Donnerstag, 6. September 2012

FAN ODER NICHT FAN, DAS IST HIER DIE FRAGE! von RA HEINRICH SCHMITZ

RA Heinrich Schmitz zum Fall Pezzoni


http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8f/DR_1936_611_Olympische_Sommerspiele_Fussball.jpg

Mehrere Personen hatten dem 23-Jährigen FC Köln Profi vor dessen Haus aufgelauert, ihn nach seinen Angaben beschimpft und bedroht. Auch bei
Facebook sah sich Pezzoni heftigen Angriffen ausgesetzt. Kurz danach wurde der Vertrag mit dem Spieler einvernehmlich aufgelöst. Was da genau
passiert ist, wird vielleicht ein heute eingeleitetes Ermittlungsverfahren aufklären.

Das mediale Interesse war, obwohl niemand körperlich verletzt wurde, beachtlich. Das Thema vermutlich zur Freude der Angezeigten breit
diskutiert. Mal wieder ein Aufreger. Auch wenn es ähnliche Vorfälle schon zu Zeiten gegeben hat, als das Internet noch nicht existierte.

In den Kommentaren zu diesem Vorfall liest man erstaunlicherweise immer wieder Sätze wie, "das sind keine Fans, dass sind Kriminelle" , oder wie
der Präsident Werner Spinner des 1.FC es formulierte "Ich bin der Auffassung, dass wir tolle Fans haben. Bei Pezzoni waren es keine Fans, sondern Chaoten."

Ach so. Das waren keine Fans. Wie kann man überhaupt auf die Idee kommen, dass das Fans gewesen sind ? Fans, das sind doch diese netten
Leute, die den Fanshop leer kaufen, die teuren Schals vor dem Spiel in die Luft halten und die Vereinshymne singen. Die würden doch nie einer
Fliege geschweige denn einem Vereinsspieler etwas zu leide tun. Würden sie nicht ?

Diese reflexhaft Abwehr und Ausgrenzung kennt man auch auf anderen Gebieten. Sexualstraftäter werden als Monster bezeichnet, Massenmörder
als psychisch krank. Die bösen Menschen dürfen alles sein, nur nicht so wie wir. Dann wären wir ja vielleicht so wie die. Und deshalb dürfen
diese Leute auch einfach keine Fans gewesen sein.

Natürlich sind Ultras, Hooligans und andere militante Fußballbesucher auch Fans. Sie sind sogar Fans im ursprünglichen Sinne des Begriffs,
nämlich Fanatiker.


http://www.regjo.de/nds/dt/uploads/2012/08/bundesliga_gegen_gewalt_motiv_hamburg.jpg

Schon Voltaire wusste, "Bedenkt, dass Fanatiker gefährlicher sind als Schurken. Einen Besessenen kann man niemals zur Vernunft bringen, einen
Schurken wohl." Fanatiker sind besessen, wobei es eigentlich vollkommen egal ist, wovon sie besessen sind. Ob es sich um religiösen,
ideologischen oder eben Fußballfanatismus handelt - neben der eigenen Religion, Ideologie oder eben dem eigenen Verein lässt der Fanatiker nichts gelten.

Dass, was wohl Herr Spinner und die anderen wohl mit "Fan" meinen, ist eigentlich ein Enthusiast, kein Fanatiker. Der Enthusiast begeistert
sich für eine Sache, ist aber weit davon entfernt, diese als einzig seligmachende anzusehen. Als Lebensinhalt. Als alternativlos.

"Fans" im allgemeinen Sprachgebrauch sind aber beide. Der Enthusiast wie der Fanatiker. Die Grenzen sind fließend. Von "ich kann deine Fresse
nicht mehr sehen" zu "ich schlag dir die Fresse ein" ist es ein kurzer weg.

Dass Fußball-Enthusiasten zu Fanatikern werden, die drohen, zuschlagen und vielleicht irgendwann auch einmal über Leichen gehen könnten, ist
aber zu einem nicht geringen Teil auch Schuld der Vereine und ihrer übersteigerten Inszenierung des Fußballs.

Natürlich stehe auch ich als bekennender FC-Anhänger "E Levve Lang" zu meinem Club und singe aus voller Brust und maximal pathetisch

"Mer schwöre dir, he op Treu un op Iehr!
Mer stonn zo dir, FC Kölle!
Un mer jonn met dir,
Wenn et sin muss durch et Füer,
Halde immer nur zo dir, FC Kölle!"


http://polpix.sueddeutsche.com/polopoly_fs/1.1439959.1344791665!/image/image.jpg_gen/derivatives/860x860/image.jpg

aber natürlich ist dieses auf "Treue und Ehre" gegebene Versprechen mit dem Verein "wenn es sein muss durch das Feuer" zu gehen, für mich nur im
übertragenden Sinn zu verstehen und beschränkt sich darauf den jeweiligen Abstieg des FC mannhaft wegzustecken und mir auch das nächste
meist schlechte Spiel voller Hoffnung wieder anzusehen. Für andere aber ist der FC (oder auch irgend ein anderer Fußballverein) tatsächlich zum
alleinigen Lebensinhalt geworden. "Treue und Ehre" fanden wurden ja auch im schon Wahlspruch der SS missbraucht. Und manche nehmen auch den
Schmähgesang auf die lieben Nachbarn aus Mönchengladbach - "und wir werfen Stein auf Stein, auf die Elf vom Niederrhein" nicht als das was es sein sollte, nämlich einen belanglosen , vermeidlich lustigen Schmähgesang, sondern als konkrete Handlungsanweisung zum Steinewerfen.

Diese "armen" Fanatiker, die außer ihrem FC nicht viel anderes in der Birne haben, müssen natürlich existenzielle Nöte erleben, wenn ihr Verein nicht nur erneut in die 2. Bundesliga absteigt, sondern sich auch dort sofort wieder am Tabellenende einreiht. Ja , das ist auch für den
enthusiastischen FC-Anhänger nicht wirklich schön, aber doch auch nicht so schlimm, dass man deshalb ernsthafte Depressionen bekommen müsste.
Höchstens ein Vorwand das ein oder andere Kölsch zu trinken.

Für den Fanatiker ist es die Katastrophe schlechthin. Und wenn etwas nicht so läuft wie der Fanatiker es sich vorstellt, dann wird ein Schuldiger gesucht. Auch das ist kein ungewöhnliches oder fußballspezifisches
Phänomen, das kennen auch die fanatischen Nazis mit ihrem Hass auf Juden und Ausländer, die Islamisten mit ihrem Hass auf die Ungläubigen usw.

Manchmal ist das der Schiedsrichter, manchmal der Trainer, manchmal der Vorstand und manchmal ein Spieler. Hier hat sich eine kleine Fangruppe
aus wohl ca. 5 Personen Kevin Pezzoni auserkoren. Der war zweifellos an ein paar Toren schuld, hat nicht gut gespielt. Wenn alleine das genügt,
einem Menschen vor seiner Wohnung aufzulauern und ihn zu bedrohen, ihm so einen Schrecken einzujagen, dass er lieber seinen Arbeitsplatz
aufgibt, dann ist das eine schlimme Sache.

Aber es ist eben nicht etwas, was außerhalb der Fangemeinde durch ein paar wildfremde Kriminelle geschieht, es geschieht vielmehr durch kriminelle Fans.

Der FC und alle anderen Vereine sollten sich darüber im klaren sein, dass das die gleichen Leute sind, die im Stadion für Stimmung sorgen,
die sich heiser singen und schreien, die ihre Freizeit und ihr gesamtes Geld für Fahrten zu Auswärtsspielen investieren und wirklich für ihren Verein "kämpfen" wollen und nicht irgendwelche Außenstehenden. Die gerne
aufgestellte Behauptung, diesen Leuten gehe es gar nicht um Fußball, sondern in erster Linie um Gewalt, greift zu kurz. Das mag bei Hooligans
zum Teil der Fall sein, aber die kloppen sich auch lieber untereinander. Dass hier Hooligans im Spiel waren, ist eher unwahrscheinlich. Die drohen nicht mit Fäusten, die schlagen gleich zu.

Die Vereine müssen, wenn auch in Zukunft noch Profifußball gespielt werden soll, von der von ihnen aufgebauten Überhöhung des eigenen
Vereins und der des Fußballsports herunterkommen. Es gibt Menschen, die das alte Lied der Nationalmannschaft "Fußball ist unser Leben" bitter ernst nehmen.

Die Vereine sollten die Fanatiker unter ihren Anhängern nicht einfach ausgrenzen und als Nichtfans bezeichnen. Das ist für die, als hätte ihre große Liebe, für die sie ihr Leben geben würden, sie verraten, mit einem anderen gepennt und sie vor die Tür gesetzt. Es ist leicht vorzustellen, dass diese verschmähte Liebe in blanken Hass und damit in noch schlimmere Aktionen umkippen könnte.

Martialische Sprüche von lebenslangen Stadionverboten werden hier eher nicht zu einer Befriedung führen.Dann werden sie halt außerhalb des Stadions aktiv. Wer wollte das verhindern ? Bei derartigen Fanatikern gilt der Spruch, du kannst den Fan aus dem Verein entfernen, aber nicht den Verein aus dem Fan. "E Levve Lang", ist für die ernst gemeint.


http://www.augsburger-allgemeine.de/img/20148576-1337114543000/topTeaser_crop_Fortuna-D-sseldorf-Hertha-BSC.jpg

Wer solche Straftaten begeht wird dafür von der Justiz angemessen bestraft werden, das muss so sein.

