Mittwoch, 28. August 2013

GENIE UND GLÜCK - im neuen SPIEGEL

matttttt

Toll, was Matthias Matussek da wieder abgeliefert hat. Direkt aus diesen läppischen Krömer-Untiefen heraus in so ein Thema, so einen Text, einzusteigen und da durchzumarschieren mit einer Erzählfreude und Schlauheit, das man nur mit offnem Maul staunen kann - welche Edelfeder in Deutschland kann das noch?

Vielleicht gerade noch Nils Minkmar, aber der ist hier nicht so im Thema wie Matussek. Und wie sanft Matthias davon erzählt, wie Goethe die Tränen kamen, als er an einer Jagdhüttenwand seine eigenen Bleistiftspuren von "Über allen Gipfeln ..." wiederentdeckt - das ist doch einfach großartig.

Der Safranski (über dessen Goethebuch schreibt Matussek) müsste Matthias doch eigentlich die Füße waschen vor Dankbarkeit.

Und dann möchte man mal so einem Krömer über dem Artikel sehen. Unangreifbar. Eigentlich kann doch einer wie Matussek nebenbei machen was er will. Sogar jemanden wie Krömer vor laufenden Kameras niederstrecken von mir aus ...

Und ich habe nun schon wieder überhaupt keinen Bock mehr, überhaupt noch Irgendwas zu schreiben. Keine Zeile. Wie mag die Spiegel-Redaktion reagieren, wenn ihnen so etwas reinflattert?

Und diese urkomische Facebook-Absolution am Ende. ja, ich wäre für eine Sekunde fast wieder eingetreten, nur um wie Goethe an meinem "Ich" zu basteln via Social Media.

Große Verneigung Matthias!

Freitag, 23. August 2013

die-spd-setzt-auf-eine-tuer-zu-tuer-kampagne

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/die-spd-setzt-auf-eine-tuer-zu-tuer-kampagne-a-917729.html


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Donnerstag, 30. Mai 2013

DER GLEICHE SCHMUTZ, DER ALKOHOL, DIE GLEICHE OBSZÖNITÄT

VON RA HEINRICH SCHMITZ

Wo Ron Hard hinrotzt, da wächst kein Gras mehr - Nichts für zart besaitete Lyrikfreunde


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HardStoff! - ist ein 3-Monats Periodikum mit Poemen, Notizen und Stories aus Ron Hard's Welt in Heftform, Format A5. Die Texte sind in nostalgischer Schreibmaschinenschrift gesetzt.
Herausgeber: Acheron Verlag, Leipzig
ISBN:978-3-9810222-7-8
Die Erstausgabe ist soeben erschienen.

Buch Tipp

Das äußerlich an eine gut gemachte Schülerzeitung erinnernde Buch mit 58 Seiten – hält, was der Name verspricht.

Ron Hards Poeme, wie er seine Gedichte nennt, sind nichts für zart besaitete Lyrikfreunde, die gerne Gedichte über Frühlingsdüfte und Vögelein lesen, eher was für Freunde von Vögeleien.

Aber auch die sind mehr unfromme Wünsche, und da Ron Hard gnadenlos ehrlich mit sich und ein eventuelles Publikum ihm scheinbar scheissegal ist, wird’s dann doch oft wieder nur die einsame Onanie. Und das Ergebnis landet auf und in der Tastatur.

Neu im Buchhandel

Wer bei Hards Poemen nicht unwillkürlich an Charles Bukowski denkt, hat Bukowki nicht gelesen. Der gleiche Schmutz, der Alkohol, die gleiche Obszönität, die aus einer schonungslosen Ehrlichkeit mit sich selbst entsteht. Hier tut einer nicht nur so als hätte er den Blues, hier hat einer den Blues. Und die offenkundigen Depressionen schaffen eine kraftvolle Kunst mit eigenständigem Wert.

Klar weiß auch Ron Hard, dass Alkohol keine Lösung ist, aber wenn sowieso alles sinnlos ist, dann nützt diese Erkenntnis auch nicht viel. Es ist ein zwiespältiges Gefühl, dass einen ergreift, wenn man die tiefen Einblick in die finstere Seele des Autors erhält und dabei denkt, dass er wohl sich wohl auch eine Pistole in den Mund stecken und abdrücken würde, wenn er nicht schreiben würde. Andererseits tut er das ja und jedes Wort beschreibt seine Wahrheit.


"Vor der Hölle habe ich verdammt nochmal keine Angst. Ich lebe mitten drin." schrieb Ron Hard und da ist was dran. Machen wir uns nichts vor, wir machen uns ständig etwas vor. Ron Hard nicht.
Es mag sein, dass dabei die schönen Seiten der Existenz von ihm gelegentlich oder auch ständig übersehen werden, aber so ist das nun mal, wenn man den Blues hat, wenn sich die Sinn- und Hoffnungslosigkeit in jeder Zelle ausbreitet. Wer sich auf die Poeme einlässt, der hört die rauhe Stimme von Tom Waits, ohne er eine zerkratze LP auflegen müsste.

Hier ist nichts rein und digital gesäubert, hier ist es schmutzig, dreckig und dunkel. Nichts ist verlogen oder geglättet, auf Effekt oder Verkauf konzipiert. Hier lebt ein Gegenstück zur sinnentleerten Konsumgesellschaft, angeekelt von dieser und hoffnungslos besessen davon, das alles zu Papier zu bringen.
Das Buch ist kongenial illustriert mit Grafiken von André Krommer. Und auch die erinnern an einen anderen genialen Säufer, Horst Janssen.

In diesem Buch, dass eine Welt beschreibt, in der nichts stimmt, stimmt einfach alles.

