ihn nicht.

Mir macht allerdings auch die Distanz vieler Bürgerinnen und Bürger zu den demokratischen Institutionen Angst, die geringe Wahlbeteiligung, auch die Geringschätzung oder gar Verachtung von politischem Engagement, von Politik und Politikern. Was, so hören wir es oft im privaten Raum, was, Du gehst zur Sitzung deines Ortsvereins? Wie bitte, du bist aktiv in einer Gewerkschaft? Manche finden das dann uncool. Und ich frage mich manchmal, wo wäre eigentlich unsere Gesellschaft ohne derlei Aktivitäten. Wir alle haben nichts von dieser Distanz zwischen Regierenden und Regierten. Meine Bitte an beide, an Regierende wie Regierte, ist: Findet euch nicht ab mit dieser zunehmenden Distanz.

Für die politisch Handelnden heißt das zuerst: Redet offen und klar, dann kann verloren gegangenes Vertrauen wiedergewonnen werden. Den Regierten unseren Bürgern muten wir zu: seid nicht nur Konsumenten. Ihr seid Bürger, das heißt Gestalter, Mitgestalter. Wem Teilhabe möglich ist und wer ohne Not auf sie verzichtet, der vergibt eine der schönsten und größten Möglichkeiten des menschlichen Daseins - Verantwortung zu leben.

Zum Schluss erlaube ich mir, Sie alle um ein Geschenk zu bitten: um Vertrauen. Zuletzt bitte ich Sie um Vertrauen in meine Person. Davor aber bitte ich Sie um Vertrauen zu denen, die in unserem Land Verantwortung tragen, wie ich diese um Vertrauen zu all den Bewohnern dieses wieder vereinigten und erwachsenen Landes bitte. Und davor wiederum bitte ich Sie, alle, mutig und immer wieder damit zu beginnen, Vertrauen in sich selbst zu setzen.

Nach einem Wort Gandhis kann nur ein Mensch mit Selbstvertrauen Fortschritte machen und Erfolge haben. Dies gilt für einen Menschen wie für ein Land, so Gandhi. Ob wir den Kindern und Enkeln dieses Landes Geld oder Gut vererben werden, das wissen wir nicht. Aber dass es möglich ist, nicht den Ängsten zu folgen, sondern den Mut zu wählen, davon haben wir nicht nur geträumt, das haben wir gelebt und gezeigt.

Gott und den Menschen sei Dank: Dieses Erbe dürfen sie erwarten.»

Freitag, 23. März 2012

GAUCK UND DAS KOLLEKTIVE IRRSEIN


http://www.imdb.de/media/rm977049600/nm0924210

Oh Hilfe, was für eine distanzlose Projektion auf den einen Mann.

Das darf doch alles nicht wahr sein. Wie durchgedreht werden alle realen Probleme gedeckelt, als wärs irgendein katholisches Heilsversprechen.

Und was quatsch unser niederträchtiges – äh - niedersächsisches! Dickerchen Gabriel für einen schwärmerischen Stuss. Einpeitscher eines kollektiven Irrseins.

Man stelle sich vor, dieses Jublieren könnte noch lauter, noch schriller werden.

Und auf einmal alle Zweifel wie weggebeamt?

Man, was wird das für ein fürchterliches "Auf-den-Arsch-fallen" hinterher ...

Da kann ein Einzelner gar nicht soviel fressen, wie er kotzen möchte.

Montag, 19. März 2012

JOACHIM GAUCK – DER LETZTE DEUTSCHE BUNDESPRÄSIDENT

Warum man jetzt erst recht etwas gegen Gauck sagen sollte.
Oder:
Immerhin – Deutschland wird christlich-lutherisch beerdigt.


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Eine Polemik

Das nenne ich mal mit Getöse untergehen. Irgendwann Ende ausgehendes 19. Jahrhundert ging der Lotse von Bord. Heute haben wir den seltenen Fall, dass einer als Lotse für ein Deutschland bestellt wird, das längst navigationsunfähig zum Abwracken freigegeben wurde.

Was für ein Schauspiel, ein Komödienstadl: Da wird mit viel Trara die Brücke heruntergelassen, die Menge jubelt, als ginge es auf Jungfernfahrt, die Kapelle spielt auf, der Lotse steht in vollem Ornat auf der Brücke, pfeift aufmunternd „La Paloma“ hinunter in den Maschinenraum obwohl er genau weiß, das die unverwüstlichen Dieselmotoren längst in alle Einzelteile zerlegt und in vorauseilendem Gehorsam als Reparationsleistung in alle Herrenländer verschifft wurden.

Ja, doch. Jetzt hör ich wieder alle empört tönen: „Nun hör schon auf mit dem ständigen madig machen und gib dem Mann eine Chance!“ Sorry, aber mir kommt das vor, wie eine Polonäse auf dem Friedhof, während der Sarg gerade in die Grube herabgelassen wird.

„Totgesagte leben länger!“ - lautet der Ruf, den man jahrelang hörte, wenn es darum ging, den Fraktionen der „Fuck you germany!“-Jünger etwas entgegenzusetzen. Aber wer glaubt heute noch ernsthaft, an eine nationale Lösung für die Zukunft einer Bundesrepublik Deutschland? „Nationalstaat“, „Nationalstaatlichkeit“, „Deutsches Volk“- das klingt doch für die Allermeisten schon dermaßen nach Nazi-Schmuddel-Porno, dass solche Begrifflichkeiten quasi aus dem politischen Alltag verschwunden sind.

Das Erstaunliche allerdings und die eigentliche Feigheit in Personalunion: Die Roths, Ödzdemirs, Gabriels und auch Kauders dieses Landes trauen sich noch nicht laut „Fuck you germany!“ zu auszurufen. Nicht einmal zu flüstern. Lediglich ihr Handeln dokumentiert den induzierten Selbsthass.