Zur Vermeidung derartiger Taten taugen die Mittel der Justiz allerdings nur bedingt bis gar nicht. Zur Vermeidung müssen die Vereine bei allem
Verständnis für den Vereinspatriotismus und das Profitdenken vor allem verbal und medial abrüsten. Fußball ist kein Krieg, sondern ein Sport. Also sollte er auch als Sport inszeniert werden und nicht als Schlacht. Werbesprüche wie " die Mutter aller Schlachten" und ähnlicher Unfug
müssen genauso verschwinden, wie alles was im Vorfeld die Emotionen der emotional gestörten Fanatiker aufputschen könnte. Auch die Medien, ob es nun die Boulevardpresse oder die TV-Sender sind, könnten einmal versuchen, den Fußball als sportliche Veranstaltung und nicht als
Religions- oder Kriegsersatz zu präsentieren. Oder aber, wenn sie das aus wirtschaftlichen Gründen nicht wollen, einfach dazu stehen, dass
auch die Krawalle wieder prächtig zu vermarkten sind.

Die Vereine, die ja bei vernünftigem Wirtschaften nicht übel verdienen, sollten deutlich mehr Zeit und Geld in Fanprojekte stecken, um auch und
gerade mit den Fanatikern ins Gespräch zu kommen. Ihnen klarmachen, dass Mönchengladbach oder Düsseldorf nicht Ausgeburten des Teufels sind,
sondern einfach andere Vereine, die den gleichen Sport betreiben. Dass es ohne Gegner auch kein Spiel gibt und vor allem das Fußball ein Spiel
ist. Ein faszinierendes Spiel manchmal, aber ein Spiel.

P.S.: Eine Fan-Aktion wie 1. FC Köln gegen Gewalt auf facebook
https://www.facebook.com/1FcKolnGegenGewalt

mag Sinn machen, solange dort nicht zur Gegengewalt aufgerufen wird. Facebookgruppen neigen halt leider zur verbalen Eskalation. Aber das ist wieder ein anderes Thema. Schaun mer mal.

Montag, 3. September 2012

DER WERT DER FREIHEIT

von RA Heinrich Schmitz


http://voxpopuliblog.files.wordpress.com/2010/05/freiheit.jpg

"Freiheit" - ist für Bundespräsident Joachim Gauck der zentrale Wert unserer Gesellschaft, für Marius Müller-Westernhagen "das einzige, was
zählt". In Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG wird die Freiheit der Person als unverletzlich bezeichnet und in der Nationalhymne besungen.

Es scheint also eine allgemeine Übereinkunft zu geben, dass die Freiheit in unserem Staatswesen einen außerordentlich hohen Rang einnimmt,
vermutlich den höchsten.

Deshalb scheint es zunächst völlig absurd, sich zu fragen, welchen Wert die persönliche Freiheit in Euro, also welchen Preis sie hat.

Dabei ist es offenkundig gesetzlich bestimmt, was eine Stunde Freiheit wert ist, nämlich exakt 1,04 € oder pro Tag 25 €. Hätten Sie das gedacht? Überlegen Sie mal, was Sie für 1,04 € pro Stunde sonst so bekommen, viel kann's nicht sein. Selbst eine Stunde Parken kostet oft mehr.

Seit dem 5.8.2009 gibt es nach § 7 des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen ( StrEG ) sage und schreibe 25 € für jeden Tag, den jemand zu Unrecht in Haft gesessen hat. Davor gab's nur
11 €.

Und da es in Absatz 1 heißt , "Gegenstand der Entschädigung ist der durch die Strafverfolgungsmaßnahme verursachte Vermögensschaden, im Falle der Freiheitsentziehung auf Grund gerichtlicher Entscheidung auch der Schaden, der nicht Vermögensschaden ist_" handelt es sich bei diesen
25€ nicht etwa um Verdienstausfall oder entgangenen Gewinn, Schadensersatz für tatsächlich entstandene Vermögensschäden, die es
zusätzlich gibt, sondern um die Entschädigung für die verlorene Freiheit selbst.

Um es noch einmal deutlich zu machen, dass betrifft nicht zu Recht verurteilte Kriminelle, sondern unter Umständen Sie.

Obwohl das rechtsstaatliche Strafverfahren mit einigen Sicherungen gegen falsche Verurteilungen, wie Berufung, Revision und Verfassungsbeschwerde
ausgestattet ist, lässt es sich leider nicht vermeiden, dass ab und an auch Unschuldige hinter Gittern landen. Wo Menschen entscheiden, machen
sie Fehler. Das ist in jedem Beruf so. Während des Ermittlungsverfahrens in Form von U-Haft kommen Menschen häufiger unschuldig in Haft, weil
hier schon ein dringender Tatverdacht reicht um sie zu verhängen, nach einem Strafurteil seltener, aber eben auch.

Da sitzt dann ein unschuldig verurteilter Mensch unter Umständen jahrelang im Gefängnis, sei es weil ein Richter bei der Überzeugungsbildung allzu forsch war, oder weil ein Zeuge gelogen hat
oder aus welchem Grund auch immer. Wenn der Unschuldige ganz viel Glück hat, findet sich jemand der ihm glaubt, dass er unschuldig ist. Wenn er noch mehr Glück hat, gelingt das seltene Kunststück, ein Wiederaufnahmeverfahren in Gang zu bringen und am Ende steht dann ein Freispruch.


http://www.tz-online.de/bilder/2009/03/18/103046/1120675611-heute-57jaehriger-brite-fast-drei-jahrzehnte-unschuldig-gefaengnis.9.jpg

Man muss sich einmal vor Augen führen, was es bedeutet als Unschuldiger wegen einer Straftat verurteilt zu werden. Kafka lässt grüßen. Im
schlimmsten Fall wenden sich auch noch Freunde und Familie nach und nach ab, die Zweifel zerfressen das Vertrauen. Der Gefangene ist nach außen und innen isoliert. Hafterleichterungen wie Ausgang oder Hafturlaub werden regelmäßig mit der zutreffenden Begründung verweigert, der
Gefangene sei ja nicht einmal bereit, sich mit seiner Tat auseinanderzusetzen. Ja, das habe ich schon ein paar Mal als Verteidiger erlebt. Das ist zum verrückt werden. Mit welcher Tat sollte sich denn ein Unschuldiger auseinandersetzen ? Unschuldige gelten gemeinhin als therapieunwillig.

Es kommt glücklicherweise wohl nicht allzu häufig vor, aber allein ich habe in den vergangenen 25 Jahren 4 Fälle erlebt, bei denen ich absolut
davon überzeugt bin, dass die Verurteilten unschuldig waren. Das bereitet dann auch dem abgeklärten Strafverteidiger schlaflose Nächte.
In allen Fällen handelte es sich um Sexualstraftaten, in allen Fällen um
Indizienprozesse und in allen Fällen, waren die Verurteilungen nicht zu knacken, weil es den Gerichten gelungen war, wasserdichte
Urteilsbegründungen zu schreiben, die vom Revisionsgericht mit dem üblichen Dreizeiler bestätigt wurden. Wenn ich eine ähnliche Quote bei
den Kollegen unterstelle, kommen so eine ganze Reihe unschuldig verurteilter Menschen zusammen.

Die wenigen, deren Unschuld manchmal erst Jahre später festgestellt wird, werden dann vom Staat ein zweites Mal kräftig verarscht.

25 € Entschädigung für jeden Tag erlittene Haft sind schon kein Witz mehr, sondern eine absolute Frechheit. Wer sich das ausgedacht hat, sollte mal ein paar Monate sitzen.

Von der Mehrzahl der anderen Inhaftierten unterscheidet sich der Unschuldige in seiner Haftempfindlichkeit. Für einen Berufsverbrecher
ist ein Haftaufenthalt sozusagen Teil des Berufsrisikos, für einen zu Recht verurteilten Spontanverbrecher ist sie psychologisch akzeptabel, weil Reaktion auf eine Straftat.

Für einen Unschuldigen ist sie die Hölle. Es gibt keinen Grund für den Entzug der Freiheit, niemand glaubt ihm seine Unschuld und er kann psychisch an der staatlich angeordneten Freiheitsberaubung zerbrechen. Es wäre interessant die in Haft verübten Suizide einmal darauf hin zu
untersuchen, ob die Gefangenen vorher oder auch erst in ihren Abschiedsbriefen ihre Unschuld beteuert hatten.

Der unschuldig Verurteilte verliert vollkommen zu Recht sein Vertrauen in den Rechtsstaat. Der Rechtsstaat, dessen Aufgabe es ist, ihn vor
Ungerechtigkeit zu schützen, seine persönliche Freiheit zu bewahren, dieser Rechtsstaat hat ihm das Wertvollste genommen, dass ein Mensch
haben kann, seine Freiheit. Das darf man sich ähnlich vorstellen, wie ein Kind, dass ausgerechnet von den Menschen die es beschützen sollen, seinen Eltern, misshandelt wird.

Und wenn sich das Fehlurteil dann als solches herausstellt, bekommt der Unschuldige den Wert dieser Freiheit mit 25 € pro Tag vergütet.

Da kommt man dann doch ins Grübeln. Geld und Freiheit sind offenbar die höchsten Werte, die der Staat sich neben unveräußerlichen Werten wie
Menschenwürde und Gesundheit so vorstellen kann. Deshalb wird der Entzug von Geld und Freiheit im Erwachsenenstrafrecht auch als Strafe
eingesetzt. Das tut weh und das soll auch weh tun. Die Geldstrafe ist dabei auf eine Tagessatzzahl von maximal 360 begrenzt. Der einzelne Tagessatz liegt zwischen mindestens 5 und höchstens 30.000 € . Die höchste Geldstrafe - entsprechend etwas einem Jahr Freiheitsstrafe
beträgt also 10,8 Millionen Euro.