Über den Autor

Ron Hard, geboren 1949 am Niederrhein, lebt seit 1963 in der Pfalz und seit 2010 in Bad Dürkheim, seiner „emotionalen Heimat“ seit Jahrzehnten. Offensichtlich auch sein Faible für Ludwigshafen (Die Stadt, die Rizzi vergessen hat zu malen …), wo Leo Sachs, der Protagonist aus vielen seiner Stories und Poemen, lebt.

Nach seiner Biografie gefragt, gibt Ron Hard einen Überriss, direkt und schnörkellos, ohne schmückenden Firlefanz, eben Ron Hard. Wer sie liest ahnt, dass er sich seine Poeme und Stories nicht aus den Fingern saugt:

Volksschule, Lehre als Dreher, dann wieder Schule, Leadsänger bei einer Rockband, Bundeswehr, Taxifahrer, Lagerarbeiter, Handelsvertreter für Bauelemente, Autoverkäufer, Kneipenwirt, Barkeeper, Türsteher, Fotograf, Baustoffhändler, Verkaufsleiter, Versicherungsvertreter, Ehemann, Vater, Opa, Ehebrecher, Immobilienverkäufer, Heizungsmonteur, Tontaubenschütze, Hobbypilot, Golfer, Vizepräsident eines Golfclubs, Seminarleiter, Verkaufstrainer, Unternehmer, Unternehmensberater,
Bankrotteur, Hartz IV-Empfänger, Dozent, Schriftsteller.

Er begann mit etwa dreizehn zu schreiben, meist für die Schublade.

„Nach meiner endgültigen Pleite 2008/2009 setzte ich mich dann endgültig auf den Arsch und schrieb mir die Seele frei. Aufhören werde ich erst wieder, wenn ich im Nirwana bin.“



Erstveröffentlichung hier:
http://www.freundederkuenste.de/aktuelles/reden-ist-silber/meinung/wo-ron-hard-hinrotzt-da-waechst-kein-gras-mehr-nichts-fuer-zart-besaitete-lyrikfreunde.html



VON RA HEINRICH SCHMITZ

Donnerstag, 25. April 2013

Erhoben, erniedrigt, missbraucht


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Der gefallene Christian Wulff wird zum Feigenblatt einer verlogenen Kaste der Unberührbaren. Versammelt im Olymp, kurz unter Gott: unser Parlament, unsere Regierung. Und aus diesem abgehoben, fetten, satten Himmelreich der Betrügereien, der per Gesetz immer wieder neu legitimierten Abzocke, senden sie uns den Unbedarftesten von allen als Bauernopfer. Ja, liebes Volk, nehmt diesen hier, den Bösen, den Liderlichen, den Bestechlichen, den Wulff.
Aber welcher Schaden ist an uns entstanden, der nun gegen eine Summe von 20.Tsd. Euro hätte beglichen werden können, wo allein die Gerichts- und sogenannten Ermittlungskosten ein Vielfaches dem Volk in Rechnung stellen?


Man nennt es „Korruptionsermittlung“. Wullf soll also korrupt gewesen sein. Was aber, wenn eben diese Eigenschaft schon Bedingung für die politische Karriere, für den Aufstieg hinauf ans himmlische Buffet gewesen wäre? Teller weg, Finger weg, Frau weg, Ehre weg. Nur letzteres wahrscheinlich kein großer Verlust. Denn wo nichts ist, wo nichts war, kann auch nicht verloren gehen. Ehrenbegradigung.

Hotel, München, Filmproduzentenfreund, Werbung, Siemens – letztlich alles wurscht. Nachdem der Zug über Wulff hinweggerollt war, war auch das Verfahren, der gesamte Prozess nutzlos geworden. Der Hannover-Mohr hatte seine Schuldigkeit getan, er kann gehen. Der Vorwurf, die Anschuldigung, ihren Hauptwirkmoment in dem Moment verloren, als der Mann aus dem Schloss auf die Straße gestoßen wurde. Das kennt man. Das ist im Volksgedächtnis hängengeblieben: Abdankung und Vertreibung nach Holland. Kaiser Wilhelm und Konsorten. Nun Bundespräsidentenkaiserchen Wulff.

Seine Anwälte weigern sich aktuell die hingereichte offene, 20 Tsd. Euro verlangende öffentliche Hand anzunehmen. Das könnte als öffentliches Schuldeingeständnis verstanden werden. Ja um Himmelswillen, wer ist im öffentlichen Verständnis schuldiger als Wulff? Das Bauernopfer wurde ja erst von der BILD und dann von ihren Lesern dankbar angenommen. Gut, die Sache mit der Behauptung, Neu-Gattin Wulff sei eine Prostituierte war dann selbst den grobgestricktesten Mitbürgern eine Drehung zu viel in der Münchhausen-Spirale. Aber auch die Lancierung dieser Unwahrheit zeigt doch eindrucksvoll als Indiz, wie verkommen und verstrickt jene bereits sind, die Wulff auf dem wackeligen Karren zum Schafott geschoben haben.


http://www.ndr.de/regional/niedersachsen/wulff895_v-contentgross.jpg

Wenn der Staat und seine Richter es wagen, das „noli me tangere“ mit allen rechtsstaatlichen Mitteln vorzuführen, vorzuverurteilen und aus dem Amt zu jagen, dann muss ja alles im Ordnung sein in diesem Staat. Wulff ist das Feigenblatt der wirklich Korrupten. Eine mediale Nebelkerze die unseren Blick auf das Wesentliche verschleiern sollte. Das Gegenteil ist der Fall.