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Nun allerdings kommt mit Gauck Bewegung in die Bewegung. Und auf einmal hat diese Deutschland-Beerdigungsgesellschaft einen flotten Einfall: Man will mit Gauck die trostlose Hinrichtungsstätte des Nationalen – ein tottrauriger Platz – wie einen Kreissaal aussehen lassen. An der Saugglocke: der „Wir sind das Volk!“-DDR-Pfarrer, der so schön laut singen kann, das man die Totenglocken gar nicht mehr hört. Selbst im regierungseigenen Bestattungsunternehmen holen jetzt die Selbstbesoffenen nationale Nabelklemmen aus der deutschgrindigen Hosentasche. Halleluja! Joachim Gauck wird Speerspitze eines „Fuck you Germany!“ Und er souffliert den letzten Gang mit dem Westernhagen-Soundtrack des Mauerfalls von 1989: „Freiheit!“

Ja doch: Wulff war der um Längen geeignetere Bundespräsident. Geeigneter für ein Neues Deutschland. Warum? Causa Wulff war außergewöhnliche und einmalige Chance, endlich das Ende aller Illusionen zu proklamieren und den Ernstfall für Deutschland auszurufen. Ein Notfallprogramm wäre angefahren worden, das einen radikalen Neuanfang ermöglicht hätte.


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Nun ist alles Nichts. Gauck ist die Beschleunigung des Niedergangs. Das x-te Provisorium, der vom Rotkäpchensekt beschwippste Katastrophenbeschwichtiger verschiebt salbungsvoll wieder und wieder die Not-OP, obwohl das Herzversagen unmittelbar bevorsteht. Noch einmal darf einer an den Patienten herantreten, vollmundige Versprechen machen – „Gesundheit!“ sagen, als hätte nur einer geniest und es dann bei der Willensbekundung belassen, während der Patient röchelnd ins Gras beißt. Goodbye Deutschland!

Was uns seit der jubelbesoffenen Wahl dieses pathetisch-ostdeutschen Hysterikers um die Ohren blässt, klingt wie irgendeine erbarmungswürdige Cover-Version, wie ein 20 Jahre zu spät intonierter gruseliger Nachhall der Westernhagen-Schmonzette.

Abe was wäre nun nach Wulffs Abgang die Lösung gewesen? Worin lag die einzigartige Chance dieser grandiosen Demontage des Amtes? Im Leerstand! Im Nichts! In der totalen Verweigerung einer Neubesetzung. Der mahnende leere Stuhl. Das Novum. Aber wie immer: Nichts kann sich nicht zur Wahl stellen. So wurde eine großartige Chance vertan, Deutschland völlig neu zu definieren. Was wäre denn noch wirkungsvoller gewesen, als den Posten so lange vakant zu halten, wie es eben braucht? Also nicht Bonn, sondern Berlin? Der leere Stuhl als Symbol für ein Provisorium?

Ja, der bessere Gauck wäre eben „kein Gauck!“ gewesen. Also den Posten verwaist lassen und neue Kriterien entwickeln. Nicht für eine geeignetere Person, sondern für das Amt, für Deutschland!
Was ist eigentlich noch verdächtiger, als dieser Gauck-Einheitsparteienjubel? Es kann doch nicht sein, das es einfach nur um eine neu geglättete Bundespräsidenten-Oberfläche ging. Um dieses unsägliche gaucksche Verbalopium, um diese Worthülsen aus dem Munde eines Mannes, der doch schon jetzt an seiner eigenen „Großartigkeit“ tränenzuersticken droht. Wie viel offensichtlicher muss ein Gesicht noch zu uns sprechen?

Was Deutschland heute dringender denn je braucht, ist den Zerstörer. Den Polit-Deserteur. Den Desillusionisten. Einen, dem die Zukunft Deutschlands, die Zukunft des deutschen Volkes so sehr am Herzen liegt, dass er sie dem Amt gemäß gegen jeden Applaus, gegen jeden Mainstream, gegen jede grün-dusselig romantisierende Europa-Deutschlandpolitik und gegen jedes „Fuck You Germany!“ gnadenlos verteidigt. Ohne Wenn und Aber. Und noch mehr ohne blödpastoralen „Freiheit!“-Unterton.


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Wenn also dieses Amt überhaupt noch einen Sinn machen sollte, dann doch als leerstehendes Mahnmal. Woher soll dieser freiheitsbetrunkene Ostevangele auch den alttestamentarischen Zorn hernehmen, der nötig wäre, die ultimative Sinn-Frage zu stellen?

Deutschland oder nicht Deutschland. Und dann keine Träne mehr vergießen. Es ist doch ganz einfach. Wollen wir noch sein oder ist schon alles egal? Alles verloren und wir melden uns endgültig aus der Geschichte ab. Also: Nicht sein?

Nein, Gauck ist nicht gut für Deutschland. Gauck setzt seinen Nachwendebegriff von „Freiheit“ über Volk und Nation. „Freiheit!“ als Wert, der alle anderen Werte entwertet. Ein Überwert. Also in letzter Instanz ein Wertevernichter.

Gauck hat seine „Freiheit!“ in Deutschland in einer Zeit kennen und schätzen gelernt, als das Schiff schon schwer Schlagseite hatte. Eine „Freiheit!“ aus dem Niemandsland. Die freie Kirchenmusikwahl der Kapelle auf der Titanic. Eine anarchistische „Freiheit!“, wie sie auf jedem untergehenden Schiff herrscht, dessen gesamte Besatzung mental längst in den Rettungsbooten sitzt. Rettungsboote gesponsort vom Steuerzahler und der Deutschen Bank.