Die Entschädigung für 365 Tage Freiheitsberaubung durch die Justiz ist mit 9125 € da doch recht überschaubar. Wie der Gesetzgeber auch nur
auf den Gedanken kommen konnte, mit einer derart lächerlichen Entschädigung das erlittene Unrecht auch nur ansatzweise wieder gut machen zu können, ist nicht nachvollziehbar.


http://www.br-online.de/bildung/databrd/raf02.htm/raf02b16.jpg


Auch wenn man das Leid des Unschuldigen vermutlich mit keiner Geldsumme wirklich ausgleichen kann, genauso wie man mit einem Schmerzensgeld niemanden der Verlust eines Beines oder der Augen ersetzen kann, kann es wohl nicht mit dem alles überstrahlenden Verfassungsgebot des Schutzes der Menschenwürde in Einklang stehen, wenn ein Justizopfer auf diese Weise hinterher auch noch verhöhnt wird.

Mein Vorschlag einer halbwegs angemessenen Entschädigung: man sollte sich am Ehrensold des Bundespräsidenten orientieren. Ab nächstes Jahr
also 217.000 € pro Jahr oder rund 594.--€ pro Tag. Und da der unschuldig Verurteilte weder ein Büro noch einen Dienstwagen und Personal benötigt, könnte man den Betrag auf 600 € täglich aufstocken.

Die Orientierung am Ehrensold halte ich deshalb für gerechtfertigt, weil der unschuldig Verurteilte dem Staat ein Sonderopfer erbracht hat. Er ist , um es einmal in christlicher Diktion auszudrücken, wie der Geringste behandelt worden. Da macht es Sinn, ihn bei der
Wiedergutmachung dieses schrecklichen Unrechts wenigsten finanziell so zu behandeln, als sei er der höchste Repräsentant des Staatswesens und
das ist nun mal der Bundespräsident.

Das ist alles viel zu teuer und geht Sie sowieso nichts an ? Hoffen wir's mal für Sie.

von RA Heinrich Schmitz

Sonntag, 26. August 2012

IST BREIVIK ANDERS? - DAS URTEIL

von RA Heinrich Schmitz


http://www.abendblatt.de/multimedia/archive/01126/Breivik_NEU_1_HA_V_1126900c.jpg

Es zuckte ein leichtes Grinsen um seinen Mund als er sich nach dem Urteilsspruch hinsetzte. Anders Behring Breivik wirkte recht zufrieden. Sie hatten ihn nicht zum Geisteskranken gestempelt.

Er wurde ernst genommen - er hat nichts verstanden.

Der Angeklagte hatte für sich selbst die Todesstrafe gefordert, obwohl die in Norwegen genauso verboten ist wie bei uns. Aber das machte ihm ja nichts. Er weigerte sich, das Gericht und damit auch die Rechtsgrundlagen der Verurteilung anzuerkennen. Rechtsstaat ist nichts für Rechtsextremisten. Folgerichtig verzichtete er nach dem Urteil auch auf Rechtsmittel. Die Entscheidung ist - nachdem auch die
Staatsanwaltschaft verzichtet - rechtskräftig.

Das Urteil fand in Norwegen, auch unter Überlebenden und Angehörigen der Opfer, eine überwältigende Zustimmung.

In Deutschland sieht das - fast erwartungsgemäß - schon etwas anders aus:

" P.D.: Ich hätte mir eine Strafform gewünscht, die in einigen Bundesstaaten der USA in solchen Fällen zur Anwendung kommt."

" P.-B. C.: Dieses widerlich grinsende Monster! So jemand hat nur eins verdient! TODESSTRAFE!!!!"

"H.I.: Brevik gehört an die Wand."

" R..C. In den USA hätte er die Todesstrafe bekommen, das wäre auch am Angebrachtesten, schließlich ist er ein Massenmörder! "

sind nur einige der Kommentare, die sich am Tag der Urteilsverkündung bei facebook fanden.

Auch wenn diese Kommentatoren es vermutlich weder merken geschweige denn beabsichtigen, könnten sie Breivik noch einen späten Triumph verschaffen.

Das was sie da äußern, der reflexhafte Wunsch nach der Todesstrafe, entspringt nämlich letztlich im Kern einem ähnlich menschenverachtenden Denken, dass es erst ermöglicht hat, den Menschen Anders Behring Breivik zu dem werden zu lassen, was er letztlich geworden ist, ein gemeingefährlicher Mensch, ein
Massenmörder.

https://www.facebook.com/notes/heinrich-schmitz/mensch-massenm%C3%B6rder-von-ra-heinrich-schmitz/303796056308596


http://www.haz.de/var/storage/images/haz/nachrichten/politik/deutschland-welt/protest-gegen-hinrichtung-in-usa/23641914-1-ger-DE/Protest-gegen-Hinrichtung-in-USA_ArtikelQuer.jpg

Der Weg dahin ist manchmal ein recht kurzer.

Auf den Tag genau 20 Jahre vor dem Breivik-Urteil, in Rostock-Lichtenhagen, waren es rund 3000 Menschen - nicht etwa 3000 Rechtsradikale - die auch meinten, sie seien berechtigt andere Menschen zu jagen und zu verbrennen, zu töten.

Angestachelt von einer relativ kleinen Gruppe von Rechtsextremisten schrien auch völlig "normale" Bürger "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!". Auch als schon als Steine und Molotowcocktails in das von der Polizei verlassene Wohnheim der rund 100 Vietnamesen geworfen wurden, johlte und grölte der Mob aus Normalos begeistert.

Als dann die Extremisten unter Rufen wie "Wir kriegen Euch alle" und "jetzt werdet ihr geröstet" Benzin ausgeschütteten und anzündeten, verhinderte die fanatisierte Menge den Einsatz von Polizei und Feuerwehr. Sie wollten Menschen brennen sehen. Das waren alles normale Menschen aus der Mitte unserer Gesellschaft.

Wer vom Staat fordert, dass Straftäter umgebracht werden, kann seine Forderung offenbar nicht ganz zu ende gedacht haben.

Was wäre damit gewonnen, dass z.B. ein Breivik als Ergebnis eines Strafprozesses getötet würde ? Vollkommen unabhängig von der Frage der
Menschenwürde, die auch dem schlimmsten aller schlimmen Terroristen zukommt, alleine weil er ein Mensch ist und deshalb die Todesstrafe
ausschließt, was wäre gewonnen? Gut, ja er wäre weg und man bräuchte ihn nicht auf Kosten der Allgemeinheit jahrelang durchzufüttern und zu
bewachen.

Aber sonst ? Als Strafe hätte Breivik seine Tötung selbst sicherlich nicht empfunden. Für ihn wäre es der erste Schritt zum rechten Helden
gewesen, zum weißen Ritter des von ihm imaginierten Tempelritterordens gegen die drohende Islamisierung. Ein Märtyrer der weißen Rasse, ein nachahmenswertes Vorbild. Sein Triumph.

Aber was wäre alles verloren ?

Wer tot ist ist tot und kann keine Strafe mehr verbüßen. Falls jemand auf die Hölle nach dem Tod spekuliert, die wäre auch noch nach einem
natürlichen Tod in der Haft oder der
Sicherungsverwahrung im Angebot, geht also nicht laufen.


http://d1.stern.de/bilder/politik/2003/kw47/Stamm400_fitwidth_420.jpg

Die Tat und die Ursachenforschung würden nach einem kurzen Prozess schnell in Vergessenheit geraten. Who wants yesterdays papers ? War ja
nur ein versprengtes Monster. Das Problem ist jetzt weg. Wir haben kein gesellschaftliches Problem . Was gibt's neues?

Norwegens Justiz hat in einer beispielhaft unaufgeregten, vorbildlichen Weise gezeigt, wie eine freie und rechtsstaatliche Gesellschaft mit
einem Menschen umgehen muss, der ihre Grundsätze verachtet und abschaffen will. Mit einem, der sich für etwas besseres hält, einen der sicher ist über dem Gesetz zu stehen.

Mit Ruhe und Bedacht hat das Gericht sich die notwendige Zeit genommen, das Geschehene aufzuklären, es hat dem Angeklagten eine optimale
Verteidigung gewährleistet, es hat sich intensiv mit seinem Geisteszustand beschäftigt und es hat ein Urteil auf der Basis der geltenden Gesetze gesprochen. Ohne Schaum vor dem Mund, ohne das
Verlangen, das Gesetz ein wenig zu beugen, ein wenig Rache zu üben.

Es hat Breivik als Menschen wie jeden anderen behandelt, der nichts besseres und nichts schlechteres ist, der nicht über aber auch nicht
unter dem Gesetz steht. Es hat konsequent die gesetzliche Höchststrafe verhängt und mit der zusätzlichen Sicherungsverwahrung sichergestellt,
dass dieser Mensch keine Straftaten in Freiheit mehr begehen kann.

Wem das nicht reicht, der sollte seine eigenen Motive und seine eigene Gesinnung einmal im stillen Kämmerlein überprüfen. Eine härtere Strafe als den im Ergebnis lebenslangen Entzug der Freiheit ist nicht vorstellbar.

Und das Gericht hat , indem es "nur" seine Arbeit getan hat, noch sehr viel mehr geleistet. Es hat Breivik vollständig entzaubert.

Es der Welt gezeigt, dass jemand, der sich als Massenmörder betätigt, nicht zwangsläufig ein Irrer sein muss. Dass hätten doch viele allzu
gerne, weil es diesen Mit-Menschen Breivik zu etwas gemacht hätte, was jenseits der normalen menschlichen Natur existiert, was aber nichts mit
"uns normalen" Menschen zu tun hat.

Sicher, auch solche kranken Täter gibt es, aber es ist eben ein großer Irrtum, vielleicht auch ein Wunschtraum, dass die "normalen Menschen" so etwas nicht tun würden, dass so etwas nur krank denkbar ist. Rechtsextremismus, Fremdenhass,
Rassenüberheblichkeit sind keine aber Krankheiten, es sind nur menschenverachtende Gesinnungen, die leider weit verbreitet sind.