Sagen wir es mal maximal vulgär im Straßen-Rapper-Style: Politik ist Votze. Berlin ist Vooootze! Und nun? Wer würde protestieren, wer sich umdrehen und mit dem Finger auf den Stinket im Kapuzenpullover zeigen? Niemand, denn die Annahme „Politik sei Votze“, beleidigt zunächst einmal nur das weibliche Geschlecht und erst viel viel später die Damen und Herren in ihren Dunkellimousinen, die dem Kapital den Weg ebnen mitten hinein ins Portmonnaie derer, die noch die Schaufel schwingen, um ihren Familien die Margerine aufs Heidebrot zu schmatzen. Offenbarungseid. Zeigt diese Gesamthaltung rund um dieses schäbige Bauernopfer Wulff doch vor allem eines: Uns hier oben ist alles scheißegal. Wir spucken auf Euch, wir spucken auf Deutschland, wir spucken auf alles, was Euch wertvoll sein könnte oder noch wertvoll ist.

„Fuck you Deutschland! Fuck off Europa!“ ist zuallererst im Parlament zu Hause, das ist die größte Tragödie. Noch der unangenehmste Migrantenschläger oder White-Trash-Brutalo hat mehr Herz als diese Räuberbande. Schon aus der Erkenntnis heraus, dass er in seinem Dunstkreis nur minimal Schaden anrichten kann.

Was der Fall Wulff erzählt hat und nach wie vor erzählen kann, kommt einer bedingungslosen Kapitulation gleich. Wenn ihr uns die höchste Marionette des Kapitals zum Fraß vorwerft, was Bitte schön sind wir Euch dann noch wert? Wir sollen das fressen? Also scheißt Ihr auf uns. Ihr scheißt auf Deutschland. Höchste Zeit also, das wir mal lernen, auf Menschen wie Euch zu scheißen.

http://www.youtube.com/watch?v=k25wI_TiYuU

Donnerstag, 28. März 2013

Der Öffentlichkeitsgrundsatz und der NSU-Prozess - von RA Heinrich Schmitz

- von RA Heinrich Schmitz


Kein Vertreter der türkischen Presse ist beim sogenannten NSU-Verfahren akkreditiert ? Skandal ? Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ? Nun ja. Die türkische Presse hat furchtbar gepennt. Um diese Feststellung kommt man erst mal nicht herum.


Natürlich sind Hauptverhandlungen in Strafsachen öffentlich.


§ 169 GVG(Gesetz)Öffentlichkeit

1.Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse ist öffentlich.

2.Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts sind unzulässig.

Der Grundsatz der Öffentlichkeit ist ein elementarer Grundsatz unseres Strafrechtssystems, seine Verletzung ein absoluter Revisionsgrund:
§ 338 StPO(Gesetz)Aufzählung der absoluten Revisionsgründe

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, ....

6. wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind; ....

Soweit so gut.

Das bedeutet nun aber nicht, dass jedermann jederzeit an jedem Verfahren als Zuschauer teilnehmen müsste. Und es bedeutet auch nicht, dass jedes Presseorgan auf der Welt in jedem deutschen Gerichtssaal einen reservierten Platz bekommen müsste. Angesichts der Vielzahl von in- und ausländischen Pressevertretern müssten ansonsten statt Gerichtssälen Gerichtsstadien errichtet werden. Und irgendwann wären auch die überfüllt.

Bei den meisten Gerichtsverfahren hält sich das Interesse der Öffentlichkeit und der Presse auch in bescheidenen Grenzen. Nur wenn es um prominente Angeklagte oder um besonders abscheuliche Taten oder beides geht, besteht die Gefahr, dass die Hütte voll wird.

Ob aber so ein Verfahren vorliegt, weiß ein Gericht allerdings bereits spätestens bei Eingang der Anklageschrift. Im Fall Zschäpe war das schon angesichts der Vielzahl der ermordeten Opfer und der offensichtlichen Fehlleistungen im Ermittlungsverfahren klar. Dann muss das Gericht sich ernsthafte Gedanken machen, wie dem öffentlichen Interesse angemessener Raum eingeräumt werden kann. Und Raum ist hier auch ganz wörtlich zu nehmen.

Ein Verfahren mit internationalem Interesse und einer Vielzahl von Nebenklägern und deren Anwälten muss in einer Räumlichkeit stattfinden, die groß genug ist um den berechtigten Interessen aller Beteilgten und auch der Öffentlichkeit zu genügen.

Aber selbst der größte verfügbare Riesenraum würde bei einem Verfahren wie dem Verfahren gegen die Angeklagte Beate Zschäpe wohl niemals genügen um allen Interessenten Platz zu bieten. Dass der Gerichtssaal in München mit Plätzen für lediglich 50 Pressevertreter dafür viel zu klein sein dürfte, wird der Verteidigung möglicherweise noch Munition für ein Revisionsverfahren liefern, falls es überhaupt zu einer Verurteilung kommt.

Unterstellt man einmal, die Wahl dieses Saals sei eine nicht revisible Entscheidung des Gerichtes, dann kommt es darauf an, ob das Gericht den Verteilung des Platzmangels nach objektiven Kriterien vorgenommen hat. Das wäre nämlich erforderlich. Was nicht geht, ist eine Differenzierung zum Beispiel nach vermeintlicher Qualität der Medien. Das wäre ein subjektives Kriterium, kein objektives. Presse ist Presse.

- von RA Heinrich Schmitz

Donnerstag, 14. März 2013

Buona notte!

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„Buona sera!“, der italienische Abendgruß, der Deutschen aus der Pizzeria um die Ecke so vertraut ist, soll nun, gesprochen vom nigelnagelneuen Papst, Stichwortgeber sein für eine neue Menschennähe, für Modernität und Wandel. Na gut, in Gottesnamen. Aber nun sollten wir auf dieses herzliche „Guten Abend“ auch die katholische Nacht folgen lassen. Nach „B16“, wie deutsche Katholiken den Namen ihres gewesenen Papst so typisch deutsch verwalten, nach seinem Rücktritt, nach gefühlten Hunderten von Artikeln, Tausenden von Nachrufen und Millionen weinerlichen Kommentaren, Euch allen, ihr lieben Katholikenmenschen, ein herzliches, aber bestimmendes „Buona notte!“, der nächste Morgen kommt bestimmt. Euch geht die Sonne ja niemals unter. Aber nun bitte nichts Neues mehr für dieses Jahr. Basta!