Also Joachim Gauck: „Volle Fahrt zurück!“

Samstag, 17. März 2012

Hand auf's Herz türkische Maria

maria
(Bild: http://www.theavemaria.org/Maria01.gif)

SUBWAY-Kolumne April 2012
http://www.subway.de/293/lebensraum/kolumnen/artikel/hand-auf-s-herz-tuerkische-maria-14318.html

Jetzt muss ich mal mit einer Einseitigkeit aufräumen. Und das betrifft Mitbürger mit Migrationshintergrund. Die gängige Auffassung geht ja oft so: Die sind Spitze in Kriminalität, im Hartz4 empfangen, im Frauen schlagen, in der Integrationsverweigerung.

Ob das nun von Fall zu Fall stimmt, sei für den Moment mal dahingestellt. Ich möchte jedenfalls eine weitere ganz persönliche Wahrheit hinzufügen. Und die geht so:

Wer nachts und am Wochenende als Notfall in eine deutsche Klinik – genauer in die an der Braunschweiger Salzdahlumer Straße – eingeliefert wird, hat beste Chancen fast ausschließlich von der Anmeldung über die Schwestern bis zur Ärztin auf Deutsche mit Migrationshintergrund zu treffen. Und – schon mal vorweg gesagt – das ist in Braunschweig alles andere als ein Grund zur Panik. Besser noch, es kann dazu beitragen, eine ganz andere Art Panik zu vermindern.

Wie das? Eine anstrengende Woche mit anstrengenden Auseinandersetzungen mit einem anstrengenden Menschen lag hinter dem Kolumnisten. Als Wiedergutmachung winkte am Freitag eine viel versprechende Fahrt in den Norden zwecks eines interessanten Interviews. So weit so gut. Der Nordausflug wurde tatsächlich zur Erholung. Allerdings – wieder daheim begann auf einmal ein Stechen und Hauen im Oberbauch. Gefährlich ansteigend.

Meldet sich das Raststättenessen? Dieser ultrafettgebackene Fisch dieser plötzlich so dubios erscheinenden türkischstämmigen Köche? Oder lag's am großen Teller aus dem türkischstämmigen Brutkasten-Treibhaussalatbuffet?

Die Sache steigert sich binnen Minuten dramatisch. Frau schläft schon und der kleine Sohn schaut auf dem Sofa Fernsehen und dann herüber. Nein, der Vater sieht nicht gut aus und der ruft jetzt panisch den Notarzt. Aber der kommt überhaupt nicht! Also rufe ich 112.

Klein-Sohn schreit erschrocken auf, als die beiden Feuerwehr-Signalwesten mit schwerem Gerät einrücken. Ich fixiere verzweifelt Sohn um irgendwie ein letztes Bild mit "rüber" zu nehmen in die Ewigkeit. Ja, ja, es klingt unfassbar kitschig, aber so ist das wohl dann. Eine Stimmung wie "Glück auf", gesungen in Moll auf Schalke von Assauer in der letzten Aussauer Klarheits-Minute.

Kommt jetzt gleich die finale Ohnmacht? Nein, doch nicht. Erst noch eine wilde Schnappatmung, Vollverkabelung. Aber EKG gibt erstmal Entwarnung. Also doch der osmanische Fisch von der A7? Als der Defibrillator ungenutzt wieder rausgetragen wird, zittern die Beine. Wohl vor Erleichterung.

Das Zittern allerdings sieht so gefährlich aus, das es einen neuen Panikschub verursacht. Die Blaulichtfahrt im Krankenwagen wird zur wackligen Angelegenheit. Lieber Herr Bürgermeister, die Frostschäden sind nicht gut fürs Herz, unbedingt reparieren lassen!

Dann checken wir endlich in der Notaufnahme ein. Neben mir auf Stube liegt ein 92 jähriger. In seinem 92-jährigen Penis steckt ein Schlauch. Und aus dem läuft viel Blut in einen Klarsichtbeutel. Der arme alte Kamerad ist kein bisschen verassauert. Er erzählt mir sogar stundenlang mit warmer kameradschaftlicher Stimme Kreuzfahrtgeschichten, so, als lägen wir nicht in der Saldahlumer, sondern schwer angeschossen eng aneinandergekuschelt im frostigen Schützengraben vor Stalingrad.

Der nächste, den sie reinfahren hatte gerade seinen zweiten Herzanfall: Er ruft, so leger das in so einer Situation überhaupt noch möglich ist: "Hallo!", und kann dann seinen Durchfall nicht mehr halten.

Um zwei Uhr früh schwebt dann endlich diese wunderbare Internistin – Iranerin? – mit riesigem Ultraschallgerät zu uns in den Schützengraben. Blut, Scheiße, Krieg – alles egal. Denn nichts könnte uns jetzt noch daran hindern, unverhohlen zu dieser schlanken Lernschwester neben der Ärztin hinüber zu strahlen.

Ihr Lächeln beschießt uns aus nachtschwarz glänzenden Augen. Ja, sogar der 92-Jährige Kamerad strahlt wieder wie ein vor Saft strotzender 14-Jähriger. Vor uns steht leibhaftig eine türkischstämmige Marienstatue ganz in Weiß. Und dann berührt sie ihn – nein uns! – mit dunklen, schlanken Händen. Haut auf Haut.

Und diese Hände arbeiten mit einer Selbstverständlichkeit und mit einer Sanftheit, die in jeder anderen Situation durchaus Herzanfälle auszulösen in der Lage wäre. Aber hier ist es reinstes stilles Heilen als uns die türkische Maria ihre Hände aufs Herz legt. Ja, wir sind geheilt. Opa darf noch ausschlafen.

Mir bestellt Türkischmaria um drei Uhr dreissig ein Taxi nach Hause. Aus Sparsamkeitsgründen wählt sie Minicar. Oder weil es so noch etwas länger dauert? Jedenfalls warten wir gemeinsam unterm kaltem Neonlicht, das auf einmal so warm strahlt, als sei schon Weihnachten. Und ob ich nun will oder nicht – seit dem gehört mein Herz der Integration.