Das gilt genauso für andere extremistische Gesinnungen, denen allen eines gemein ist: sie denken sie seien auserwählt, könnten auf andere Menschen herabschauen und hätten sogar das Recht, wenn nicht gar die Pflicht, diese zu vernichten. Wer einem anderen Menschen das Recht auf Leben
abspricht - was jeder tut, der die Todesstrafe fordert - , wer ihn als außermenschliches Wesen, das man wie einen Alien betrachten und notfalls
auch vernichten darf oder sogar muss, stellt sich auf eine Stufe mit Rassisten, religiösen und politischen Extremisten und gefährdet damit die Basis einer freien, rechtsstaatlichen Gesellschaft.


http://www.madjak.de/suenden/zorn.jpg

Diese Gesinnungen mit unaufgeregter Beharrlichkeit zu bekämpfen nützt wesentlich mehr, als dieser Gesinnung noch Futter zu geben, indem man eine ihrer Hauptforderungen, nämlich die nach der Todesstrafe, erfüllt.

Das hat das norwegische Gericht getan.

Danke Elisabeth Arntzen und Arne Lygn, Danke Inga Bejer Engh und Svein Holden, Danke Geir Lippestad und seinem Verteidigerteam. Danke Norwegen.

von RA Heinrich Schmitz

Samstag, 18. August 2012

Männerpension statt Mädchenpensionat – von RA HEINRICH SCHMITZ

Über den Strafvollzug in Deutschland


http://www.leo-magazin.de/typo3temp/pics/6961d36deb.jpg

Wenn Sie schon mal im Knast gesessen haben, brauchen Sie nicht weiterzulesen. Dann ist das alles nichts Neues für Sie. Wenn Sie glauben, der Strafvollzug in Deutschland sei viel zu lasch und den Gefangenen ginge es dort viel zu gut und sich von dieser Meinung nicht abbringen lassen wollen, lassen Sie es besser auch bleiben. Hier geht es
um den Knast und seine Insassen, um die Realität des deutschen Strafvollzugs.

Bernd Busemann, niedersächsischer Justizminister (CDU), kann mit dem Zustand des deutschen Strafvollzugs "gut leben". Er sitzt ja auch nicht
drin, sondern diesem nur als einer der verantwortlichen Länderminister vor.

Anlass für die frohgemute Äußerung des Ministers ist eine Studie über "Viktimisierungserfahrungen im Justizvollzug " , die von Steffen Bieneck
und Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen erstellt wurde

http://www.kfn.de/versions/kfn/assets/fob119.pdf

Was die Wissenschaftler dort herausgefunden und beschrieben haben, ist zwar für Menschen mit Hafterfahrung nichts neues, für alle anderen aber
ein verdammt guter Grund, sich einmal ernsthafte Gedanken zu machen.

"Es folgen körperliche Übergriffe (25,7%) und der Diebstahl von persönlichem Eigentum (20,3%). Mit gut 5 Prozent (bzw. 194 Vorfällen) wurden sexuelle Übergriffe von den männlichen Teilnehmern am seltensten berichtet. Die weiblichen Studienteilnehmer geben für den Monat vor der Befragung ebenfalls an, am häufigsten indirekte (63,5%) und verbale Auseinandersetzungen (40,1%) erlebt zu haben. 16 Betroffene (3,6%) berichteten von sexuellen Übergriffen. Indirekte Gewalt und verbale
Übergriffe dominieren auch bei den Jugendlichen,*zudem berichtet fast die Hälfte der Befragten (49,0%), mindestens einen physischen Übergriff erlebt zu haben*. ." (Seite 10 der Studie)

Und was fällt dem guten Herrn Busemann dazu ein ? Nur, "dass ein Knast eben keine Mädchenpension sei " und er gut mit dem Zustand leben kann.
Wow, was für eine tiefschürfende Reaktion.


https://service.gmx.net/de/cgi/g.fcgi/mail/sent?sid=babhdfg.1345284195.3313.rqsycos0jb.75.hdj

Stellen Sie sich einmal vor, sie hätten einen 16-jährigen Sohn, der z.B. auf die glorreiche Idee gekommen ist, sich mit dem Handeln von Drogen
sein Taschengeld aufzubessern. Sie bekommen natürlich von alledem nichts mit und sind deshalb ziemlich vor den Kopf geschlagen, wenn plötzlich
die Kripo anruft und ihnen mitteilt, dass ihr Sohn festgenommen wurde, weil er mit einer anständigen Menge Speed erwischt wurde. Je nachdem welche Menge, welche Qualität und welcher Richter und so weiter, kann das schon für eine Jugendstrafe reichen. Ist ja auch o.k., er hat ja ein Verbrechen begangen.

Trotzdem lieben Sie Ihren Sohn ja normalerweise
trotzdem. Und dann ist er in der Jugendstrafanstalt um seine Strafe zu verbüßen. Natürlich besuchen Sie ihn regelmäßig und irgendwann sehen sie ein paar blaue Flecken oder ein blaues Auge.

"Von den Jugendlichen berichtet zwar auch mehr als die Hälfte der Befragten von Wut und Zorn, darauf folgen jedoch unmittelbar körperliche
Symptome wie blaue Flecken, Prellungen und Schmerzen. "(Seite 16 der Studie)

Ja, er habe sich gestoßen, sei in der Dusche ausgerutscht oder gegen einen Türrahmen gelaufen, alles nur Unfälle. Beim nächsten Besuch ist er
noch merkwürdiger, still, weint vielleicht ein bisschen. Was ist los, werden Sie fragen. Nichts. Nichts, frag nicht.


http://www.nw-news.de/_em_daten/_nw/2009/09/11/090911_1904_knast.jpg

"Die Jugendlichen verzichten dagegen mehrheitlich darauf, andere Personen ins Vertrauen zu ziehen." (Seite 18 )

Ihr Junge sitzt seine Strafe ab. Er ist nicht freiwillig in der Jugendstrafanstalt. Er wurde verurteilt. Aber er wurde zu einem
Freiheitsentzug verurteilt, nicht zu Prügeln, Misshandlung und Vergewaltigung, Drogenmissbrauch, Raub um Erpressung. Er befindet sich in der zwangsweisen Obhut des Staates. Eines Rechtsstaats. Um erzogen zu werden, re-sozialisiert, manch einer auch um überhaupt erstmals sozialisiert zu werden.

Und dann landet er in einer Einrichtung, in der jeder zweite in den letzten vier Wochen was auf die Fresse bekommen hat, mindestens. Na das
wird ja lustig mit der Sozialisation. Da kann man echt was fürs Leben lernen. "Schlag zu, bevor du geschlagen wirst !", "Verbünde dich mit dem
brutalsten !", "Wenn die Schmerzen zu groß werden, versuch's mal mit Heroin !" und vor allem, "Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner."

Der Staat lässt dich im Stich !

Wenn es das ist, was wir von einem Strafvollzug erwarten, dann kann man da prima mit leben. Wer diese Strafvollzug genießen durfte, der wird
sich draußen durchzusetzen wissen.Allerdings eher im kriminellen Milieu. Der hat keinen Grund, die Strafe als Lehre zu begreifen, es zukünftig
anders zu machen. Der wird den Staat hassen, weil er ihn nicht beschützt hat. Der wird eher um sich schießen, als sich nochmal einsperren zu lassen.

Es ist einfach, den Haftanstalten Versäumnisse vorzuwerfen, ganz einfach. Aber auch das ist viel zu kurz gesprungen. Um das, was eigentlich erforderlich wäre, nämlich zunächst einmal die Sicherheit eines jeden einzelnen Gefangenen vor Übergriffen der anderen zu gewährleisten, braucht es ein grundsätzliches Umdenken. Die JVA leiden
unter Personalmangel, insbesondere gut ausgebildetes Wachpersonal, Sozialarbeiter und Psychologen gibt es viel zu wenige.

Das vorhandene, mies bezahlte und ausgebildete Personal ist permanent überfordert, guckt
zwangsläufig auch gerne mal weg. Dass jemand diesen Beruf als Berufung empfindet, habe ich bisher noch von keinem gehört. Ein Traumberuf ist
das schon gar nicht. Der Beruf des Justizvollzugsbeamten ( im Volksmund
auch gerne Wärter genannt ) ist auf der Liste der tausend Traumberufe sicher nicht verzeichnet. Aber es wäre ein wichtiger Beruf, der bei
vernünftiger Bezahlung und guter Ausbildung gesellschaftlich wirksam sein könnte. Der ein anderes Image braucht, als das des Schließers.

Dafür muss man Geld ausgeben, das Personal aufstocken, die Anstalten modernisieren. Diese Geld wäre richtig gut angelegtes Geld, weil es dazu beitragen würde,Gefangene aus dem Drehtüreffekt herauszuholen, aus jungen nicht nur alte Straftäter zu machen, sondern Menschen, die auch außerhalb des Knastes existieren können, die einen Beruf lernen, arbeiten, Steuern zahlen usw.



http://bandworm.de/cp/images/weiterstadt_DW_Poli_416514p.jpg

Die Studie wäre für einen verantwortlichen Minister ein schöner Aufhänger gewesen, dieses Thema auch in der Öffentlichkeit zu verbreiten
und da vehement mehr Geld für die ohnehin unterkapitalisierte Justiz einzufordern. Eine überparteiliche Initiative starten, das Land sicherer machen, Menschen helfen sich zu ändern. Busemann wäre mein Held gewesen. Statt dessen faselt er nur davon, dass der Knast keine Mädchenpension ist und das soll's dann gewesen sein.

Damit kann Herr Busemann gut leben - ich nicht.

von RA Heinrich Schmitz

Dienstag, 14. August 2012

LUPENREIN WEGSCHLIESSEN FÜR IMMER? von RA HEINRICH SCHMITZ

Sicherheit und Freiheit - Die Problematik der Sicherungsverwahrung

- von RA Heinrich Schmitz


http://www.taz.de/uploads/images/684x342/10-01-13-UrteilKarlD.jpg

Was macht ein Staat mit vermutlich gefährlichen Straftätern? Was würden Sie denn machen?