Also, viel Spaß, Franziskus im Vatikan und allen anderen, die nun den Fernseher ausgeschaltet haben: Willkommen zurück in dieser schönen weltlichen Welt. Oder wie es der Kommentator der TAZ, Deniz Yücel in seinem aktuellen Beitrag treffsicher zusammenfasst: Die Katholiken „müssen es hinnehmen, dass nicht sie die Gesetze des gesellschaftlichen Zusammenlebens bestimmen, sondern der weltliche politische Souverän.“



Also Pupazzo und Performance auf dem Petersplatz. Für die positiven Geschicke der Welt ist dieses heilige Kasperltheater ohne Gretel und die Großmutter bedeutungslos. Denn was sagt das, wenn jemand vom netten Wesen des Neuen spricht, von seiner Menschlichkeit, von seiner Einfachheit? Nichts. Das ist sogar Anti-Kirche, weil es eine Normalität zu etwas Besonderem macht und so alles davor automatisch dämonisiert.


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Leben im katholischen Paralleluniversum. So wenig, wie man von Feminismus und Gleichberechtigung sprechen kann, wenn das männliche Oberhaupt einer muslimischen Familie seine Frau mal alleine auf den Wochenmarkt gehenlässt, so wenig Bedeutung hat es, wenn ein neuer Papst im Verhältnis zu seinen Vorgängern so etwas wie Mäßigung durchblicken lässt. Es hat für die Geschicke der realen Welt einfach keine hinreichende Bedeutung. Das sehen übrigens auch viele der 1,2 Milliarden eingetragenen oder hineingeborenen Katholiken nicht anders.



Matthias Matussek schreibt auf Spiegel-Online noch über Franziskus-Vorgänger B16: „In der Generalaudienz vom 23. Januar sprach Benedikt vom Glauben, der "uns zu Trägern von Werten" mache, "die oft nicht mit der Mode und Meinung des Augenblicks übereinstimmen." Worte des Widerstands.“



Nein, lieber Matthias, das sind keine Worte des Widerstandes. Das beleidigt die, die wirklich Widerstand geleistet haben. Denn so etwas wie eine Résistance im Katholischen gibt es nicht, schon gar keine Renaissance. Nein, das ist ganz einfach nur eine weitere von vielen katholischen Unverschämtheiten. Das gesellschaftliche Leben mit all seinen Farben und Facetten in ihrer ganzen Schönheit und Lebensfreude, vielfach schon befreit von den menschenverachtenden Unterdrückungsmechanismen diktatorischer und religiöser Eiferer, war/ist also für den 266sten Papst B16 nichts weiter als „Mode und Meinung des Augenblicks“, zu vernachlässigen. Weltlich halt.



Seien wir ehrlich, wer so mächtig erscheint, wer so mächtig war, wer so lange schon wirkt, aber so beschämend wenig erreicht hat und so beschämend viel Freude unterdrückt hat, wie die Kirche, dem ist auch nicht zu helfen, wenn sie nun ein Südamerikaner regiert. Im Gegenteil, es wird der modernen Befreiungsbewegung "am Ende der Welt" erheblichen Schaden zufügen.


http://katholisch-informiert.ch/wp-content/uploads/2010/09/lebensfreude.jpg


Klar, Hugo Chavez war religiös. Aber so religiös nun auch wieder nicht, dass er die realen Sorgen der Menschen nur für eine „Mode und Meinung des Augenblicks“ hielt. Nicht die Jahrhunderte andauernde Arbeit und Beglückung der vielen Bergoglios hat den Durchbruch für die Menschen in Südamerika gebracht, sondern zum Beispiel Chávez’ Politik als eine der durchgreifendsten und überraschendsten neuzeitlichen politischen Umwälzungen im heutigen Lateinamerika. Die Hoffnungsträger, die wahren Franziskaner für die Ärmsten in Südamerika, sind mutige Männer wie Correa und Morales. Denen gilt unser glockenhelles Buon giorno!

Mittwoch, 27. Februar 2013

Carla Berlings " Vom Kämpfen und vom Schreiben" - von RA Heinrich


http://www.carla-berling.de/wp-content/uploads/2012/09/cimg4439.jpg

Eine Frau schreibt um ihr Leben -
von RA Heinrich Schmitz


Wäre Carla Berling im Jahre 1994 mit einem Beratungshilfeschein bei mir aufgelaufen und hätte mir erzählt, sie werde einen Bestseller schreiben, hätte ich ihr vermutlich geraten sich eine "anständige" Arbeit zu suchen, sich um ihre Kinder zu kümmern und ihre Phantasien von der
Schriftstellerei unter unerfüllbare Träume abzuhaken.

Hätte es damals schon die Verbraucherinsolvenz gegeben, ich hätte sie ihr empfohlen. Aber die kam erst 1999. Der Mann arbeitslos, kein Geld um die Heizung zu bezahlen, Heizen mit dem Backofen, kleine Kinder, die was zu essen brauchen - und diese Frau will ein Buch schreiben ? "Sie sind doch irre." Hätte ich wohl gesagt.

Was für eine idiotische Idee, die wirtschaftliche Not, in die sie und ihre Familie gerade durch den fatalen Ausflug ins Versicherungsgewerbe, in einem Strukturvertrieb - grandios dargestellt in dem Roman "Die Rattenfänger" - geraten war, durch eine Karriere als Schriftstellerin zu lindern. Völlig bekloppt. Hätte ich wohl gesagt. Von so was kann doch nur eine Hand voll Leute leben.