Sonntag, 4. März 2012

ORBÁN ET ORBI

http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/viktor-orban-im-gespraech-es-gibt-ein-verborgenes-europa-11671291.html

Mensch, was für ein Interview in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (4.März. 2012) mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán.

Jede Antwort Sprengstoff

Neuer Spirit für den europäischen Gedanken oder Sprit in den Scheiterhaufen Europas?

Ich sage: Debatte eröffnet!

Das Interview: unbedingter Lesetipp.

Freitag, 2. März 2012

Georg Diez vs. Christian Kracht - Mit Tütü und Boxhandschuh



Mit Tütü und Boxhandschuh

Die Aufregung um Christian Krachts neuen Roman „Imperium“ nimmt kein Ende. Rechtzeitig zur Leipziger Buchmesse weiß Kracht erneut die Aufmerksamkeit zu schüren und präsentiert, da er sich nach Georg Diez’ Attacke im Spiegel zu „bedrückt“ für Lesungen in deutschen Landen fühlte, nun sein Buch in Zürich.

Keine Frage, das gesamte deutsche Feuilleton wird anreisen, um jede seiner Regungen akribisch zu beobachten: Wie hält er sein Wasserglas? Die wievielte Marlboro Light zündet er sich gerade an? Wie schütter ist sein Haar wirklich geworden, wie dunkel sind die Augenringe? Liest er die Hitlerstelle? Ist da nicht ein klitzekleines Zwinkern in seinen blaugrauen Augen zu erkennen?



Also mal ehrlich: In was für einem Film sind wir hier eigentlich? Fight Club-Niveau hat das Match zwischen Kracht und Diez definitiv nicht:

„Ich will dass du mich schlägst so hart du nur kannst!“ – „Wieso?“ – „Was weißt du schon über dich, wenn du noch nie gekämpft hast?“

Dabei sah nach Georg Diez’ knallhartem Rassismus-Vorwurf zunächst alles nach einer sehenswerten Keilerei aus. Aber irgendwas blieb dann auf der Strecke. Entweder wollten die Kontrahenten nicht richtig, oder sie konnten nicht. Zeit, die Sache mal aus der Ring-Perspektive zu betrachten.



Erste Runde: Herausforderer Georg Diez springt in den Ring und gleich mit randvollem Köcher mitten in Krachts Gemächt: „Imperium“ sei „durchdrungen von einer rassistischen Weltsicht“. An seinem Beispiel „könne man sehen, wie antimodernes, demokratiefeindliches, totalitäres Denken seinen Weg findet hinein in den Mainstream.“ Au! Das tat richtig weh.

Krachts Adjutanten kreischen entsetzt und sehen ihren Mann schwer am Boden. Alte und neue Getreue eilen aufgebracht in die Waffenkammer. Am Wettschalter herrscht Verwirrung. Die „Faschismuskeule“, wie Jakob Augstein (Loge direkt am Ring) die Attacke später nennen wird, hat Eindruck hinterlassen. Das war klar unfair, unsauber. Aber eben auch Sieg versprechend. Das jedenfalls haben Fights mit vergleichbar fiesen Tiefschlägen in den letzten Jahrzehnten gezeigt.

Krachts K.O. liegt bleischwer in der Luft. Der Schweizer macht zunächst keinerlei Anstalten, sich von seinem Stuhl zu erheben. Wedelt seine Ecke etwa sogar schon aufgeregt mit dem Handtuch? Aber was macht Kracht auf einmal? Das kann doch nicht wahr sein! Er geht einfach zurück in die Kabine, schaut sich seine Kratzer im Spiegel an und greift zum Abdeckstift.

Und während man in der Halle gespannt auf die Rückkehr Krachts wartet, wird der Bestsellerautor plötzlich in den Niederungen des deutschen Wikipedia entdeckt.

Der Grund? Ein Autor der virtuellen Enzyklopädie hatte aufgrund eines Berichts im Tagesspiegel den Wohnort Krachts kurzerhand von „Buenos Aires“ in „Florenz“ aktualisiert. Und was Kracht dazu sagt, ist nun unlöschbar im Subtext seines Wikipedia-Eintrags nachzulesen:

„Das stimmt nicht, ich wohne seit 2008 in Buenos Aires. Wuerden Sie bitte diese frei erfundenen Mutmassungen Ihres Autors korrigieren? Gerne koennen Sie mich hierzu persoenlich kontaktieren: christiankracht@xxxxxxxx.xxx(hier von mir geschwärzt). Mit den besten Gruessen und Dank, Ihr Christian Kracht.“


Hallo, geht's noch?

Jungs, jetzt mal ehrlich. Könnt ihr nicht, wollt ihr nicht, oder hattet ihr womöglich überhaupt niemals vor, hier einen vernünftigen Fight hinzulegen? Schiebung! Das ist doch kein echter Boxkampf, das ist nicht einmal halbwegs ordentliches Wrestling.

Geht es hier tatsächlich um eine Nazi-Jagd? Von so einem Lärm würde doch der Nazi ebenso profitieren wie der Nazijäger. Zeit also, die Spürhunde in die Arena zu lassen, um der Sache mal auf den Grund zu gehen.

Indizien für eine müde Absprache: Die Jungs schreiben für denselben Stall. Beide Autoren stehen bei Kippenheuer & Witsch unter Vertrag. Und Regisseurin Corinna von Rad, mit der Diez ein Kind hat, brachte in Basel Krachts letzten Roman „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ auf die Bühne.