Nein, nicht Sie von "Keine Gnade für Kinderschänder" oder "Todesstrafe für Kinderschänder", Sie können meine Notiz
"Todestrafenfans - vergesst es" lesen.

Nein, ich meine Sie, die sie sich Sorgen um die Sicherheit ihrer Kinder und um ihre Sicherheit machen, aber aus guten Gründen nicht bereit sind, den Rechtsstaat aufzugeben und sich auf eine Stufe mit Verbrechern zu stellen, Sie meine ich!

Wenn sie eine Weile überlegt haben, werden Sie vermutlich auf eine Möglichkeit stoßen, die der frühere Anwalt, Bundeskanzler und Putin-Freund Schröder 2001 wie folgt formulierte : "wegschließen - und zwar für immer". Nur, das geht in einem Rechtsstaat der den Menschenrechten verpflichtet ist nicht ganz so einfach wie im Staat des lupenreinen Demokratenkumpels.


Wegschließen ja - für immer, vielleicht. In Deutschland nennt man das Sicherungsverwahrung.


Es gibt kaum ein Thema auf dem Gebiet des Strafrechts, das der Politik und der Justiz in den letzten Jahren mehr Probleme gemacht hat als die Sicherungsverwahrung (SV). Und es gibt kaum ein Thema, über das mehr Irrtümer und Fehlvorstellungen bestehen.


Straftäter, die eine große Gefahr darstellen, können auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe weiterhin eingesperrt werden und zwar so lange,
bis sie eben keine Gefahr mehr darstellen, d.h. wenn es nicht anders geht auch bis an ihr Lebensende, also "für immer".

Sicherungsverwahrung ist für den, der sie verbüßen muss also ein äußerst unangenehmer Eingriff in seine persönliche Freiheit.

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil alle bisherigen gesetzlichen Vorschriften über die Sicherungsverwahrung im Jugend- und
Erwachsenenstrafrecht als unvereinbar mit dem Freiheitsgrundrecht nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. 104 Abs. 1 GG erklärt. Hauptargument war
dabei, dass die Trennung von Strafvollzug und therapeutischem Maßregelvollzug der Sicherungsverwahrung nicht gewährleistet sei.

Das Gericht sah das Abstandsgebot verletzt.

Um zu verstehen, was damit gemeint ist, muss man sich etwas intensiver mit Sinn und Zweck der Sicherungsverwahrung beschäftigen.


http://bilder.augsburger-allgemeine.de/img/5795316-1295057886000/topTeaser_crop_knast.jpg


Die Sicherungsverwahrung ist keine zusätzliche Strafe. Wer in Sicherungsverwahrung muss, hat seine Strafe bereits abgesessen. Er darf
nicht weiter bestraft werden. Wenn man ihn trotzdem nicht in die Freiheit entlässt, so hat das nur einen einzigen Grund. Er ist gefährlich bzw. ein Gericht hält ihn für gefährlich..


Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb völlig zu recht bemängelt, dass der Vollzug der Sicherungsverwahrung sich vom Vollzug des Strafvollzuges in der Praxis so gut wie gar nicht unterscheidet. Dem Gefangenen ist es
ziemlich egal, ob er jetzt eine Strafe verbüßt oder ob man ihn gar nicht bestraft, sondern einfach nur so wegsperrt. Diese Gleichheit im Vollzug ist in Zukunft nicht mehr erlaubt, sodass der Gesetzgeber sich jetzt bis zum 31. Mai 2013 eine verfassungsgemäße Neuregelung einfallen lassen muss. Man darf gespannt sein, ob das klappt. Mit der Änderung verfassungswidriger Gesetze in verfassungskonforme tut die Regierung
sich ja mitunter schwer.

Die bis dahin geltende übergangsweise weitere Anwendung dieser verfassungswidrigen Vorschriften ist sehr rigiden Einschränkungen unterworfen. So muss anhand konkreter Umstände eine hochgradige Gefahr der Begehung schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten durch den Täter zu befürchten sein und der Täter muss zusätzlich an einer genauer definierten psychischen Störung leiden.

Wenn man erst einmal verstanden hat, dass die Sicherungsverwahrung eben keine Strafe, sondern "nur" eine sogenannte Maßnahme ist, die dem
allgemeinen Sicherheitsinteresse der Gesellschaft dient, kann man sich vorstellen, dass die Voraussetzungen unter denen eine Sicherungsverwahrung angeordnet werden darf, auch sehr streng sein müssen. Einfach mal so auf Verdacht wegsperren ist nicht möglich.

Die Sicherungsverwahrung hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Startschuss war das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher aus
dem Jahr 1933, einem Jahr das nicht gerade für rechtsstaatliche Gesetzgebung bekannt ist. Obwohl seine Ursprünge schon in der Weimarer Zeit entstanden nutzen die Nazi die Gunst der Stunde, verschärften das Gesetz und nutzten es für ihre rassenpolitischen Ideen. Merkwürdig, dass
die Neonazis diese Errungenschaft ihrer geistigen Väter nicht gebührend würdigen und sich mehr zur Todesstrafe hingezogen fühlen.

Erst 1953 kam es zu einer Einschränkung, 1969 zu einer gründlichen Reform mit einer 10-Jahreshöchstfrist und 1998 wurden die
Voraussetzungen gelockert und die 10-Jahrefrist wieder abgeschafft.

Im Jahre 2004 meinte das Bundesverfassungsgericht seltsamerweise , dass diese recht lockeren Regelungen - einschließlich der eingeführten
Rückwirkung - verfassungsgemäß wären. 2009 machte dann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte** zum ersten Mal deutlich, dass die vom Bundesverfassungsgericht durchgewunkenen Vorschriften gegen Art. 5 Abs. 1 (Recht auf Freiheit und Sicherheit) und Art. 7 Abs. 1 (Keine Strafe ohne Gesetz) Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. So was
sollte für einen demokratischen Rechtsstaat einschließlich seines obersten Gerichts eigentlich peinlich sein.

Also wurde erst mal munter weiter reformiert. Mit Wirkung zum 1. Januar 2011 wurde der Anwendungsbereich der Sicherungsverwahrung deutlich eingeschränkt, die Möglichkeit eines Vorbehalts deutlich ausgebaut und die nachträgliche Verhängung fast komplett abgeschafft. Außerdem wurde ein Therapieunterbringungsgesetz erfunden, dass die Unterbringung von Personen, die wegen eines Verbotes der rückwirkenden Verschärfungen
nicht länger in Sicherungsverwahrung untergebracht werden dürfen, aber an einer psychischen Störung leiden und mit großer Wahrscheinlichkeit Leben oder Gesundheit anderer
Menschen beeinträchtigen werden, in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung ermöglichen soll.Die letzte Reform wurde bereits am 4. Mai
2011 wieder für verfassungswidrig erklärt.

Egal wie die neue Regelung aussehen wird, das Hauptproblem der Sicherungsverwahrung wird sich dadurch nicht reduzieren lassen. Es ist
die Schwierigkeit menschliches Verhalten einigermaßen gesichert vorherzusagen. Wissen Sie, wie sie sich in einer bestimmten Situation
verhalten würden ? Sehen Sie, das können Sie nicht genau wissen, solange Sie nicht tatsächlich in der Situation gewesen sind. Wie viel schwieriger ist es, das Verhalten von anderen Personen vorherzusagen ?


http://madagaskar-blog.malala-madagascar.net/wp-content/uploads/2009/05/gefaengnis-zelle-gefaengniszelle-stasigefaengnis-hohenschoenhausen-berlin-einzelzelle-haftanstalt-knast-holzpritsche-pritsche.jpg

Woher kann ein Gericht wirklich wissen, wann die" Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu
erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der
Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist"

http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__66.html

Da das Gericht in der Regel nicht mit Hellsehern besetzt ist, versucht es diese Frage mit Hilfe von psychiatrischen Sachverständigen zu klären.
Es gibt eine ganze Reihe standardisierter Testverfahren, die allerdings nur eine statistische Wahrscheinlichkeit angeben können, was leider manchmal übersehen wird. Wenn bei einer bestimmten Konstellation 80 von
Hundert Straftäter eine Straftat begehen, dann sind es aber eben auch 20 von Hundert, die das nicht tun.

Wegen der Unsicherheiten neigen nach meiner Erfahrung sowohl die Sachverständigen als auch die Gerichte dazu bei Zweifeln zu Lasten der
Straftäter zu entscheiden, d.h. im Klartext, Menschen in die Sicherungsverwahrung zu schicken, die wahrscheinlich keine Straftaten
begehen würden. Das ist eindeutig die leichtere Entscheidung. Man entgeht damit dem Volkszorn, der Empörung der Öffentlichkeit, die verständlicherweise hochkocht, wenn ein Entlassener erneut straffällig wird. Ein Gutachter, der alle in die Sicherungsverwahrung gutachtet, wird nie widerlegt werden. Die Prognose menschlichen Verhaltens ist nie mit 100%iger Sicherheit zu machen. Es ist und bleibt letztlich eine Form von wissenschaftlich verbrämter Kaffeesatzleserei - von krassen
Serientätern einmal abgesehen.

Dies darf aber nicht dazu führen, dass ungefährliche Täter gleich reihenweise mit verarztet werden. Rechtsstaat bedeutet hier erst einmal gründlichste Prüfung der Gefährlichkeit, dann ständige Überprüfung bereits getroffener Entscheidungen und auch einen gewissen Mut zu
Fehlentscheidungen.

Der Mensch ist nicht perfekt, der Richter damit zwangsläufig auch nicht.

Wir Bürger dürfen vom Staat und seiner Justiz keine Wunderdinge verlangen. Sowenig uns der Staat vor Erdbeben schützen kann, kann er uns
vor Straftaten schützen, selbst wenn er wollte. Der Konflikt zwischen Sicherheitsbedürfnis und Freiheitsbedürfnis ist programmiert. Aber auch
in totalitären Systemen gibt es Straftaten.