Nun ja, glücklicherweise ist sie damals nicht bei mir gewesen und hat ihren Traum einfach wahr gemacht. Dass dieses "einfach" alles andere als
einfach "einfach" war, kann man in der erweiterten Neuauflage von "Vom Kämpfen und vom Schreiben"
http://www.carla-berling.de/?page_id=1115

miterleben - nicht nur lesen. Der Leser wird in dieses irre Leben einer Frau, die ihr Ziel gegen alle Regeln der Vernunft verfolgt, schon mit den ersten Sätzen hinein gesogen. Er sitzt mit im kalten Zimmer und hofft und bangt, ist enttäuscht, freut sich, ist entsetzt, freut sich, usw.

Vom Erwerb der ersten Schreibmaschine, die gleich den ersten Tränen auslösenden Rückschlag mit sich bringt, weil ihr der am meisten benutze Buchstabe, das "e", fehlt, über die Zeit in einer Lokalredaktion, zu einem ersten Sachbuch, TV-Auftritten, die zwar bekannt aber sonst nichts
machen, Lesungen, Druckzuschussverlagen, Stress mit dem Sozialamt, Recherchen in der Sado-Maso-Szene, Enttäuschungen mit Verlegern,
vermeintlichen Freundinnen, persönlichen Niederlagen, Scheidung, Krankheiten körperlicher und psychischer Art, Therapie, dem Tod des
früheren Ehemanns,Lebensfreundes und Vaters ihrer Kinder, Hinfallen, Aufstehen, Guerillamarketing, kleine Erfolge, große Enttäuschungen,
große Hoffnungen, großer Kampf - Carla Berling schont weder sich noch den Leser, sie legt die Karten auf den Tisch. Ohne Wenn und Aber.

Das ist kein Lehrbuch für angehende Schriftsteller. Jedenfalls keines, dass einem beim Schreiben hilft. Aber es ist ein Buch, dass die Vorstellung vom Alltag einer Schriftstellerin aus rosaroten Wohlstandsträumen auf den Boden der bitteren Realität holt und damit manchen Möchtegernschriftsteller davor bewahrt im finanziellen und emotionalen Elend zu landen. Es sei denn, er ist genauso süchtig nach Schreiben wie die Autorin.


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"Vom Kämpfen und vom Schreiben" gibt es schon länger. Warum also eine Rezension ?

Wer die Vorauflage bei einem anderen Verlag bereits gelesen hat, wird vielleicht sagen, ja, schön, kenne ich schon, muss ich nicht nochmal
haben. Falsch. Die jetzt im VAT Verlag erschienene Neuauflage lohnt eine erneute Lektüre. Carla Berling hat "Vom Kämpfen und vom Schreiben" nicht nur überarbeitet, sondern auch konsequent fortgeschrieben. Auch ihr Schicksal und das des Buches "Die Rattenfänger" nach der Vorauflage ist Thema der Neuauflage und auch das ist irgendwie verrückt.


Der VAT Verlag André Thiele
http://www.vat-mainz.de/buecher/belletristik/berling-vom-kaempfen.php
hat sich sehr viel Mühe gemacht. Das Buch ist nicht nur inhaltlich, sondern auch optisch und haptisch ein Erlebnis. Hardcover mit Schutzumschlag inklusive downloadcode für ein e-book.

Diese Schriftstellerbiographie sollte mit jeder Auflage ein weiteres Kapitel bekommen, damit der Leser sieht, ob Carla Berling sich ihren Traum am Ende erfüllen konnte. Sie ist auf einem guten Weg. Ihre Bücher sind es wert gekauft und gelesen zu werden. Und ja - irgendwo ist Carla Berling eine Irre.

von RA Heinrich Schmitz

Samstag, 23. Februar 2013

Zweifeln für den Angeklagten - von RA Heinrich Schmitz


http://2.bp.blogspot.com/_UhuR1wYYZ3s/S6NSb_9tHqI/AAAAAAAACG8/dKhaOQkAkxk/s400/schwur.jpg

von RA Heinrich Schmitz

In einem Interview mit der "Kölnischen Rundschau" im letzten Jahr habe ich folgenden Satz gesagt:

"Für das Richteramt fehlte mir der dafür notwendige Glaube, dass man die Wahrheit erkennen könne."

Ein Satz, der mir, obwohl er nur als Erklärung dafür gegeben wurde, warum ich mich schon lange vor dem zweiten Staatsexamen für eine
Verteidiger- und gegen eine Richterlaufbahn entschieden hatte, einige Kritik von Richtern einbrachte, der aber trotzdem richtig war.

Mein Ding ist der Zweifel, nicht die Gewissheit. Und ich verrate Ihnen auch warum.

Die Strafprozessordnung erweckt in § 244 Abs. 2 StPO zunächst tatsächlich den Eindruck, die Wahrheit ließe sich ermitteln:

/"Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für
die Entscheidung von Bedeutung sind."/

Das Gesetz definiert selbst aber nicht, was diese Wahrheit denn nun sein soll, deren Erforschung es dem armen Richter auferlegt. Selbst Richter
sehen ein, dass in der Hauptverhandlung eines Strafverfahrens nicht die "reine" Wahrheit, also eine objektive Wahrheit, ermittelt werden kann.
Deshalb müssen sie sich wohl oder übel mit deren kleinen, hässlichen Schwester, der sogenannten "prozessualen Wahrheit" begnügen.

Das macht insofern auch Sinn, als ein Strafverfahren keine philosophische Veranstaltung ist, sondern einem durch die Anklage klar
definierten Ziel dient, herauszufinden, ob die Straftat, die dem Angeklagten vorgeworfen wird, tatsächlich stattgefunden hat. Das klingt
ja schon mal einfacher als die Suche nach der reinen Wahrheit - ist es aber auch nicht.