Gut, Frauen, Privates – ach ja, das muss ja nichts heißen. Aber wer sich erinnert, der weiß, dass Diez Kracht schon im Juli 2007 in der ZEIT unter der Überschrift „Gift liegt in der Luft“ in den Infight zwingen wollte.

Diez hatte nach Erscheinen des Doku-Thrillers „Metan“ von Kracht und Ingo Niermann den Geruch des Bösen gewittert. Aber ein offener Schlagabtausch – schon damals Fehlanzeige.

In Ermangelung eines direkten Uppercuts tänzelte Diez nur hinüber zu einem vergangenen Werk Krachts über Nordkorea: „’Die totale Erinnerung’ jedenfalls deckt etwas auf, eine merkwürdige Nähe von Pop und totalitärem Denken.“

Dann fightet er die verbleibenden Runden noch ein bisschen mit Krachts Co-Autor Niermann, um ihn, Kracht und auch den Künstler Jonathan Meese mit radikalen Islamisten zu vergleichen: „Die Dummheit der Politiker ist meistens reaktionär; die Dummheit der Künstler ist manchmal visionär.“

´

War das schon die Generalprobe für den Streit um „Imperium“?

Kracht hält sich derweil bedeckt und schickt keine Geringere als Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek in den Ring, die sich 2006 schon so tapfer für Handke geschlagen hatte.

Was will er eigentlich sein: Fallobst? Kämpfer? Ein extrem erfolgreicher Feigling?

Eine Antwort steht in „Christian Kracht: Zu Leben und Werk“, literaturwissenschaftliche Sekundärliteratur. Dort verrät Kracht-Intimus Niermann unter der Überschrift „Die Erniedrigung“:

„Vielleicht weist Kracht die Züge eines mäßigen Borderline-Charakters auf, doch es ist sein Selbstverständnis als Schriftsteller, das es ihm ermöglicht, größte Teile seines Lebens in Anführungsstriche zu setzen und rigoros unauthentisch zu sein.“ Und: „So erklärt sich (...) sein – einigermaßen ungebrochenes – Faible für die Kulissen und Inszenierungen totalitärer Herrscher. (...) In dem Maße, in dem dieses Verhalten Aufmerksamkeit generierte, wagte sich Christian Kracht weiter vor – zeigte sich mit einer Maschinenpistole in den Armen (..) Im übernächsten Moment konnte er wieder entschwunden sein.“

Während Kracht sich in den letzten Wochen konsequent wegduckte, ruderte Diez im Spiegel bereits wieder zurück und ermöglicht damit Kracht in Zürich einen Auftritt als alter und neuer Champion. Man möchte Diez aus Augsteins Loge laut zurufen:

„Mensch Junge, hast Du Eier? Dann sag dem Kracht jetzt gefälligst, das du ihn für einen Nazi hältst. Oder lass es für immer! Wenn du so furchtbar empört bist, dann geh verdammt auch die vollen 12 Runden. Fighte endlich!“

Alexander Wallasch

Dienstag, 28. Februar 2012

Georg Diez feiert kein Ostern

„It's hard to say I'm sorry.“



Meiner Frau fällt es leichter mal „Entschuldigung“ zu sagen. Sie sagt dann einfach „Es tut mir leid.“ Gut, das muss nicht oft passieren, denn sie ist die Besonnenere. Klingt nach Klischee, ist aber so. Ich bin der Laute. Der Erregte. Der Empörte. Klar, damit schieße ich schneller übers Ziel hinaus. Meine Fehlerquote ist höher. Ich behaupte dann einfach öfter, das war ein Irrtum und keine Beleidigung. Ja, „ich habe mich geirrt, denn it's hard to say I'm sorry.

Was eine Beleidigung ist, erklärt Wikipedia an einem Beispiel unter der Rubrik „Strafbare Äußerungen“: „Aus Verärgerung über die Verspätung eines Fluges nennt ein Fluggast den Piloten „Busfahrer“ und meint dies ehrverletzend.“

„Busfahrer“ kann also – wenn es nur im richtigen Moment eingesetzt wird - eine strafbare Beleidigung sein.

Spannend an selber Stelle auch der strafrechtliche Tatbestand des „Publikationsexzesses“. Der meint nämlich, das ausnahmsweise auch die Äußerung eines wahren Tatbestands eine Beleidigung sein kann. Beispiel dort: „Ehrmindernde wahre Tatsachen werden öffentlich in einem Schaukasten ausgehängt, obwohl sie kein solches Gewicht haben, dass die Öffentlichkeit ein Interesse an der Unterrichtung hat, sogenannter Publikationsexzess.“

Deutlicher: „XY hat einen kleinen Schwanz!“, ausgehängt von einer Verflossenen samt Fotobeweis! ist dann eine Wahrheit, aber strafbar, weil diese Wahrheit durch den Aushang zum Publikationsexzess wird. Das lässt sich sogar noch steigern, wenn XY durchschnittlich oder sogar überdurchschnittlich gebaut wäre und die Verflossene via Photoshop den Hans zum Hänschen gemacht hätte.

„Publikationsexzess“ ist überhaupt ein schönes Stichwort, denn das ist so im Groben – und damit komme ich endlich auf den Punkt – was viele sehen, die mit der Debatte Kracht/Diez nichts anfangen können. Aktuell beschäftigen sich dutzende Artikel, hunderte Blogs und tausende Kommentare mit einem Spiegel-Artikel Georg Diez', dem „Rufmord“ an Kracht vorgeworfen wurde.

Über seinen Verlag Kiepenheuer & Witsch ließ der schweizerische Schriftsteller Christian Kracht ausrichten, er sehe sich derzeit außerstande, nach Deutschland zu kommen. Die Vorwürfe bedrückten ihn zu schwer. Gibt es den auch? Den Tatbestand der „Bedrückung“?