Bis 2010 war die Zahl derjenigen , die in Sicherungsverwahrung waren von 182 Personen im Jahr 1984 kontinuierlich auf 509 Personen angestiegen. Im Jahr 2011 ist sie leicht auf 478 zurückgegangen. Ob diese Menschen tatsächlich alle die schweren Straftaten begangen hätten, die man von ihnen erwartet hat, darf bezweifelt werden.

Denen, die das nicht getan hätten, wird großes Unrecht getan. Das Institut der Sicherungsverwahrung darf nur mit Augenmaß eingesetzt und keineswegs zur Routine werden, denn wenn es zu einer extensiven Anwendung der Sicherungsverwahrung käme, kann Recht schnell in Unrecht umkippen - und dann wären wir mit der Sicherungsverwahrung wieder da, wo
1933 alles angefangen hat. Dass mancher sich das vielleicht wünschen mag, ist traurig genug.


http://img.audible.de/audiblewords/content/bk/univ/000101de/lg_image.jpg

Montag, 23. Juli 2012

Schnipp-Schnapp - Beschneidung der Religionsfreiheit ? Teil III

von RA Heinrich Schmitz


Darum geht's.

Der SPIEGEL tut's, die Zeit, die FAS, die FAZ - alle tun es. Alle kommentieren das Urteil des Kölner Landgerichts und dessen angebliche Folgen für die Gesellschaft.

Im aktuellen SPIEGEL treten Matthias Matussek und Maximilian Stehr an, ihre jeweiligen Positionen zu vertreten, in der Zeit war es Robert Spaemann, der einen beispiellosen "Angriff auf die Identität religiöser Familien" sah. Überall mehr oder weniger eifernde oder aufgeregte Kommentare.


Das jedenfalls Gute, das die Urteilsbegründung des LG Köln ausgelöst hat, ist die nun laufende gesellschaftliche Diskussion. Was weniger gut
ist, dass kaum ein Kommentar sich mit der wirklichen Problematik befasst bzw. immer nur Teilaspekte der Gesamtproblematik angesprochen werden und großenteils mit flauen Argumenten für oder gegen ein Beschneidungsrecht der jüdischen und muslimischen Eltern gekämpft wird.


Die Fürsprecher aller Religionen fürchten offenbar eine Beschneidung der Religionsfreiheit im allgemeinen, wenn die Justiz die Beschneidung der Vorhaut von Säuglingen und Kleinkindern auf Wunsch ihrer Eltern als rechtswidrige Körperverletzung behandeln würde. Die Fürsprecher der körperlichen Unversehrtheit von unmündigen Kindern fürchten offenbar massive Gesundheits- und Entwicklungsschäden, wenn die Beschneidung
weiterhin nicht bestraft würde.

Dazwischen fürchten die Juden einen erstarkten Antisemitismus, die Muslime eine deutsche Islamophobie, und die Atheisten einen staatlich
unterstützen religiösen Angriff auf die Vernunft.

Dabei ist ernstlich nichts von alledem zu befürchten, wenn nicht Regierung und Bundestag aus Furcht davor eine Komikernation zu führen
überreagieren. (Wobei ich Komiker eigentlich immer dafür geschätzt habe, dass sie unliebsame Wahrheiten auf unterhaltsame Weise an ihr Publikum bringen.)


http://thumb4.ftd.de/articleImage/Image/2012/06/28/20120628092331.286058703beschneidung.560x315.jpg

Zu dem Urteil und seiner Begründung hatte ich mich bereits in meiner ersten Notiz geäußert
(https://www.facebook.com/notes/heinrich-schmitz/schnipp-schnapp-vorhaut-ab-zum-k%C3%B6lner-beschneidungsurteil-von-ra-heinrich-schmit/445773148777552), zu der unsinnigen Resolution des Bundestages in meiner zweiten
(https://www.facebook.com/notes/heinrich-schmitz/die-resolution%C3%A4re-des-schnipp-schnapp-von-ra-heinrich-schmitz/447262585295275).

Mit dieser dritten und hoffentlich letzten Notiz zu diesem Thema möchte ich nochmals versuchen, zur Versachlichung und Entschärfung beizutragen.

1) Eine Berufungskammer eine Landgerichts ist weder der originäre Sitz der juristischen Weisheit noch spricht sie absolute Wahrheiten aus. Das hat das Gericht aber auch selbst so gesehen und bereits im Urteil festgestellt. " Die Frage der Rechtmäßigkeit von Knabenbeschneidungen
aufgrund Einwilligung der Eltern wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet.

Es liegen, wie sich aus dem Vorstehenden
ergibt, Gerichtsentscheidungen vor, die, wenn auch ohne nähere Erörterung der wesentlichen Fragen, inzident von der Zulässigkeit fachgerechter, von einem Arzt ausgeführter Beschneidungen ausgehen, ferner Literaturstimmen, die sicher nicht unvertretbar die Frage anders
als die Kammer beantworten."

Das Gericht hat also die notwendige Demut an den Tag gelegt und - anders als mancher Kommentator - gar nicht behauptet, die Frage der Rechtswidrigkeit der durch die Beschneidung
begangenen Körperverletzung sei durch sein Urteil abschließend und rechtskräftig beantwortet. Ein Landgericht ist nicht unfehlbar und hält sich meistens auch nicht dafür.

2) Das Landgericht hat den Angeklagten
freigesprochen! Das wird leider immer wieder übersehen. Es hätte die Sache theoretisch auch dem Bundesverfassungsgericht vorlegen können, was den Vorteil gehabt hätte, dass dieses die angesprochene Grundrechtsproblematik in der ihm eigenen entspannten Sachlichkeit entschieden hätte, was allerdings den Nachteil gehabt hätte, dass die jetzt laufende, wichtige Diskussion vermutlich nicht stattgefunden hätte.


http://evidentist.files.wordpress.com/2012/06/beschneidung.jpg

3) Das Landgericht hat einen ohne jeden Zweifel bestehenden Konflikt zwischen verschiedenen Grundrechten des Kindes und seiner Eltern in
einer bestimmten Weise, nämlich zugunsten der körperlichen Unversehrtheit des Kindes bewertet.

4) Wie Spaemann in der Zeit richtig festgestellt hat, sind Grundrechte nie absolut. Sie finden ihre innere Begrenzung an anderen Grundrechten.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Grundrechte nicht in einem Über- und Unterordnungsverhältnis zueinander stehen, dass also nicht ein Grundrecht grundsätzlich höherwertiger als das andere ist.

Wenn Spaemann also meint " Angesichts der fundamentalen Bedeutung der Beschneidung für
religiöse Gemeinschaften fallen die damit verbundenen Körperverletzungen gar nicht ins Gewicht, sodass, falls man die Sache überhaupt zu einem Grundrechtskonflikt hinaufsteigern will, die Abwägung nur zugunsten der Freiheit der Eltern ausfallen kann, es sei denn, der Richter hielte die Eltern aufgrund ihres Festhaltens an diesem Ritus für unzurechnungsfähig.

" so ist das ein netter Versuch, das Grundrecht der Religionsfreiheit der Eltern und deren Erziehungsrecht über das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit zu stellen, der mit dieser Argumentation jedenfalls nicht verfangen wird. Möglicherweise allerdings mit einer anderen.

5) Der von den vehementen Verteidigern der Beschneidung immer wieder ins Feld geführte Vergleich mit Impfungen, ist ebenfalls ein äußerst schiefer Vergleich. Natürlich sind Impfungen ebenso standardmäßige Körperverletzungen wie Beschneidungen, aber sie unterscheiden sich in zweifacher Hinsicht deutlich.

Impfungen werden - soweit mit bekannt - von keiner Religionsgemeinschaft als Voraussetzung für die vollständige Religionszugehörigkeit gefordert, d.h. wenn Eltern sich für oder gegen eine Impfung ihrer Kinder entscheiden, dann tun sie das ausschließlich im Sinne von deren
Gesundheit. Und zwar sowohl für als auch gegen die Impfung.


http://www.uroonkologiehh.de/images/praxis/Beschneidung1_gross.jpg

Bei den fundamental bedeutsamen Beschneidungen entscheidet aber eher die Religionszugehörigkeit der Eltern über das dafür oder dagegen und
weniger eine individuelle Elternentscheidung. Der zweite Unterschied besteht darin, dass es zwar auch bei einer Impfung zu einem Gesundheitsschaden kommen kann, die Körpersubstanz aber nicht verändert wird.

Man sieht einem Kind später nicht an, ob es geimpft wurde oder nicht.

6) Selbst wenn die Beschneidung immer medizinisch ungefährlich und harmlos wäre, was von Ärzten bestritten wird, bleibt sie ein Eingriff in den Körper und damit eine Körperverletzung.

7) Die Überschneidungsfreier ihrerseits seien daran erinnert, dass auch das Grundrecht aus Art. 2. Abs. 2 GG kein Kreuzbube des Grundrechtsskats
ist, sondern, dass auch in die körperliche Unversehrtheit aufgrund eines verfassungsgemäßen Gesetzes eingegriffen werden kann, wie z.B. bei einer Blutentnahme nach einer Trunkenheitsfahrt.

8) Es ist nicht nur das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes, dass mit der Religionsfreiheit der Eltern konkurriert, es ist auch die eigene Religionsfreiheit des Kindes, und das Erziehungsrecht der Eltern, die grundsätzlich auch über die religiöse Erziehung ihrer Kinder
entscheiden dürfen. Da nach der Logik der Religionen und auch der Atheisten, jeder sich im Besitz der einen, reinen Wahrheit befindet,
beinhaltet dieses Recht auf religiöse Erziehung durch die Eltern zwangsläufig auch das Recht der Eltern, ihre Kinder in einer falschen Weise religiös zu erziehen.


http://pool.nursingwiki.org/images//4/43/Freihand-Beschneidung.jpg

Es ist weder möglich, noch Sache des Staates
zu entscheiden, welche religiöse Erziehung einschließlich der damit vermittelten Glaubensinhalte richtig oder falsch ist. Das Wächteramt des Staates aus Art. 6 GG beschränkt sich auf kindeswohlgefährdende Ausübung des Elternrechts.