Eine geradezu philosophische Bewertung der Problematik hatte bereits das Reichsgericht - wenn auch in einer Zivilsache - zum besten gegeben, als es erkannte,

»Vermöge der Beschränkung der Mittel menschlichen Erkennens kann niemand (selbst im Falle eigener unmittelbarer Anschauung eines Vorganges) zu
einem absolut sicheren Wissen von der Existenz eines Tatbestandes gelangen. Abstrakte Möglichkeiten der Nichtexistenz sind immer denkbar.

Wer die Schranken des menschlichen Erkennens erfasst hat, wird nie annehmen, dass er in dem Sinne zweifellos von der Existenz eines
Vorganges überzeugt sein dürfe, dass ein Irrtum absolut ausgeschlossen wäre.« (RGZ 15, 338 (339))

Ein Satz, den man am besten vor jedem Prozesstag laut vorlesen sollte, um die entscheidenden Menschen an die Fehlbarkeit des Erkennens zu
erinnern. Nur so, sicherheitshalber.

Es gibt nicht nur Ärzte, die als "Halbgötter in Weiß" glauben, immer alles richtig zu machen, es gibt leider auch die schwarzen Päpste, die
allen ernstes meinen, unfehlbare Überzeugungen zu haben.

Da das Ziel des Strafverfahrens , die Entscheidung über Schuld oder Unschuld des Angeklagten, also nicht über eine objektive Erkenntnis führen kann, muss das Gericht sich mit Hilfe der zulässigen Beweismittel auf einen steinigen Weg machen, die Grundlagen für seine Entscheidung aus der Hauptverhandlung zu erarbeiten - oder sollte man doch besser sagen zu gewinnen ?

Die Beweismittel, also das, was die Staatsanwaltschaft so zusammengetragen hat , um die Anklage zu einer Verurteilung werden zu
lassen, sind der Dreh- und Angelpunkt der Hauptverhandlung. Leider sind auch diese selbst mit diversen zwangsläufigen Fehlerquellen behaftet.

Da gibt es einmal die Fehlerquellen im Beweismittel selbst und dann die Fehlerquellen bei der richterlichen Bewertung dieser Beweismittel.

Die größte Fehlerquelle ist dabei natürlich wie immer der Mensch als Zeuge.

So ein Zeuge, also jemand der eine eigene Wahrnehmung "bekunden" soll, um dem Gericht zu einer richtigen Entscheidung zu verhelfen, wird vor seiner Aussage erst einmal belehrt. In § 57 StPO steht drin, was Inhalt dieser Belehrung sein muss:

"Vor der Vernehmung werden die Zeugen zur Wahrheit ermahnt und über die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen Aussage belehrt. Auf die Möglichkeit der Vereidigung werden sie hingewiesen. Im Fall der Vereidigung sind sie über die Bedeutung des Eides und darüber zu belehren, dass der Eid mit oder ohne religiöse Beteuerung geleistet
werden kann. "


http://www.ag-luedinghausen.nrw.de/service/zeugen/Zeugenvernehmung.jpg

Naja, das mit der Wahrheit kennen wir ja nun schon, die kennt der Zeuge sowenig wie sonst jemand, er soll halt nur nicht lügen, nichts weglassen und nichts hinzufügen.

Name ,Vorname und Alter dürfte in den meisten Fällen halbwegs unproblematisch sein, obwohl viele Zeugen da manchmal plötzlich ins
Rechnen kommen oder manche Damen verschämt fragen, ob sie die Frage nach dem Alter wirklich beantworten müssen. Diese Fragen dienen aber auch
mehr der Identifikation des Zeugen, als der Rekonstruktion dessen, was denn so passiert sein soll. Die Fragen nach einer verwandtschaftlichen
Beziehung zum Angeklagten dient der Feststellung von eventuellen Zeugnisverweigerungsrechten des Zeugen über die dieser ebenfalls zu belehren ist.

Und dann geht es los. Der Zeuge soll dem Gericht nach Möglichkeit zunächst einmal eine
zusammenhängende Schilderung dessen geben, was er
selbst wahrgenommen hat.

Das scheitert oft aus den unterschiedlichsten Gründen. Es gab z.B. einmal einen Amtsrichter, der die Aussage der Zeugen dadurch in einen
Zusammenhang brachte, dass er ihnen nach der Belehrung erzählte, was sie seiner Meinung nach so wahrgenommen hatten, und dann am Ende seines
zusammenhängenden Vortrags lediglich sagte, " das war doch so, oder ?" - meistens wurde das dann bestätigt. Die Zeugen freuten sich, so eine
schöne, schlüssige , zusammenhängende Aussage gemacht zu haben.

Es gibt auch Zeugen, die noch nie im Leben irgendetwas im Zusammenhang frei erzählt haben und sich in der Schule schon nicht trauten
aufzuzeigen oder mal ein Referat zu halten. Manche Zeugen schlottern geradezu vor Angst oder Aufregung und sind dankbar dafür, dass ihnen
jemand die Worte in den Mund legt, welche ist dann auch schon völlig egal, Hauptsache sie sind schnell wieder raus aus dem Gerichtssaal.

Bei Hauptverhandlungen ohne Verteidiger ist das hoch problematisch, weil natürlich durch eine derartig "angeleitete" Aussage recht
stromlinienförmig zum Urteil führt. Ist ein Verteidiger eingebunden, dessen offizielles Fragerecht erst nach dem Richter und dem Staatsanwalt beginnt, können manche dieser "Aussagen" immerhin wieder korrigiert
werden.