Oder ist „Bedrückung“ klassische Reaktion auf Beleidigung? Wenn meine Frau beleidigende Wahrheiten sagt, reagiere ich mit Bedrückung (Was natürlich nicht automatisch den Schluss zulässt, das ich unterdurchschnittlich gebaut wäre). Ich bin bedrückt, weil das gute Chancen auf dieses sanfte „Es tut mir leid!“ hat. Ja, es erzwingt es geradezu.



Also zusammengefasst um was es geht: Um einen Publikationsexzess. Um viel zu kleine und größere Pillermänner. Um komische Berliner und andere Journalisten. Um einen bedrückten schweizerischen Bestsellerautor und ein ausstehendes „Es tut mir leid .“

Nachdem Georg Diez Christian Kracht im Spiegel einen Rassisten schimpfte (Imperium sei durchdrungen von einer rassistischen Weltsicht. An Krachts Beispiel könne man sehen, wie antimodernes, demokratiefeindliches, totalitäres Denken seinen Weg findet hinein in den Mainstream.) folgte jetzt nach zwei Wochen Geschrei das bedrückt erwartete und in weiteren Publikationsexzessen eingeforderte „Es tut mir leid .“

Georg Diez schreibt also jetzt im Spiegel „Meine Jahre mit Kracht“ – das klingt nach Abschied. Nach letzten Worten. Nach verlorener Nähe. Also nach der Vorbereitung eines grandiosen „Es tut mir leid .“ Und um ein spätes zwar, aber ein Ende der Krachtschen Bedrückung. Aber weit gefehlt: Nicht weniger mädchenhaft als ich, wenn ich meiner Frau ausredend kompliziert den Unterschied zwischen Irrtum und Beleidigung erklären will, geht Diez noch einen Schritt weiter. Er möchte Kracht und uns in einem dreieinhalb Seiten! langen Publikationsexzess den Unterschied zwischen Wahrheit und Irrtum erklären.

Und das geht bei ihm so: „Vor zwei Wochen erschien mein Text über Christian Kracht, mit dem ich Kracht weder denunzieren noch ausgrenzen wollte. Ich wollte ganz einfach meinem Unbehagen auf den Grund gehen.“

Whow, meine Frau wäre an der Stelle schon leicht runtergefrostet.

Aber weiter: „Das Unbehagen dem ich auf den Grund gehen wollte, (...) war auch ein Unbehagen an mir.“

Kenn ich. Meine Frau leider auch. Das ist die Umkehrungsfinte: Eigentlich habe ich mich ja bloß selbst beleidigt. Kauft sie mir nicht mehr ab. Wollen wir dem Diez also auch nicht abkaufen. Und so schwallert und lamentiert , druckst und eiert es also zeilenlang herum, bis irgendwann das „Es tut mir leid!“ doch noch kommt, aber überlesen wird:

„... meine sehr zugespitze Formulierung von Kracht als „Türsteher der rechten Gedanken“ (…) sollte Kracht aber nicht verletzen.“

Und nach diesem lau hingehauchten, gewisperten, geradezu unverständlichen „I'm sorry.“ folgt eine solche Blödheit, eine sofortige Rücknahme, die nicht nur strategisch eine Katastrophe ist, sondern die meine Frau sofort veranlasst hätte den Raum zu verlassen:

„Überraschend für mich war, dass „rechts“ im Jahre 2012 immer noch so ein Schreckenswort ist – und ein Verlag den Eindruck hat, wenn einer seiner Autoren so bezeichnet wird, werde er denunziert.“



Georg Diez ist S.P.O.N. Autor. Und in seiner Kolumne schrieb er am 05.08.2011 unter der Überschrift „Realitätsverlust von rechts“ Die Ideologen des 21. Jahrhunderts kommen nicht von links, sie verbiegen die Realität von rechts - zur Not mit Gewalt. (…) Breivik ermordete Sozialdemokraten. Das ist der Wahn, das ist die Ideologie am Beginn des 21. Jahrhunderts. Sie kommt von rechts. (…) Die rechte Ideologie sucht sich ihre Feinde im Inneren, das ist ein weiterer Unterschied. Und sie agiert zerstörerisch und narzisstisch, das ist typisch 21.
Jahrhundert.(...) Aber das ist das Spiel von Ideologen: Die Realität mit Worten zu verbiegen. Es ist die gleiche verdrehte Logik, nach der die Sarrazin-Debatte verlaufen ist, eine Debatte, die keine war, weil es dem Demagogen gelang, das, was er tat, als Aufklärung zu verkaufen - obwohl er das Gegenteil tat: Er vernebelte die Wirklichkeit mit seinen Thesen.“

Wie bitte?

Meine Frau packt gerade ihre Koffer. Also Zeit, auch mal einen Publikationsexzess vorzulegen:

Ich kenne den Pillermann von Georg Diez nicht. Was ich aber sicher weiß, der Mann hat keine Eier.

Was er allerdings hat, ist eine übel verbogene Keule:

„Der Faschismus-Vorwurf ist die größte Keule, mit der man im öffentlichen Diskurs hantieren kann."
Jakob Augstein / Freitag

Montag, 20. Februar 2012

Der Upper Class Cracker

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Die leicht gekürzte Version am 21.02.2012 in TAZ – die tageszeitung:

http://www.taz.de/Billy-Cleggs-Roman-ueber-Cracksucht/!88094/

http://www.perlentaucher.de/buch/37849.html

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Der Upper Class Cracker

Der erste Eindruck: Da passt was nicht zusammen. Da taucht also in den vergangenen Monaten dieser gut aussehende New Yorker in den Medien auf – kräftiger Bubblegum-Unterkiefer, weiß strahlendes Gebiss, volles gescheiteltes Haar, grau-blaue Augen ohne Tiefgang, ein Lächeln wie aus einer Nachmittags-Sitcom und stellt die düstere Geschichte eines erfolgreichen homosexuellen Literaturagenten vor, der zehn Jahre auf Crack war und in Spitzenzeiten bis zu zweitausend Dollar am Tag für die sogenannte „Billigvariante“ des teureren Kokains ausgegeben hat.