9) Auch verfassungsrechtliche Problemstellung unterliegen einem langsamen aber stetigen Wandel. Was vor 50 Jahren als sicher galt, ist es heute nicht mehr. Über die Verfassung wacht in bisher überwiegend bewährter Weise das Bundesverfassungsgericht. Seine originäre Aufgabe
ist es, Grundrechtskonflikte durch Auslegung der Verfassung wohlerwogen und wohlbegründet, nach Anhörung aller möglichen beteiligten staatlichen
und gesellschaftlichen Gruppen , medizinischen, pädagogischen und theologischen Sachverständigen, zu entscheiden.

Es gibt keine Grund aus Gruppeninteressen heraus an diesem Procedere irgendetwas zu ändern und hier auf Zuruf der Kanzlerin eine politisch
erwünschte Lösung durchzuprügeln, die vermutlich ohnehin in Karlsruhe auf den Prüfstand käme.

10) Respekt vor dem Nächsten aus innerer Überzeugung, der Verzicht auf "dümmliche Verhöhnung Gottes" ( Matthias Matussek im SPIEGEL), aber auch der Respekt der Gläubigen vor den Andersgläubigen, den Nichtgläubigen
oder den Agnostikern, Toleranz im gegenseitigen Umgang wäre ein wünschenswertes Ergebnis dieser aktuellen Diskussion.

Wenn dieser
Respekt allerdings nicht aus innerer Überzeugung kommt, - was, wie die Vergangenheit leider zeigt, gerade bei Diskussionen um religiöse Inhalte
selten erreicht wird - dann muss ein offener, freiheitlicher Rechtsstaat das gemeinsamen Zusammenleben aller eben mit Hilfe seiner Gesetze
regeln, damit alle zu ihrem Recht kommen. Ohne Recht gibt es keinen Frieden.

Freitag, 20. Juli 2012

DIE RESOLUTIONÄRE DES SCHNIPP-SCHNAPP von RA HEINRICH SCHMITZ


http://www.welt.de/img/dc5-images/crop100629319/4178723043-ci3x2l-w620/putzfrau324-DW-Berlin-Berlin.jpg

von RA Heinrich Schmitz

Da war der Bundestag aber schnell. Die gesellschaftliche Debatte hatte gerade erst begonnen, die Kanzlerin die Befürchtung geäußert,
Deutschland können als Land der Komiker angesehen werden, es hätte eine feine Auseinandersetzung über die Grenzen der Religionsfreiheit geben
können, über Kinderrecht, die körperlich Unversehrheit, die Verfassung und die Grenzen der Gesetzgebung - und dann das.

Der Deutsche Bundestag beschließt eine Resolution.

"Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, im Herbst 2012 unter Berücksichtigung der grundgesetzlich geschützten
Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechtes der Eltern auf Erziehung einen
Gesetzentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist."

Aha. Was man alles so fordern kann. Eine fachgerechte Beschneidung unter Berücksichtigung der körperlichen Unversehrheit. Genial. Fast wie eine Schwangerschaft ohne Geschlechtsverkehr. Ach, das gab's ja auch schon. Nun ja. Papier ist geduldig und eine Resolution ist ja kein Gesetz und eigentlich ist so eine Resolution rechtlich gar nichts. Da kann man auch fordern, dass die Regierung endlich dafür sorgt, dass mal die Sonne scheint.

Wozu also der ganze Zirkus ?

Was erneut auffällt , ist die Hast mit der unserer Parlamentarier erneut meinen, in bestehende Grundrechte regulierend eingreifen zu müssen. Die in der obigen Resolution genannte gesetzliche Regelung gleich der Quadratur des Kreises. Das Problem ist seit spätestens 2008 durch einen Artikel von Putzke/Stohr/Dietz in "Deutsches Ärzteblatt 2008" bekannt gewesen.

Das bedeutet, der Deutsche Bundestag hätte locker 4 Jahre Zeit gehabt, sich intensiv mit der Problematik der Beschneidung zu beschäftigen und auch wissenschaftliche Stellungnahmen von
Verfassungsrechtlern, Medizinern und Religionswissenschaftler zu berücksichtigen.


http://de.academic.ru/pictures/dewiki/67/CirconcisionRothenburg.jpg

Das wurde offenbar versäumt. Statt nun mit Ruhe, Verstand und vor allem Vernunft an die Sache heranzugehen, wird nicht etwa eine umfassende
Prüfung der Rechtslage durch die Regierung angemahnt, sondern holterdipolter von der Regierung ein Gesetz verlangt, dass den Eingriff
in die körperliche Unversehrheit des Kindes und auch in dessen Religionsfreiheit auf jeden Fall als rechtmäßig deklariert. Ohne Rücksicht auf Vorhaut- oder Grundrechtsverluste.

Das ist völlig unnötig, weil auch nach dem singulären Urteil des LG Köln, natürlich immer noch keine Rechtsklarheit herrscht und deshalb
zunächst nicht mit Verurteilungen zu rechnen wäre. Der Verbotsirrtum würde mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für andere Beschneider noch gelten.

Es mag sein, dass eine gesetzlich geregelte Straffreiheit für eine gewisse Übergangszeit zur Vermeidung von religiösen Aufständen
gerechtfertigt sein könnte ( das möchte ich ebensowenig beurteilen wie die Kölner Richter das im Ergebnis getan haben ) , aber das bedeutet
nicht zwingend, die durch Beschneidung eindeutig vorgenommene tatbestandsmäßige Körperverletzung per Gesetz einfach so zu rechtfertigen und damit als nicht rechtswidrig zu bezeichnen.

Richtig spannend wird es, wenn dieser Ausnahmetatbestand als Sonderrecht für
Religionsgemeinschaften eingeführt werden sollte. Juden und Muslime dürften ihre Jungs beschneiden, ich Christ nicht ? Das würde ein weiteres verfassungsrechtliches Problem im Hinblick auf den
Gleichheitssatz mit sich bringen. Viel schöner wäre gewesen, wenn das Gericht die Sache dem Verfassungsgericht vorgelegt hätte.

Aber das wird sich so oder so noch mit der Problematik beschäftigen müssen.

Die Resolution war jedenfalls nur für die Galerie. Muster ohne Wert.

von RA Heinrich Schmitz

Sonntag, 15. Juli 2012

SCHNIPP-SCHNAPP VORHAUT AB von RA HEINRICH SCHMITZ

Zum Kölner Beschneidungsurteil


http://apokalypsenow.files.wordpress.com/2012/06/beschneidung-9.jpg

Was für eine Aufregung. Nach einer offenbar nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommenen Beschneidung eines 4-jährigen Jungen, dessen Eltern Muslime sind, kam es zu Nachblutungen, die in der Kindernotaufnahme in einer unter Vollnarkose durchgeführte Revision behandelt werden mussten.


Warum auch immer kam es zu einem
Ermittlungsverfahren gegen den beschneidenden Arzt, einen "frommem Muslim und fachkundigem Arzt " (Zitat aus dem Urteil). Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage, das erstinstanzliche Gericht sprach den Angeklagten frei. Die Staatsanwaltschaft ging in Berufung und auch das Berufungsgericht sprach den Arzt frei.

Soweit so gut - oder auch nicht.

Zum Problem wurde nicht der Freispruch, sondern die - im Nachhinein betrachtet eher ungeschickte
und in ihrer Ausführlichkeit gar nicht notwendige Urteilsbegründung.
(Volltext hier:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/koeln/lg_koeln/j2012/151_Ns_169_11_Urteil_20120507.html)

Da teilte das Berufungsgericht nämlich recht ausführlich mit, warum es die rituelle Beschneidung des 4-jährigen grundsätzlich für strafbar hält, obwohl es den Angeklagten freigesprochen hat.

Leider sind sich Juristen der missverständlichen Wirkung ihrer Gedankengänge in der Öffentlichkeit häufig nicht bewusst und leider herrscht in der Öffentlichkeit eine große Unkenntnis über unser
Rechtssystem, insbesondere im Strafverfahren.

Natürlich ist dieses Urteil nicht, wie "der schwerste Angriff auf jüdisches Leben seit dem Holocaust" und natürlich hat das Landgericht
auch recht, wenn es feststellt, dass eine Beschneidung eine Körperverletzung ist. Das ist nicht das eigentliche Problem.

Es wird keinen Juristen ab dem ersten Semester geben, der die Beschneidung nicht als Körperverletzung ansehen würden. Falls doch, würde er vermutlich nicht viel weiter als bis zum ersten Semester kommen.

Eine Körperverletzung ist jeder Eingriff in die körperliche Unversehrtheit eines Menschen durch eine körperlichen Misshandlung oder
Gesundheitsschädigung.

§ 223 Körperverletzung
(1) Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit
Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Die körperliche Unversehrtheit ist immer beeinträchtigt, wenn es zu einem Substanzverlust, zu einer Herabsetzung der körperlichen Funktionen oder zu einer körperlichen Verunstaltung gekommen ist. Das Abschneiden der Vorhaut ist ohne wenn und aber ein Substanzverlust, weil nach dem Eingriff weniger Körper da ist als vorher. Damit ist der objektive Tatbestand der Körperverletzung ganz zweifellos erfüllt.

Das kommt aber häufiger vor und das ist auch nicht der entscheidende Punkt. Jedes mal wenn sie zum Friseur gehen und der die Haare schneidet, kommt es zu einem Substanzverlust und damit zu einer objektiven Körperverletzung. Trotzdem gehen die Friseure einem angesehenen Beruf nach und sitzen nicht permanent im Knast.