Mancher Zeuge traut sich dann aber einfach auch nicht einzugestehen, dass er vorher bullshit erzählt hat. Zeugen möchten, wie jeder andere auch, erst mal gut dastehen und viele wollen auch die vermeintlichen Erwartungen des Gerichts bedienen. Das bedeutet gar nicht, dass sie bewusst lügen.

Aber auch das gibt es reichlich. Die meisten Menschen sind, was ihre eigenen Wahrnehmungen angeht, gar nicht in der Lage zu differenzieren, was sie wirklich selbst wahrgenommen haben und was Rückschlüsse oder Bewertungen sind.

Das menschliche Gehirn hat die im Alltag ganz praktische Angewohnheit, wahrgenommene Sachverhalte logisch zu ergänzen. Der Stürmer fällt, also muss er wohl gefoult worden sein, und wenn es der Stürmer der eigenen Mannschaft ist, schreit man Foul, Elfmeter, auch wenn man das Foul jedenfalls mit seinen Augen gar nicht sehen konnte.

Sie glauben gar nicht, wie oft bei einer konkreten Nachfrage die Antwort kommt, " also,
wenn Sie jetzt so ( ein Zeuge ergänzte "brutal" ) nachfragen, nein, gesehen habe ich das nicht, aber dass muss ja so gewesen sein". Muss es
natürlich nicht.

Hinzu kommt, dass eine Hauptverhandlung häufig erst sehr lange nach einem Vorfall stattfindet. Wissen sie noch genau, was sie vor einem oder
zwei Jahren gesehen oder gehört haben ? Wenn Sie jetzt ja sagen, möchte ich Sie zur Vorsicht anhalten. Auch hier spielt uns unser Gehirn manchen Streich, indem es Erinnerungslücken mit einer autofill-Funktion selbsttätig schließt.

Erinnern ist kein Abrufen von Daten, die auf irgendeiner Hirnfestplatte gespeichert sind, es ist jedes mal ein aktiver, kreativer Vorgang, bei
dem das Gehirn aus verschiedenen Teilerinnerungen einen neuen Film zusammenstellt. Deshalb sind Jäger- und Anglerlatein - außer bei den
bekannten Aufschneidern - selten bewusste Lügen, sondern subjektiv wahrheitsgemäße Aussagen über eine Jagdbeute, die halt in der Erinnerung immer weiter wächst.


http://www.n24.de/media/import/dpaserviceline/dpaserviceline_20090310_17/Gerichtshammer_20599558originallarge-4-3-800-0-0-400-300.jpg

Das Gehirn selektiert schon bei der Wahrnehmung und es selektiert bei dem was behaltenswert erscheint. Die imaginäre - und eigentlich gar
nicht vorhandene - Festplatte im Gehirn wird sozusagen zuverlässig von temporären Dateien befreit. Es nützt auch nichts, wenn manche Richter die Zeugen dazu auffordern, ihre Erinnerung gehörig anzustrengen, es schadet sogar.

Der Zeuge, der gerade noch wahrheitsgemäß gesagt hat, "weiss ich nich'", steht plötzlich unter einem massiven Erwartungsdruck. Sein Gehirn, dass schließlich für ihn arbeitet und nicht für die Justiz, löst dieses Problem pragmatisch, indem es ihm flink eine Erinnerung liefert, die ihm gerade angemessen erscheint.

Am Ende steht dann so oder so eine Zeugenaussage, deren Beweiswert der Richter zu beurteilen hat. Richtig spannend wird es natürlich, wenn
mehrere Zeugen ihre Aussagen machen und jeder etwas anderes erzählt. Das ist weder selten noch verwunderlich, weil eben jeder Mensch seine sehr
unterschiedliche Wahrnehmung und auch sehr unterschiedliche Erinnerungen hat.

Es kommt eben immer auf die Perspektive an. Zeugen, die den Angeklagten liebend gerne im Knast sehen wollen, nehmen geradezu zwangsläufig diesem negative Dinge wahr, Zeugen, die dem Angeklagten nahestehen, haben manches Negative entweder gar nicht wahrgenommen oder
in ihrer Erinnerung ausgeblendet. Oder beide Gruppen von Zeugen lügen, dass sich die Balken biegen. That's life.

Und jetzt muss der Richter oder auch mehrere sich eine Überzeugung bilden. Nur weil sich die Zeugenaussagen widersprechen, muss er die Flinte noch nicht ins Korn werfen.

Erst einmal macht er sich Gedanken über die Glaubwürdigkeit der einzelnen Zeugen, wobei Zufallszeugen, die in keinerlei Beziehung zum
Angeklagten oder zum eventuellen Opfer, grundsätzlich als neutral und deshalb besonders glaubwürdig angesehen werden. Kann stimmen , muss aber nicht.

Auch Polizeibeamte genießen einen gewissen Glaubwürdigkeitsvorschuss. Die Frage, warum sollte der Polizeibeamte denn etwas Falsches sagen, beantworte ich gerne mit der Gegenfrage, warum denn nicht ? Selbst wenn es keinen konkreten Hinweis darauf gibt, bedeutet das ja nicht, dass es nicht so ist.

Und dass ein Polizist als Zeuge ja gar kein Interesse an der Verurteilung eines Angeklagten hat, kann man so auch nicht sagen. Ich hatte vor kurzem einen Polizeibeamten als Zeugen, der sich seit Jahren in den Kopf gesetzt hatte, der Angeklagte sei ein Brandstifter und der bei fast jedem Brand in einer bestimmten Ortschaft gegen Angeklagten ermittelte, und zwar nur gegen Angeklagten.

Auf meine Frage, wie er denn darauf komme, dass mein Mandant ein Brandstifter sei, kam die für einen Polizisten erstaunliche Antwort, "das weiß doch jeder!". Auf Nachfrage, wer denn jeder sei, ob er mir ein paar Namen dieses "Jedermanns" nennen könne, musste er dann einräumen, jeder sei er.