Mit einer Unverbindlichkeit, die bei Kaffeekränzchen Schwiegermütter entwaffnen könnte, erfährt man dann, dass es sich beim „Porträt eines Süchtigen als junger Mann“ - ein von Joyce Debütroman entlehnterTitel - um seine Autobiografie handelt, er also höchst selbst der tragische Held seiner Story ist.

Was ist das nun wieder? Ein neues identifikationsstiftendes Testimonial für die Teufelsdroge Crack? Drogensüchtige und Ex-Junkies sehen ja sonst anders aus. Sofort also werden gängige Klischees gegen den heiteren Erzähler in Stellung gebracht, der wie nebenbei die Zerstörungswut harter Drogen ad absurdum zu führen scheint.

War es nicht so, das vorwiegend Afroamerikaner in solchen Vierteln New Yorks Crack konsumieren, um die sogar Polizisten einen großen Bogen machen?
An dem erfolgreichen Literaturagenten-Sunnyboy, der im deutschen Fernsehen zur besten Sendezeit wortwörtlich erklärt, er hätte sich Crack damals sogar „wenn nötig, aus einem Haufen Scheiße gepuhlt“, sind keinerlei körperliche Verfallserscheinungen erkennbar.

Und warum nahm so einer nicht, wenn schon drogen-affin – wie andere Erfolgsverwöhnte und Prominente Weiße – Kokain?



Ist das seit Crack-Amy-Winehouse plötzlich alles anders geworden? Kommt sie nun doch, wie oft schon falsch prophezeit - die Crack- Epidemie? Und womöglich ausgerechnet exemplarisch bewiesen an diesem harmlos wirkenden weißen Upper-Class-Jüngelchen?

Es gibt sie doch längst überzeugender, authentischer in der amerikanischen Musikindustrie: die Crack-Überlebenden Snoop Dogg, B-Real von Cypress Hill, Wu-Tangs RZA oder Raekwon. Die gerade in den USA erschienene Dokumentation “Planet Rock: The Story of Crack and the Hip-Hop” erzählt vom Einfluss der Droge. Irgendwann in den frühen 1980er Jahren überrollte Crack die amerikanischen Innenstädte und versetzte sogar Präsident Ronald Reagan angesichts der verheerenden Bilder in Alarmbereitschaft: „It is an uncontrolled fire!“

Bill Clegg erzählt nun also davon, wie dieses unkontrollierte Feuer sein Nobel-Appartement in der Fifth Avenue erreicht hat. Und so wird Clegg zum gefallenen Engel. Und die gehören seit je her zum Fingerprint der amerikanischen Gesellschaft. Denn sie sind das notwendige Pendant zum "Vom Tellerwäscher zum Millionär". Die Gegenbewegung zum „amerikanischen Traum".

Schon auf den ersten Seiten kann es kaum noch schlimmer kommen: Der Ich-Erzähler-sitzt am frühen Morgen in der schäbigen Absteige eines ebenfalls schwer Cracksüchtigen. Drogenspasmen und wirrster Wortsalat sind der Background während beide darauf warten, dass die Dealer ihre Handys wieder einschalten und Nachschub geordert werden kann. In einem Morgengrauen, das seinen Namen wirklich einmal verdient, versuchen die beiden für einen weiteren „Hit“ mit einer verbogenen Schirmspeiche Crack-Reste aus einer abgerauchten Crackglaspfeife zu kratzen.Ja, es ist furchtbar. Noch furchtbarer, als dieser letzte ausgekratzte Crackrotz samt Pfeife aus den zittrigen Händen gleitet und am Boden zerschellt. So und ähnlich geht es dann weiter. Und das beinahe die gesamten 270 quälenden Seiten lang.

Ein neuer amerikanischer Alptraum. Neu aber nur, weil er weiß ist – denn den schwarzen gibt es ja längst. Und dem fehlt vor allem etwas, dass bei Bill Clegg immer da ist: Der doppelte Boden, die cleane Familie, die Geschäftspartner, die Freunde, das rettende Netz – auf keiner Seite bekommt man das Gefühl, Clegg hätte nicht die Option behalten, geläutert an irgendeiner Tür zu klingeln um wieder aufgenommen zu werden: Zurück in die New Yorker Upper Class, die ihrem gefallen Engel schon deshalb vergibt, weil Clegg keine Schuldzuweisung vornimmt, weil er letztlich immer einer der ihren geblieben ist.

Bill Cleggs New York ist voller guter Menschen. Die Dämonen bleiben Cleggs ureigene Dämonen. Und die hat er zum Thema seiner Autobiografie gemacht. Geschliffene Sätze. Meisterlich. Aber eben kein Meisterwerk. Gestochen scharfe Selbstbeobachtung. Aber menschlich eine Katastrophe. Wo ist die Relevanz, die Selbstverachtung, die Scham?

In jeder der immer gleichen Horror-Szenen bleibt Clegg der coole Underdog, der sich was traut - ja doch, in letzter Instanz gefällt sich der Autor im Crack-Rausch. Und in der Rückschau kommt er aus der Eiseskälte des Bösen zurück ins wohltemperierte Amerika. Gott schützt Amerika und seine weiße Oberschicht. Auch vor dem bösen Crack der Afroamerikaner.



Was ist das bloß für ein bemitleidenswertes Bürschchen – verwöhnt, voller Selbstverachtung, kinderlos, verantwortungslos, gesinnungslos. Ein erwachsener hochgebildeter Mann, der mal eben cracksüchtig wird, weil ihm die erste Crackpfeife von einem homosexuellen One-Night-Stand in die Finger gedrückt und der Sex anschließend so dramatisch gut wird.