Jeder Arzt, der eine Spritze gibt oder jede Arzthelferin, die Blut abnimmt, begeht eine objektive Körperverletzung. Jedes mit einer
Verletzung einhergehende Foul eines
Fußballspielers, selbst jeder regelgerechte Schlag eines Boxers, der zu einer Verletzung führt, sind Körperverletzungen.

Dass die alle nicht bestraft werden, hängt einfach damit zusammen, dass eine Körperverletzung nur dann - wie alle anderen Straftatbestände - zu einer Strafbarkeit führt, wenn sie rechtswidrig und schuldhaft begangen
worden sind.


http://www.tanz-michel.de/wp-content//SadoMaso-221.jpg

Zur Tatbestandsmäßigkeit - also zur Erfüllung des Tatbestandes - muss die Rechtswidrigkeit hinzukommen. Der Tatbestand ist die Beschreibung
dessen, was das Gesetz verbietet. Im Normalfall ist es auch rechtswidrig zu tun, was das Gesetz verbietet, das muss aber nicht so sein.

Wenn der Friseur, der Arzt oder der Sportpartner Sie "verletzt", dann ist das nicht strafbar, weil Sie ja mit dieser "Verletzung" einverstanden waren. Das bedeutet, sie haben in die Verletzung
eingewilligt - jedenfalls sofern diese
ordnungsgemäß durchgeführt wird.

Schneidet Ihnen der Friseur eine Glatze, um sie zu ärgern, oder lässt der Chirurg nach der OP seine Handschuhe in Ihrer Bauchhöhle oder haut
ihnen beim Fußball der Gegner den Ellbogen ins Gesicht und befreit Sie von einigen Zähnen, dann haben Sie in eine derartige Körperverletzung
sicher nicht eingewilligt und derjenige macht sich strafbar.

Zurück zur Beschneidung. Natürlich wollten die Eltern des 4-jährigen die Beschneidung. Natürlich haben sie auch ihr Einverständnis gegeben. Und da fangen die wirklichen, eigentlichen Fragen und Probleme an.

Können Eltern ihr Einverständnis mit einer Körperverletzung ihre Kindes geben ? Na klar können sie das grundsätzlich. Das passiert bei jedem Friseurbesuch, bei jeder Impfung. Aber genauso klar ist auch, dass diese Einwilligung nicht willkürlich erfolgen darf. So könnten die Eltern natürlich nicht wirksam einem anderen Menschen "genehmigen" ihrem Kind die Ohren abzuschneiden, wenn ihnen danach wäre.


http://www.wochenspiegelonline.de/uploads/pics/Pruegelstrafe_Fotolia.jpg

Kernfrage des Kölner Prozesse war daher die Frage, ob Eltern aus religiös, rituellen Gründen wirksam in eine Körperverletzung ihres Kindes einwilligen können, damit diese rechtmäßig durchgeführt wird.

Bei dieser Frage streiten eine ganze Armada von Grundrechten miteinander. Das Grundrecht des Kindes auf freie Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit, das Recht des Kindes auf Religionsfreiheit, das Erziehungsrecht der Eltern, die Religionsfreiheit der Eltern.

Gar nicht so einfach.

Natürlich ist die Beschneidung von Muslimen und Juden eine jahrhundertealte Tradition, die zum Glauben dazugehört. Aber alleine die Tradition kann noch keine Rechtfertigung sein. So ist zum Beispiel die Tradition von Satanisten nachts auf Friedhöfen rituelle Handlungen durchzuführen nachvollziehbarer weise verboten und auch nicht von der Religionsfreiheit gedeckt.

Das Landgericht hat sich hier - trotz aller Aufregung bei den betroffenen Religionen - aus Sicht eines säkularen Rechtsstaats durchaus
nachvollziehbare Gedanken gemacht.

"Gemäß § 1627 Satz 1 BGB sind vom Sorgerecht nur Erziehungsmaßnahmen gedeckt, die dem Wohl des Kindes dienen. Nach wohl herrschender Auffassung in der Literatur

(vgl. Schlehofer in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., vor §§ 32 ff. Rn. 43; Lenckner/Sternberg-Lieben in:
Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., vor §§ 32 ff. Rn. 41; Jerouschek NStZ 2008, 313, 319; wohl auch Exner a.a.O.; Herzberg a.a.O.; Putzke a.a.O.)

entspricht die Beschneidung des nicht einwilligungsfähigen Knaben weder unter dem Blickwinkel der Vermeidung einer Ausgrenzung innerhalb des jeweiligen religiös gesellschaftlichen Umfeldes noch unter dem des
elterlichen Erziehungsrechts dem Wohl des Kindes.

Die Grundrechte der Eltern aus Artikel 4 Abs. 1, 6 Abs. 2 GG werden ihrerseits durch das
Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung gemäß Artikel 2 Abs.1 und 2 Satz 1 GG begrenzt. Das Ergebnis folgt möglicherweise bereits aus Artikel 140 GG i.V.m. Artikel 136 Abs. 1 WRV, wonach die staatsbürgerlichen Rechte durch die Ausübung
der Religionsfreiheit nicht beschränkt werden (so: Herzberg JZ 2009, 332, 337; derselbe Medizinrecht 2012, 169, 173).

Jedenfalls zieht Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG selbst den Grundrechten der Eltern eine
verfassungsimmanente Grenze. Bei der Abstimmung der betroffenen Grundrechte ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Die in
der Beschneidung zur religiösen Erziehung liegende Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist, wenn sie denn erforderlich sein sollte, jedenfalls unangemessen.

Das folgt aus der Wertung des § 1631 Abs. 2 Satz 1 BGB. Zudem wird der Körper des Kindes durch die Beschneidung dauerhaft und irreparabel verändert. Diese Veränderung läuft dem Interesse des Kindes später selbst über seine Religionszugehörigkeit
entscheiden zu können zuwider. Umgekehrt wird das Erziehungsrecht der Eltern nicht unzumutbar beeinträchtigt, wenn sie gehalten sind
abzuwarten, ob sich der Knabe später, wenn er mündig ist, selbst für die Beschneidung als sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit zum Islam
entscheidet

(zu den Einzelheiten vgl.: Schlehofer a.a.O.; a.A. im Ergebnis Fischer, 59. Aufl., § 223 Rn. 6 c; inzident wohl auch: OLG Frankfurt NJW 2007, 3580; OVG Lüneburg NJW 2003, 3290; LG Frankenthal
Medizinrecht 2005, 243, 244; ferner Rohe JZ 2007, 801, 802 jeweils ohne nähere Erörterung der Frage). Schwarz (JZ 2008, 1125, 1128)
bewertet die Einwilligung unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Kriterien als rechtfertigend, er geht jedoch nur auf die Elternrechte aus Artikel 4 und 6 GG, nicht hingegen -- was notwendig wäre - auf die eigenen
Rechte des Kindes aus Artikel 2 GG ein. " ( aus der Urteilsbegründung )

Dass man den Widerstreit der einzelnen Grundrechte der Beteiligten so entscheiden muss, ist damit nicht gesagt. Dass die Begründung völlig verrückt wäre, allerdings auch nicht.

Wenn der Bundestag nun zur Vermeidung religiöser Auseinandersetzung eine Erlaubnisnorm für das Abschneiden von Vorhäuten in Gesetzesform schaffen will, wird es erneut spannend werden.


http://www.livenet.de/sites/default/files/media/188344-Eltern-wollen-wieder-erziehen.jpg

Mit welcher Formulierung man die Bescheidung von Juden und Muslimen für rechtmäßig erklären will, ohne andere - von Eltern gewünschte ansonsten aber unerwünschte - Verstümmelungen von Kindern gleich mit zu genehmigen, wird keine einfache Aufgabe sein.

Warum das Gericht sich allerdings überhaupt so intensiv mit der Rechtswidrigkeit der elterlichen Einwilligung beschäftigt und damit eine
Meinungslawine losgetreten hat, wo es den Angeklagten ohnehin freisprechen wollte, ist mir nicht recht verständlich.

Üblicherweise machen Gerichte sich nicht die Mühe, unerhebliche Erwägungen breit auszuführen. Hier hätte es gereicht festzustellen, dass es dahinstehen kann, ob die Einwilligung der Eltern möglicherweise zu einer Rechtfertigung des Eingriffs geführt hätte, da der Angeklagte sich
jedenfalls in einem Verbotsirrtum befand:

"Der Verbotsirrtum des Angeklagten war
unvermeidbar. Zwar hat sich der Angeklagte nicht nach der Rechtslage erkundigt, das kann ihm hier indes nicht zum Nachteil gereichen. Die Einholung kundigen Rechtsrates hätte nämlich zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt.

Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum wird bei ungeklärten Rechtsfragen angenommen, die in der Literatur nicht einheitlich beantwortet werden, insbesondere wenn die Rechtslage insgesamt sehr unklar ist
(vgl. Joecks in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., § 17 Rn. 58; Vogel in: Leipziger Kommentar
zum StGB, 12. Aufl., § 17 Rn. 75; BGH NJW 1976, 1949, 1950 zum gewohnheitsrechtlichen Züchtigungsrecht des Lehrers bezogen auf den
Zeitraum 1971/1972).

So liegt der Fall hier. Die Frage der Rechtmäßigkeit von Knabenbeschneidungen aufgrund Einwilligung der Eltern wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet. Es
liegen, wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, Gerichtsentscheidungen vor, die, wenn auch ohne nähere Erörterung der wesentlichen Fragen,
inzident von der Zulässigkeit fachgerechter, von einem Arzt ausgeführter Beschneidungen ausgehen, ferner Literaturstimmen, die sicher nicht
unvertretbar die Frage anders als die Kammer beantworten."

So hätte es bleiben können.

Von RA Heinrich Schmitz

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