Dass dieser Zeuge, der ausweislich der Aussagen von Kollegen seine Meinung auch über den Flurfunk gestreut hatte, kaum als besonders glaubwürdig anzusehen war, liegt auf der Hand. Bei der ersten Vernehmung des Angeklagten hatte dieser Zeuge dem Angeklagten schon gesagt - und glücklicherweise
protokolliert - "Ihnen glaubt hier niemand".

Meine Frage, wer dieser Niemand denn sei, antwortete er in erfrischender Einfalt, " Ich bin
Niemand", was ich ihm gerne bestätigt habe. Solche Zeugen kennt jeder Verteidiger, nicht immer kommt man ihnen so leicht auf die Schliche.

Der Richter "sortiert" sich also die Zeugen nach Glaubwürdigkeit und guckt dann mal , was so übrig bleibt. Die Kriterien sind kaum überprüfbar, die Begründungen für und wider die Glaubwürdigkeit
austauschbar. Da die Beurteilung von
Beweismitteln laut Rechtsprechung die "ureigenste Aufgabe" des Richters ist, gesteht sich auch selten mal ein Richter ein, dass es vielleicht hilfreich sein könnte, ein aussagepsychologisches Gutachten einzuholen.

Schade eigentlich, obwohl auch diese Gutachten natürlich keine Gewissheit bringen, aber manchmal
wenigstens ein paar bedenkenswerte Argumente.

Dass das ganze noch spekulativer wird, wenn die Zeugen gar keine unmittelbaren Tatzeugen, sondern nur Puzzleteile in einem Indizienprozess sind, versteht sich von selbst. Da gibt es dann oft
Indizienketten, die an keinem Hals hängen blieben, wenn sie Perlenketten wären.


http://www.merkur-online.de/bilder/2011/09/15/1405725/683617283-christian_klar_dapd-3V09.jpg

Ja,werden Sie als aufmerksamer Prozessbeobachter anmerken, es gibt aber doch den Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten". Ja , gibt es.
Dummerweise setzt der aber voraus, dass der Richter überhaupt Zweifel hat. Und dann reichen nicht nur "theoretische" Zweifel, sondern es
müssen "vernünftige" Zweifel sein. Oft genug wird dann ein Zweifel auf den Vornamen "Theoretisch" getauft, was ist schon vernünftig und was
nicht ? Und wenn ein Richter unbedingt gerne verurteilen möchte, hat er noch ein ganz tolles Argument gegen aufkommende Zweifel - die
"allgemeine Lebenserfahrung".

Wessen Lebenserfahrung das genau sein soll, erfährt man zwar selten, aber so oft man diesen Begriff hört und liest, muss es sie wohl geben. Der Klassiker "Alle Türken lügen vor Gericht" wurde allerdings vom OLG Karlsruhe bereits 1979 als Erfahrungssatz ebenso kassiert, wie vom OLG Köln 1975 die allgemeine Lebenserfahrung, wonach Polizisten niemandem in Gegenwart von anderen an
den Haaren ziehen. Solche an den Haaren herbeigezogenen "allgemeinen Lebenserfahrungen" wollten Richter tatsächlich erkannt haben.

An die "freie" Beweiswürdigung eines Gerichtes kommt man in der Revision nur dann ran, wenn sie logische Fehler, also Verstöße gegen Denkgesetze
oder Zirkelschlüsse oder ähnliche Schnitzer - wie bei den "allgemeinen Lebenserfahrungen" - enthält. Das kommt dann doch seltener vor, aber es kommt vor.

Andere Beweismittel, die den Eindruck von naturwissenschaftlicher Präzision erwecken, sind leider auch nicht immer viel besser. Klar ist es ein Indiz, wenn an der Tatwaffe DNA-Spuren des Angeklagten gefunden wird, es ist aber kein Beweis für die Täterschaft. Eine Spur beweist
immer nur eine Spur, nicht mehr.

Wird am Tatort ein Haar des Angeklagten gefunden, dann bedeutet das nicht, dass der Angeklagte am Tatort war, sondern nur, dass ein Haar von ihm an den Tatort gelangt ist. Das kann auch schon wochenlang da rum liegen oder vom Opfer dorthin getragen worden sein, unter dem Schuh zum Beispiel oder der wirkliche Täter hat es bewusst dort platziert um eine falsche Spur zu legen. Dass keine Spur einer anderen Person am Tatort gefunden wurde, bedeutet eben nicht, dass
keine andere Person am Tatort war, sondern nur, dass keine andere Spur gefunden wurde, sei es weil keine Spur da war, sei es weil die
Spurensicherung sie nicht gefunden hat, sei es, dass gar nicht gründlich gesucht wurde.

Ein Fingerabdruck an einem Messer sagt nichts darüber aus, wann er auf das Messer gekommen ist oder wo. Vielleicht hat der Verdächtige sich damit auch nur ein Stück Salami abgeschnitten bevor der Täter das Messer dann mit Handschuhen zum Mord benutzt hat.

Spurenlesen konnte Winnetou, aber den gab es ja nicht wirklich. Manche Spur führt zur Verurteilung nur, weil dem Gericht die Phantasie für eine alternative Erklärung fehlt oder weil die alternative Erklärung der Verteidigung als "lebensfremd" - das ist der Bruder der "allgemeinen Lebenserfahrung" - verworfen wird.


Der Richter muss sich eine Überzeugung bilden, so oder so. Ich muss das nicht, ich muss nur zweifeln für den Angeklagten, nach Alternativen
suchen, kreativ, nicht unbedingt im Dienste der "Wahrheit", aber im Dienste der Gerechtigkeit.

von RA Heinrich Schmitz

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