Später wird er dann mit Brandblasen an den Händen vom heißgerauchten Glasröhrchen und auf der Suche nach einem versprungenen Krümelchen Droge wie ein Säugling auf dem Hotelzimmerteppich herumgrabbeln. Dabei wirres Zeug brabbeln, weiter rauchen und sich für 400 Dollar einen baumlangen schwarzen Callboy bestellen und sich exzessiv besteigen lassen.

Man fragt sich unwillkürlich, wie tief die amerikanische Gegenwartskultur von einer Selbstzerstörungs-und Voyeurmentalität penetriert ist. Doppelmoral war das Thema der großen amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Bei Clegg ist die Frage nach der Moral kein Thema mehr. Seine schriftstellerische Brillanz verpufft am Ende gänzlich und sein Text bleibt irgendwie im leeren Raum hängen. Noch mehr, weil der gewiefte Literaturagent wohl selbst erkannt hat, das sein Konzept noch eine zweite Ebene braucht. Eine Schuldzuweisung. Die Fremdbestimmung.

Oder es hat ihn am Ende der Schreibattacke der Mut verlassen und der Crack-Horror, den er da aufgeschrieben hat, war ihm doch zu mächtig, um ihn alleine zu schultern. So gibt es dann Rückblenden in seine frühe Kindheit. Und die sind unfreiwillig komisch: Clegg als kleiner Junge kann jahrelang nicht normal pinkeln. Eine unbehandelte unglücklich verknickte Harnröhre? Gar eine Phimose? Ungeklärt. Der Schuldige? Klar, der Vater, ein Flugkapitän. Warum? Bleibt auch unklar. Irgendwo auf den letzten Seiten wird Clegg zum Vater sagen, dass die Probleme seiner Kindheit nicht die Ursache für seine Cracksucht waren, sondern nur dazu beigetragen haben.

Ach ja. Diese zweite Ebene sollte nun eine Transzendenz bringen.

Vielmehr bremsen diese Rückblenden nur etwas aus, das in seiner Bedingungslosigkeit für sich allein schon eine Brillanz hat: Als literarisches Lehrstück für meisterhaftes Erzählen. Wenn man denn etwas zu erzählen hat.

Hier ist es die Geschichte eines disziplin-resistenten kleinen Arschlochs geworden, der Joyce mag, in realen Interviews aber so langweilig amerikanisch erscheint, so collegejungenhaft, so sympathisch wie Schwiegermutters Liebling – nur das man eben jetzt diese irgendwie dann doch nur noch mäßig verstörende 270 Seiten lange Upper-Class-Crack-Odysee mitdenken muss.

Alexander Wallasch

JUTTA DITFURTH: Präsident Gauck - der Prediger der verrohenden Mittelschicht

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Man kann, aber man muss Jutta Ditfurths Meinung nicht immer teilen. Aber ich lese was Sie zu sagen hat. Immer mit Gewinn.

A.Wallasch

Hier noch mal zum Aufwärmen:
http://www.youtube.com/watch?v=r7Fm5FRx4MQ&feature=related
Und wie artig der gute Baring zuhört!

http://www.youtube.com/watch?v=emh2UX6QB74&feature=related

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Präsident Gauck - der Prediger der verrohenden Mittelschicht.

Auch dieser Christ ist ein Krieger
Von Jutta Ditfurth



Mit Christian Wulff hat sich die politische Klasse eines lästig geworden kleinbürgerlichen korrupten Aufsteigers entledigt, während die viel größeren Geschäftemacher der Parteien weiter ungestört ihren Interessen nachgehen können.

Um die Peinlichkeit zu übertünchen, wurde nun Joachim Gauck, der Prediger für die verrohende Mittelschicht gerufen. Dass CDU/SPD/FDP und Grüne ihn gemeinsam aufstellen verrät uns, dass uns noch mehr Sozialstaatszerstörung, noch mehr Kriege und noch weniger Demokratie drohen. Einen wie ihn holt man, um den Leuten die Ohren vollzuquatschen.

Gaucks neoliberales Verständnis von Freiheit als Freiheit des Bourgeois, schließt soziale Menschenrechte aus. Von sozialer Gleichheit als Bedingung wirklicher Freiheit versteht er nichts. Mit der Agenda 2010 und ihren brutalen Folgen ist er sehr einverstanden, für die Betroffenen und ihre Proteste hat er stets nur Verachtung. Kritik am Kapitalismus findet Gauck lächerlich. Die Entscheidung zur Begrenzung der Laufzeit von AKWs gefühlsduselig.



Dem Krieg in Afghanistan hat Gauck die Treue gehalten, denn auch dieser Christ ist ein Krieger. In der Vertriebenfrage ist der künftige Bundespräsident ein Kumpan von Erika Steinbach und hat Probleme mit der polnischen Westgrenze. Was er von Demokratie und Humanismus hält, verrät er, indem er für die Verfassungsschutzüberwachung der Linkspartei eintritt und den Ideologen des Rassismus der Mitte, Thilo Sarrazin, "mutig" findet. Hat jemand je eine scharfe und überzeugende Kritik an Nazis von ihm gehört? Fremdenfeindlichkeit kann er verstehen, aber er schätzt es nicht, »wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird«.

Gauck ist ein Anhänger der Totalitarismusideologie, der Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus. Mit seiner Aufstellung als Kandidat bekennen sich CDU/SPD/Grüne und FDP zu dieser unerträglichen reaktionären Weltsicht. Der Kandidat und die vier ihn aufstellenden Parteien passen zu einander.

P.S.: Das Amt des Bundespräsidenten ist überflüssig, ein feudales Relikt für obrigkeitsgläubige Deutsche. (PK)

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